Traditionsbewusst, vorhersehbar, heimatlich verwurzelt – manche Menschen verbinden mit diesen Attributen das Wort spießig. Doch was dem einen der Gartenzwerg, ist dem anderen die seit Jahrzehnten gepflegte Hippie-, Rocker- oder Punkattitüde.
Spießig, so könnte man es auch sagen, sind immer die anderen. Und genau diese Hintersinnigkeit greift eine Werbekampagne der Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heuberg (abgekürzt Wifög SBH) auf.
Worauf die Werbekampagne abzielt
„Werde auch Du Spießer“, so lautet der Titel einer digitalen Broschüre und der Videos, die von der Wifög verbreitet werden. Damit soll der Wirtschaftsstandort der Region im Allgemeinen und deren Lebensqualität im Besonderen herausgestellt werden.
Auf diese Weise sollen die Unternehmen in der Region in ihrer Suche nach Arbeitskräften unterstützt werden. Das sagt Jennifer Buddatsch. Die Marketingleiterin bei der regionalen WiFöG ist der kreative Kopf hinter dieser Kampagne.
Betriebe suchen Mitarbeiter
Trotz aller aktuellen wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen ist der Fachkräftemangel nach wie vor ein zentrales Problem für Unternehmen und Dienstleister, die händeringend nach Mitarbeitern (m/w/d) suchen.
Und so sollen diese deutschlandweit mit dem Dreiklang Leben, Wohnen, Arbeiten und mithilfe ironischer Brechungen zum Thema Spießigkeit hierhergelockt werden.
Sehnsuchtsort für Großstädter
Was taugt dazu besser, als das Image der schwäbischen Hausfrau aufzugreifen, welches selbst dem mittlerweile arbeitslos gewordenen Finanzminister Christian Lindner anhaftet. Dargestellt in dem Video in Gestalt einer migrantischen Hausfrau, die mit Eloquenz und Essigessenz den Treppenaufgang wienert.

Es finden sich zudem pinke Gartenzwerge und schmucke Kuckucksuhren. Eine Hand schnippelt mit einer Nagelschere bewaffnet den Rasen kurz, Schiltach lockt mit Fachwerk, Flößern und Gerbern, der Hirsch röhrt laut im Wald, dazu frohlockt über allem eine angenehm tönende Frauenstimme: „Wer hier nicht wohnt, ist selber schuld.“

Die Botschaft kommt per Ironie
Hier in der Region, so lautet die ironische Kernaussage der Werbung, ist die Kehrwoche heilig, werden die Geschirrtücher auf Kante gebügelt und der volltätowierte und -bärtige Rocker am Esstisch lässt sich natürlich von der fürsorglichen Gattin den sonntagnachmittäglichen Kaffee reichen.
Der dazu gesprochen Text klingt flott und humorig, der zu lesende in der Broschüre ist kurzweilig zu konsumieren. Schön ist es im Schwarzwald, den jeder zu kennen scheint, die Baar hingegen ist unbekannt und will entdeckt werden und um zum Heuberg zu gelangen, muss man nicht nach Österreich Ski fahren.
Und Arbeitsplätze, das ist klar, gibt es in der Region sowieso in Massen. Ebenso wie günstigen Wohnraum im schicken Loft oder im dunklen Tal.
Ein bisschen Schönfärberei
Gut, die Aussage „Kurze Wege, kaum Verkehr“ ist ein wenig gewagt, denn die Region wimmelt vor Autos und der Weg vom gemütlichen Schwarzwaldhaus im Hexenloch bis zum Arbeitsplatz im medizinischen Industrieunternehmen in Tuttlingen ist ein weiter.
Aber vielleicht, so sinniert man als Betrachter des Werkes, ist dies auch nur eine Ironie der ironischen Brechung, eine Art dadaistische Denkspielerei.
Funktioniert die Kampagne?
Alles in allem lässt sich jedoch sagen, die Werbekampagne für die Region ist, abgesehen von der etwas lieblos gestalteten musikalischen Untermalung des Videos, gelungen und stimmig.
Insbesondere die einfache Verfügbarkeit des Werbematerials ist hervorzuheben, bei Interesse lässt sich alles unkompliziert in der firmeneigenen Homepage einbetten und hinterlegen.
Man kann gespannt sein, wie viele Fachkräfte anbeißen und selbst Spießer in der selbsternannten Spießerregion werden wollen. Wenn sie es denn nicht längst schon sind. Bereit für die Kehrwoche?