Elmar Veeser

Nach sechs Monaten bei Alusingen konnte und wollte er nicht mehr. Die harte Arbeit in der Gießerei, vor allem die extreme Hitze dort, hatten ihn zermürbt. Albino Gaspar-Nunos war nun wahrlich kein Weichling, denn in seiner Heimat in Portugal hatte er vorher schon zwei Jahre lang in einem Bergwerk Wolfram abgebaut. Doch nun war für ihn Schluss und – obwohl er die Diktatur unter Salazar verachtete – war er drauf und dran im Jahr 1966 wieder in seine Heimat zurückzukehren. António de Oliveira Salazar regierte damals Portugal mit harter Hand, ganz ähnlich, wie es auch General Franco in Spanien praktizierte.

als Soldat von 1959 bis 1961
als Soldat von 1959 bis 1961
1963 diente Gaspar-Nunos Albino noch bei der Nationalgarde in Lissabon. In Portugal herrschte damals das Salazar-Regime.
1963 diente Gaspar-Nunos Albino noch bei der Nationalgarde in Lissabon. In Portugal herrschte damals das Salazar-Regime.
1970 lebt der Gastarbeiter bereits in Singen als Mitarbeiter in der Alu. Auch als Werksdolmetscher wird er hier gebraucht.
1970 lebt der Gastarbeiter bereits in Singen als Mitarbeiter in der Alu. Auch als Werksdolmetscher wird er hier gebraucht.

Doch beginnen wir von Anfang an: Gaspar-Nunos kam im Jahr 1937 in Bogas de Cima, einem winzigen Dorf in der Serra da Estrela – das auf Deutsch übersetzt Sterngebirge bedeutet – zur Welt, einer rauen Landschaft inmitten Portugals mit Hochplateaus und Gipfeln, die bis zu 1900 Metern über dem Meeresspiegel liegen. Er wuchs dort mit seinen sechs Geschwistern auf dem kleinen Bauernhof seiner Eltern auf, die vom Getreideanbau lebten und Ziegen und Hühner hielten. Im Jahr 1959 verließ der junge Mann gezwungenermaßen zum ersten Mal seine Heimat, als er seinen zweijährigen Militärdienst in Goa, der kleinen portugiesischen Kolonie an der Westküste Indiens, ableisten musste.

Im Jahr 1961 kam er wieder heim und nur kurze Zeit später, es war am 18. Dezember 1961, marschierten indische Truppen mit etwa 20-facher Übermacht in Goa ein und vertrieben die alten Kolonialherren. Nach seiner Rückkehr heiratete er seine Freundin Maria-Elisabeth, und um seine Frau und sich durchzubringen, nahm er eine Stelle in einem Bergwerk an, wo Wolfram abgebaut wurde. Das weißglänzende, korrosionsbeständige Metall mit hoher Dichte und hohem Schmelzpunkt wird für vielerlei industrielle Zwecke genutzt, wobei die Nutzung als Glühdraht in Glühlampen wohl die populärste sein dürfte.

Danach, bei der Nationalgarde in Lissabon, ging es wieder paramilitärisch zu bis er dann im Jahr 1963 seinen Busführerschein machte und dann in der Hauptstadt Linie fuhr. Wiederum zwei Jahre später, Sohn Raul war inzwischen auf der Welt, las er in der Zeitung die Annonce von den Aluminium-Walzwerken in Singen, die Mitarbeiter suchten. Er, der sich längst nicht mehr unter der repressiven Herrschaft Salazars wohlfühlte, hatte schon vorher den Plan gefasst, mit seiner Familie auszuwandern. Nach abgeleistetem Militärdienst hatte er auch das Recht dazu und träumte von Australien und Kanada.

sein Staplerführerschein
sein Staplerführerschein


Das Verbindungsbüro lag ja in Lissabon und so machte sich Gaspar-Nunos kurzerhand auf den Weg. Es ging dann alles sehr schnell, die Untersuchung durch einen Arzt und kurz darauf hatte er seine Unterschrift unter den Proforma-Arbeitsvertrag gesetzt. Wenige Tage später saß er mit dreißig anderen jungen Landsleuten zusammen im Zug von Lissabon nach Singen. Wie die Gespräche ergaben, waren alle von Alusingen als Arbeiter für das Folien-, Stanz- und Presswerk sowie die Schmelzerei und Gießerei angeworben worden.

Frau und Kind hatte er erst mal zurücklassen müssen. Die erste Zeit sei sehr hart gewesen, wie sich Gaspar-Nunos erinnert. Zuerst sei er in der Alu-Unterkunft für Gastarbeiter in der Bohlinger Straße untergebracht worden. Er habe sehr unter Heimweh gelitten und unter der Sehnsucht und der Sorge um seine junge Familie. Nach zwei Monaten durfte er in die Konstanzer Straße umziehen, worin Ehepaare ohne Kinder in einem Zimmer wohnten und sich Küche und Toilette mit zwei anderen Ehepaaren teilen mussten. Nun durfte endlich die Ehefrau nachkommen, doch der dreijährige Raul musste erstmal bei der Schwiegermutter in Portugal bleiben.

sein Werksdolmetscher-Ausweis
sein Werksdolmetscher-Ausweis

Gaspar-Nunos schuftete in der Gießerei, doch – wie zu Beginn schon erzählt – zermürbte ihn die harte Arbeit in der Gluthitze des geschmolzenen Aluminiums. Als er seinem Chef die Pläne von der Heimkehr eröffnete, wollte man ihn dann doch nicht gehen lassen. Staplerfahrer fehlten und so machte er den entsprechenden Führerschein und von nun an fuhr er Stapler in unterschiedlichen Größen und transportiert damit die bis zu 10 Tonnen schweren Barren vom Lager an die Fräsmaschine. Die vorgefrästen Alu-Barren transportierte er dann weiter an die Warmwalze, wo das erhitzte Material dann mit enormer Kraft zwischen zwei rotierenden Stahlwalzen weiter ausgewalzt und schließlich auf Coils aufgerollt wurde. Beim anschließenden Kaltwalzen entstehen daraus dann zum Beispiel die hauchdünnen Folien. Nun war Gaspar-Nunos in seinem Element, diese Arbeit lag ihm und machte ihm Freude. Zusammen mit seiner Familie bekam der dann in der Uhlandstraße 45 eine Sozialwohnung mit zwei Zimmern zugeteilt.

Als dann die Tochter zur Welt kam, zog die Familie dann in eine größere Wohnung am Posthalterswäldle. Ab 1970 wurde er zusätzlich als Werkdolmetscher eingesetzt und erhielt dafür immerhin 30 Mark zusätzlich im Monat. Im gleichen Jahr wurde in Singen das Centro Portugues gegründet, das Gemeinschaftszentrum in der Hadwig-Straße, das ihm auch heute noch sehr wichtig ist. Insbesondere hebt er Pfarrer Manuel Janeiro hervor, den Leiter der portugiesischen Gemeinde in Singen, der sehr viel für die Integration seiner Landsleute geleistet habe.

Gaspar-Nunos wird in diesem Jahr 80 Jahre alt und ja, Sicherheitsbeauftragter sei er 20 Jahre lang gewesen und sei im Jahr 2001, nach 36 Jahren in der Alu, in Rente gegangen. Dann zieht er für sich Bilanz: "Meine Kinder haben studiert, sind verheiratet, sechs Enkelkinder haben sie meiner Frau und mir geschenkt. Wenn sie mich fragen, nein, ich fühle mich weder als Portugiese noch als Deutscher, sondern als Europäer, der in Singen zuhause ist."

Portugiesen in Singen

Von den insgesamt 47 500 Singenern haben heute etwas mehr als 900 einen portugiesischen Pass und stellen damit nach den Italienern, den Staatsgehörigen aus dem ehemaligen Jugoslawien und den türkischen Mitbewohnern die viertgrößte nationale Gruppe mit ausländischen Wurzeln. Ursächlich für deren außergewöhnlich hohen Anteil in der Stadt, der in Deutschland einmalig ist, war die Tätigkeit des früheren Leiters des Singener Arbeitsamtes im Vermittlungsbüro in Lissabon, das 1965 zur Anwerbung von Arbeitern eröffnet worden war. Dessen guten beruflichen Kontakt zum ehemaligen Personalchef von Alusingen führte dazu, dass dieser aluminiumverarbeitete Betrieb am Fuße des Hohentwiel über dieses Vermittlungsbüro die überwiegende Zahl seiner Gastarbeiter bis 1973 anwarb, zeitweise sogar ausschließlich. In der Spitze arbeiteten bis zu 1400 Portugiesen gleichzeitig in den Aluminiumwalzwerken Singen.