Nach dem Freitagsgebet sitzen Erdal Ergül und Hasan Bayram noch zusammen. Der eine ist seit vielen Jahren im Vorstand der muslimischen Gemeinde Singen aktiv, der andere hat die Gemeinde einst mitbegründet. Gemeinsam erinnern sie sich an die Geschehnisse von 1994. Damals machte das Singener Gebetshaus in der Ekkehardstraße bundesweit Schlagzeilen, in der Nacht zum 11. August hatten Unbekannte es mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt. Ein Ereignis, das für die Gläubigen in Singens Muslim-Gemeinde heute noch eine Rolle spielt. „Für uns ist es noch aktuell, weil ich noch das Bild im Kopf habe“, sagt Erdal Ergül und spricht von Rauchschwaden über dem ehemaligen Gebetshaus. Der Brandanschlag brachte die Moschee ohne Minarett auch an ihren heutigen Platz an der Berliner Straße.
Mehrere Anschläge in dieser Zeit
Es war bereits der dritte Brandanschlag auf türkische Einrichtungen in Baden-Württemberg innerhalb von zwei Wochen, hieß es damals. Und es blieb nicht der erste in Singen (siehe rechts). Erdal Ergül kann sich auch deshalb so gut daran erinnern, weil er erstmals mit einem Brandanschlag konfrontiert war. Nach dem Brand in der Nacht hörte er am Morgen davon – Internet und Handy habe es ja noch nicht so gegeben. Also erfuhr er von Bekannten, dass das Gebetshaus abgebrannt war. Etwa seit 1980 hätten sie dort ihren Glauben praktiziert, erinnert sich Hasan Bayram. Er muss es wissen, denn er kam 1973 nach Singen und gründete die muslimische Gemeinde mit. Er erinnert sich auch an die große Hilfsbereitschaft in Singen: Sehr viele hätten nach dem Anschlag gespendet, um einen neuen Gebetsraum zu unterstützen.
Ausgerechnet in der Vorzeige-Stadt Singen
„Blankes Entsetzen“ herrschte damals in der Stadt, berichtete auch der SÜDKURIER in seiner Ausgabe vom 12. August 1994. Ausgerechnet in der Stadt, die als ein Musterbeispiel an friedvollem Zusammenleben ausländischer und deutscher Mitbürger gelte, sei eine solche Tat verübt worden.

„So etwas hatte es in der Region noch nicht gegeben“, sagt Erdal Ergül. Das damalige Gebäude war von außen nicht als Gebetsraum erkenntlich, darin befanden sich auch ein türkischer Lebensmittelladen und eine Teestube. Außerdem seien dort auch Gläubige anderer Nationalitäten willkommen gewesen, betonte schon vor 25 Jahren ein Dolmetscher: Sie seien Weltbürger. Das sei bis heute so, wie Ergül erklärt: „Wir versuchen, alle unter ein Dach zu bekommen.“ Außer Türken würden mit ihnen etwa auch Menschen aus dem Irak, Iran oder aus Syrien beten.
Täter bis heute nicht ermittelt
Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt gingen damals davon aus, dass die Brandstiftungen im August 1994 zusammenhängen und von kurdischen Extremisten zentral geplant wurden. Nach dem Anschlag in Singen wurden drei Männer kurzzeitig festgenommen, wegen fehlender Beweise aber wieder freigelassen. Eine Festnahme gab es laut Ergül und Bayram bis heute nicht.
Von der Maggistraße in den Neubau
Übergangsweise wurde 1994 eine Sporthalle als Gebetshaus freigegeben, für die nächsten zwei Jahr hatten die Muslime ihr Zentrum an der Maggistraße. 1996 dann der Umzug an die Berliner Straße. „Jeder hat sehr viel geholfen“, erklärt Erdal Ergül die Eigenleistungen am Neubau. Er erinnert sich beispielsweise noch daran, wie er Leitungen in Zwischendecken eingezogen hat.
Den Neubau hätten sie auch extra so gestaltet, dass er sich gut in die Nachbarschaft einfüge. Nur ein Schild zeigt, dass es sich um eine Moschee handelt. Die Gemeinde ist in der Zwischenzeit von rund 150 Mitgliedern vor 25 Jahren auf mindestens 450 gewachsen. „Wir fühlen uns wohl“, sagt Ergül. Sie hätten bis auf diese Anschläge auch nie Probleme in Singen gehabt, versichert Bayram. Ob sie sich nach den Zwischenfällen gesorgt hätten? „Nein, nein“, sagt er und schüttelt den Kopf. Dazu habe es keinen Anlass gegeben.
Brandruine fand neue Nutzung
Für die zunächst leer stehende Brandruine hat sich kurz danach die CDU interessiert. Das Gebäude wurde umfassend renoviert, ohne aber dabei die alte Ansicht zu verändern. Anfang Juli 1997 zog der CDU-Kreisverband ins Untergeschoss ein, die damalige CDU-Landtagsabgeordnete Veronika Netzhammer mietete das Obergeschoss für ihr Bürgerbüro, in dem heute die Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger (Grüne) ihr Wahlkreisbüro unterhält. Die offizielle Eröffnung des Gebäudes als Theopont-Diez-Haus, in Erinnerung an den Singener CDU-Oberbürgermeister und Landtagsabgeordneten Theopont-Diez, war am 21. September 1997.
In Folgejahren gab es weitere Brände
- Ein Jahr nach dem Gebetshaus wurde auch ein türkisches Lokal in Singen zum Ziel eines Brandanschlags. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1995 wurden türkische Einrichtungen auch in Friedrichshafen, Überlingen, Freiburg, Nürtingen und Tübingen attackiert. Die Polizei vermutete Extremisten der Untergrundorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) als Urheber. Beim damals türkischen Lokal an der Ecke Freiheit-/Ekkehard-Straße in Singen wurde gegen 2.15 Uhr ein Molotow-Cocktail durch eine Scheibe geworfen, der Schaden war dank einem raschen Eingreifen der Polizei aber gering. Nachdem zuvor andere Anschläge bekannt geworden waren, konzentrierten sich Streifenpolizisten bereits auf türkische Einrichtungen. Eine verdächtige Person wurde festgenommen, eine andere konnte flüchten.
- Einen dritten Brandanschlag gab es am 7. und 8. Januar 1996. Nach dem Gebetsraum und dem Lokal in den Vorjahren traf es den Freizeitraum des Türkischen Jugendvereins Singen in einem ehemaligen Fabrikgebäude in der Südstadt, wie der SÜDKURIER damals berichtete. Der Schaden wurde damals auf rund 20 000 Mark beziffert. Wieder war es ein Molotow-Cocktail, wieder wurde niemand verletzt und wieder wurde die PKK verdächtigt. Cem Özdemir, damals Grünen-Bundestagsabgeordneter, sprach von einem Stellvertreter-Krieg auf deutschem Boden. (isa)