Wo normalerweise dutzende Menschen zusammen kommen, um gemeinsam das Fasten zu brechen, stehen Muslime in diesem Jahr vor verschlossenen Türen. Die Moschee bleibt geschlossen, wie seit Wochen schon – auch während des Fastenmonats Ramadan, der am heutigen Freitag beginnt. Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, wurden Versammlungen untersagt. Am Ramadan selbst soll das nichts ändern: „Wir werden so oder so fasten und unsere Gebete zuhause verrichten“, sagt Fikret Kanik als Vorsitzender der muslimischen Gemeinde Singen. Dennoch sei es traurig, nicht wie sonst täglich mit Gleichgesinnten zum Abendgebet zusammen kommen zu können. Und auch das beliebte Zuckerfest zum Ende des Fastens, bei dem Muslime aus dem gesamten Hegau teilnehmen, muss ausfallen.

Einige nehmen sich für Ramadan extra Urlaub

„Hier ist normalerweise immer was los“, sagt Fikret Kanik. Er blickt mit Erdal Ergül auf eine ungewöhnliche Fastenzeit. Gefeiert werden soll dieses Jahr nur im engsten Familienkreis. Wenn es um das tägliche Fastenbrechen am Abend geht, essen die beiden Männer ohnehin lieber mit ihren Familien, wie sie erzählen. Doch danach ging es bislang immer in die Moschee. Einige haben sich für die 30 Fastentage extra Urlaub genommen, weil sie das so einfacher mit ihrer Schichtarbeit vereinbaren können.

Sonst kommen 1500 Menschen

50 bis 70 Menschen haben das Angebot werktags im vergangenen Jahr genutzt, schätzt Ergül. An den Wochenenden waren es deutlich mehr, zwischen 250 und 300 Gläubige. „Zum Zuckerfest-Gebet kommen dann im Normalfall alle“, sagt Erdal Ergül und schätzt 1500 Besucher. Besonders das Ende der Fastenzeit ist traditionell ein großes Fest. „Normalerweise legt man sich dafür extra schöne Kleidung heraus“, blickt Fikret Kanik zurück. Dann geht es zu den Großeltern, die den Kindern ein paar Süßigkeiten und ein Taschengeld mitgeben, bevor es weiter zu den Nachbarn und dann in die Moschee geht.

Das könnte Sie auch interessieren

Videos können Andacht nicht ersetzen, finden sie

In Zeiten der Corona-Pandemie werde die Fastenzeit verstärkt medial begleitet, schildern die beiden Männer. Es gebe Videos in den sozialen Medien und auch im türkischen Fernsehen, die beispielsweise täglich einen Koranvers zitieren. Doch das kann den direkten Kontakt mit dem Imam und den anderen Gläubigen nicht ersetzen, sagt Kanik: „Es ist nicht zu vergleichen, wenn ein Bildschirm dazwischen ist.“ Und die Angebote im Internet seien für viele ältere Gläubige nicht zugänglich.

Weiterhin kein Gebetsruf erlaubt

Eine Alternative, den Kontakt unter Muslimen aufrecht zu erhalten, wurde der Gemeinde untersagt: Gebetsrufe soll es trotz Corona nicht geben, auch nicht während des Ramadan. Die muslimische Gemeinde hat das Anfang April bei der Stadt Singen beantragt, doch die Ablehnung kam prompt. „Der Gebetsruf fordert die Gläubigen auf, sich zum Gebet zu versammeln. Gerade in diesen uns alle belastenden Tagen ist es menschlich nur nachvollziehbar, wenn Gläubige diesen Ruf aufnehmen und gerade jetzt die Nähe zu anderen suchen“, schrieb Oberbürgermeister Bernd Häusler. Doch das sein nicht mit den gesetzlichen Maßgaben vereinbar und deshalb nicht möglich. Auch wenn der muslimische Ramadan, wie die christlichen Ostertage auch, traditionell eine Zeit der Gemeinsamkeit sei.

Fasten als eine Botschaft Gottes

Für Fikret Kanik bedeutet Ramadan auch, das zu schätzen, was man selbst hat: Gefastet werden soll nicht nur Nahrung, sondern auch allgemein Verzichtbares. Kinder müssen zwar nicht fasten, doch ihnen werde mit etwa sieben Jahren bereits das Prinzip des Ramadans nahe gebracht: Sie stehen dann morgens mit auf, um sich an den Rhythmus zu gewöhnen, schildert Kanik. Sobald sie in die Pubertät kommen, sei das Mitfasten erwünscht. Kanik erklärt, wie er die Fastenzeit sieht: „Allah braucht unseren Hunger nicht, sondern er schickt uns damit eine Botschaft.“ So solle man beispielsweise an Länder denken, wo das Fasten nicht nach Sonnenuntergang gebrochen werden kann, sondern Hungern ein Dauerzustand ist.

Auch das Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen machen dem Gemeinde-Vorsitzenden bewusst, was er zuvor hatte: Regelmäßige Besuche in der Moschee an der Berliner Straße und reger Kontakt zu anderen Menschen. Er sei froh, wenn das wieder möglich sei.

Das könnte Sie auch interessieren
Das könnte Sie auch interessieren