So viel steht schon vor dem Wahlsonntag fest: Eine realistische Chance, unter der Glaskuppel des Bundestages sitzen zu dürfen, haben die Vertreter der kleinen Parteien nicht. Andreas Bergholz, der für die Partei Demokratie in Bewegung kämpft, räumt deshalb sogleich ein: "Ein Ergebnis über fünf Prozent wäre völlig utopisch." Der 24-Jährige hat Erfahrung mit kleinen Parteien. Als Kandidat für die Piraten erlebte er Euphorie und Absturz. Jetzt ist er Gründungsmitglied von Demokratie in Bewegung. Mit dem Studium ist er so gut wie fertig, jetzt ist für ihn der Wahlkampf in vollem Gange: "Es sind viele kleine Aktionen – Plakate aufhängen, Flyer verteilen und Straßenwahlkampf. Außerdem bin ich in unserem Netzwerk aktiv und schreibe Beiträge zu politischen Themen." Die Partei ist neu und will sich modern aufstellen. Andreas Bergholz ist sich sicher, dass ein großer Teil der Diskussionen und Meinungsfindungen im Netz stattfindet.
Dass er sich nicht für die großen Parteien einsetzt, hat sich nicht zufällig ergeben: "Das ist eine bewusste Entscheidung. Mein Eindruck ist, dass viele Leute eine Abneigung gegen die etablierten Parteien haben. Das liegt gar nicht daran, dass es keine Übereinstimmung geben würde", sagt er. Viele Positionen teile er, aber mit der Schnittmenge will er sich nicht zufriedengeben. Den Ausschlag gibt für ihn etwas ganz anderes. "Ich schaue nicht nur in das Programm, das sind nur leere Worte. Ich schaue auf die Taten, und da komme ich immer zu dem Schluss, dass ich die alle nicht für unterstützenswert erachte." Und während er das erläutert, schwingt einiges an Wut mit.
Dabei aber belässt es Andreas Bergholz nicht, er will mit seinem Engagement die Kluft zwischen verbalen Positionen und der tatsächlichen Politik verdeutlichen. Die kleinen Bewegungen spielen dabei nach seiner Auffassung durchaus eine Rolle, denn deren Schwäche biete zugleich einen Vorteil: "Sie sind noch nicht von der Macht korrumpiert. Diese macht etwas mit den Menschen, das sie selbst nicht kontrollieren können."
0,5 Prozent als Ziel
Mit seinen Mitstreitern versuche er dem schon durch die Struktur der Partei vorzubeugen. "Es geht darum, längerfristig etwas aufzubauen, das vielleicht in Zukunft Bestand hat." Darum sei nicht die Fünf-Prozent-Hürde der Maßstab, sondern die 0,5 Prozent – es ist das Kriterium für die Parteienfinanzierung. "Die Finanzierung können wir die nächsten vier Jahre nutzen, um professionelle Strukturen aufzubauen", so stellt er sich die nahe Zukunft der Gruppe vor. Und da ist er optimistisch: "Ich bin ziemlich sicher, dass das klappen wird und das wäre wirklich genug Geld, um weiter etwas in Bewegung zu setzen."
Bei seinem ersten Versuch, sich politisch einzubringen, hat das allerdings nicht geklappt, seine Erfahrungen sind schlecht. "Das war schon viel auf einmal." Dabei hatte er sich auf die Wahl gefreut. "Es war ein tolles Gefühl, endlich mitzumachen in der Demokratie", sagt er. Damals war er gleichzeitig Erstwähler und Kandidat für die Piraten in Singen. "Es gab eine Zeit, in der wir in den Umfragen bei mehr als zehn Prozent lagen und wir, auch ich, große Hoffnungen gehegt haben." Aber dann kam schon vor der Wahl der Absturz. "Wir haben den Sympathie-Effekt verspielt", bedauert er, "das war niederschmetternd.
" Die Etablierung der Piraten sei zu schnell gekommen, ein Faktor, der auch ihn an den großen Parteien abstößt. "Was die Parteien über Jahrzehnte erlebt haben, ist bei uns in einem sehr kurzen Zeitraum passiert." Eine Chance sah er einige Monate nach der Bundestagswahl inmitten der Machtkämpfe nicht mehr und trat aus der Piraten-Bewegung aus.
Danach habe er sich eine Weile mit eigenen Aktivitäten zurückgehalten, aber dann hätten ihn die aktuellen Ereignisse zurück zur Politik gebracht. Denn die Notwendigkeit des politischen Engagements, betont er, sei etwas, das ihn besonders umtreibe. "Wenn ich mir die Nachrichten anschaue, was überall auf der Welt passiert, dann löst das bei mir kein Gefühl der Angst aus. Aber ich mache mir Sorgen darum, dass die Leute nicht merken, in was für einer prekären Lage die Welt steckt. Und wir haben in Deutschland auch Probleme, die einfach weggewischt werden. Jeder ist dazu fähig, den Mund aufzumachen. Das müssen mehr Menschen machen."
Deshalb glaubt er, man dürfe durchaus in großen Dimensionen denken, wenn es um die großen Fragen gehe. "Ich wünsche mir eine neue Renaissance. Dass die Leute sich wirklich mal wieder fragen, was passiert hier, warum passiert es und muss ich das akzeptieren?" Das Ausscheren aus dem bekannten Muster fehlt ihm zurzeit. "Es fehlt die Fantasie und der Wille, sich die Dinge auch anders vorzustellen." Gegen Zufriedenheit habe er zwar grundsätzlich nichts, nur will er die Möglichkeit eines Verlustes in der Zukunft nicht ignorieren. "Da bin ich halt Idealist", sagt er fast trotzig. Er will mehr als die beiden Kreuzchen auf dem Wahlzettel setzen.
"Für mich ist die drängendste Frage die Zukunft Europas", erklärt er. Sein Standpunkt ist klar pro europäisch: "Mir als Angehöriger der jungen Generation ist bewusst, dass unser ganzer Wohlstand und die gute Art, wie wir leben, sehr stark davon abhängt." Sorgen bereite ihm ein Zerfall der Union. Notwendig sei deshalb eine breite Diskussion über die unterschiedlichen Erwartungen an die Gemeinschaft unter ihren Bürgern.
Bei den Politikern der etablierten Parteien sieht er wenig Potenzial, auch deshalb hält er es für so wichtig, sich selbst einzubringen: "Wir haben zurzeit nicht die besten Politiker, sondern die, die sich am besten in ihrer Partei durchsetzen." Er selbst strebt eine politische Karriere nicht wirklich an: "Ich sehe mich glücklich mit meiner Familie und meinen Kindern – und dass wir nicht in einer Zeit leben, in der wir Krieg oder Armut fürchten müssten."
An die Wähler richtet er letztlich nur einen überparteilichen Appell: "Bitte wählen Sie aus Überzeugung. Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken um Umfragen und Koalitionen. Es ist höchste Zeit Farbe zu bekennen und zu sagen, wo die eigenen Überzeugungen liegen."
Zu Person und Partei
Andreas Bergholz kommt aus Singen. Hier trat er bei der Bundestagswahl 2013 als Direktkandidat für die Piratenpartei an. Aufgewachsen ist er in einer Arbeiterfamilie. Er hat einen Migrationshintergrund, seine Mutter wurde auf den Philippinen geboren. Seine Fachhochschulreife erlangte er auf der Hohentwiel-Gewerbeschule, danach absolvierte er vor dem Studium ein freiwilliges soziales Jahr – ebenfalls in Singen. Gerade hat der 24-Jährige in Nürtingen seine Bachelorarbeit in Volkswirtschaft zu Ende gebracht, derzeit plant er Praktika bei PR-Firmen. Neben seinem politischen Engagement setzte er sich in Singen für Flüchtlinge ein. Hier war er besonders in den sozialen Netzwerken aktiv und betreute die Seite „Sag ja zu Flüchtlingen“. Politisch engagiert er sich als Gründungsmitglied der neuen Partei Demokratie in Bewegung, die bei der jetzigen Bundestagswahl erstmals antritt. Die Partei setzt sich beispielsweise für eine striktere Anti-Korruptionspolitik und strengere Regeln beim Einfluss von Lobbyisten auf politische Entscheidungsprozesse ein. So legt sie großen Wert darauf, selbst keine Unternehmensspenden anzunehmen. (smh)