Gelegentlich kann Bürokratie in Zentimetern gemessen werden. Wenn der Grüninger Ortsvorsteher Hans-Günter Buller die sechs Mappen, in denen er alle Dokumente, Pläne und Schriftwechsel zur neuen Mehrzweckhalle des 800-Seelen-Dorfs übereinanderlegt, dann kommt er auf stolze 15 Zentimeter. Dabei wird’s auch weitgehend bleiben.
Nach in den Augen der Einwohner viel zu vielen Jahren der Planung(en) rücken in Kürze die Baumaschinen an. Den ersten Spatenstich wird Buller am 4. April als Ortsvorsteher noch miterleben.
Wenn rund eineinhalb Jahre später die Einweihungsfeier ansteht, dann wird er diese als Privatier erleben, denn nach 15 Jahren als Ortschef und 25 Jahren als Ortschaftsrat wird Buller bei den Kommunalwahlen am 26. Mai nicht mehr für das Ortsteilparlament kandidieren. Doch eines der wichtigsten Projekte seiner langen Amtsjahre wird er dann in trockenen Tüchern wissen.
Eigentlich kann die alte Halle ja nicht als Halle bezeichnet werden. Sie ist vielmehr ein Gymnastikraum, neun auf fünfzehn Meter groß. Gebaut in den 60er-Jahren als Teil eines Gebäudekomplexes, in dem auch die Schule und der Kindergarten untergebracht sind, kann hier nicht einmal Handball oder Basketball gespielt werden.
Es gab im Laufe der Jahre zwar unter anderem einen Bühnenanbau, doch der war eher von kosmetischer Natur. Längst hat die örtliche Musikkapelle bei ihren Konzerten Asyl in der Sporthalle der Erich-Kästner-Schule gefunden.
Bei größeren Veranstaltungen wie an Fastnacht musste die Dusche immer als Getränkelager herhalten. Gleichzeitig ist die Lagerkapazität für Sportgeräte dermaßen klein, dass es sehr mühsam und zeitintensiv ist, zum Beispiel den Mattenwagen vorzuholen. Die Tischtennisplatten stehen sowieso im Foyer und das Dach war auch schon undicht. Was für Zustände.

Zu Beginn der 2000er-Jahre zeichnete der Grüninger Architekt Günter Limberger die ersten Pläne für einen Anbau, der Gymnastikraum sollte zur Halle in den Ausmaßen zwölf auf 24 Meter werden. Natürlich wurden auch schon damals die Vereine als wichtige Nutzer mit ins Boot geholt und konnten ihre Anforderungen nennen.
Es gab sogar einen Bauvorbescheid, die Kosten sollten 1,945 Millionen Euro betragen. Doch so ganz glücklich wurde die Dorfgemeinschaft mit den Anbauplänen nicht – weil die anspruchsvolle Topografie die Baukosten in die Höhe hätte treiben können und weil der Hallenstandort wegen seiner Nähe zu Wohnhäusern Konfliktpotenzial barg.

Und dann die Sache mit den Fördergeldern. Ohne Zuschüsse aus dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR), so machte das Rathaus und die große Gemeinderatsmehrheit den Grüningern deutlich, könne das Projekt sowieso finanziell nicht geschultert werden. Doch um in diese Förderkulisse aufgenommen zu werden, braucht’s ein Dorfentwicklungsprogramm. Das es aber nicht gab.
Buller erinnert sich: 2011 sei mit Thorsten Frei, dem damaligen OB, die Wende gekommen. Der Gemeinderat beschloss das Dorfentwicklungsprogramm und Frei ließ im Haushalt Geld für den Hallenanbau in den mittelfristigen Finanzplan eintragen.
Das war das Startsignal für eine erneute Halleninitiative der Vereine. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar: Kommt die neue Halle, dann müssen sich die Vereine auf höhere Nutzungsgebühren einstellen – was irgendwie logisch ist.

Als die Planungen konkreter wurden, stiegen die zu erwartenden Anbaukosten. Und zwar auf rund vier Millionen Euro. Viel zu viel Geld. Als Alternative kam jetzt nur noch ein Hallenneubau in Frage. Ein Standort ohne Wohnbebauung in der unmittelbaren Umgebung war schnell gefunden: eine Wiese direkt am Sportplatz.
Die Ortschaftsräte machten sich schlau, nahmen die neuen Hallen in Hondingen und Behla genau unter die Lupe und entschieden sich für einen ähnlichen Bau wie in Behla. Die dortige Halle kostete rund zwei Millionen Euro, inklusive Preissteigerung sollte die Grüninger Halle für 2,5 Millionen Euro zu haben sein. Der Standort am Sportplatz schien auch deshalb optimal, weil er von Schul- und Kindergartenkindern gut zu Fuß zu erreichen ist.
Dann kam’s, wie’s kommen musste. Zwar hatte Grüningen mittlerweile ein Dorfentwicklungsprogramm und somit eine der formalen Voraussetzungen zur Aufnahme ins ELR-Programm erfüllt, doch jetzt hatte sich der Zuschussschwerpunkt geändert. Das Land unterstützt bis heute mit seinem Geld keine Infrastrukturmaßnahmen wie Hallen mehr, jetzt geht es darum, neuen Wohnraum zu schaffen – weshalb kein Landesgeld fließt.
Dennoch haben 2017 zunächst der Technische Ausschuss und dann der Gemeinderat einem Hallenneubau mit knapper Mehrheit zugestimmt. Da waren auf der Verwaltungsbank einigen Rathausmitarbeitern die Gesichtszüge entgleist.
Und was geschieht mit dem Gymnastikraum? Das Rathaus will ihn nicht mehr genutzt sehen, um keine Unterhaltungskosten mehr finanzieren zu müssen. Buller schon. „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, so der Ortsvorsteher.
Harte Verhandlungen
Das Grundstück beim Sportplatz, auf dem die neue Grüninger Halle gebaut wird, gehörte einer Erbengemeinschaft aus 14 Personen. Die alle unter einen Hut zu bekommen, sei ein "Riesenzirkus" gewesen, so Ortschef Hans-Günter Buller. Zumal einige davon gar nicht wussten, dass sie Miteigentümer des Grundstücks waren.
Um einen Bebauungsplan für das Gelände aufstellen zu können, musste zunächst der Flächennutzungsplan fortgeschrieben werden. Überall Bürokratie. Buller spricht von "bitteren Erfahrungen". Doch letztendlich habe es sich ausbezahlt, immer am Ball zu bleiben. Sein Fazit: "Wir Deutschen schießen gelegentlich über das Ziel hinaus."