Inflation und explodierende Energiepreise nehmen auch Handel und Landwirtschaft in die Zange. Vielen Ökoläden laufen wegen der hohen Preise die Kunden davon, und der Anbau mancher Sorten steht zumindest teilweise in Frage. Er rechnet sich einfach nicht mehr. Doch ausgerechnet das Modell der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) zeigt sich in diesen Krisenzeiten stabil.
Schon 200 Menschen dabei
Zwischen Konstanz und Radolfzell zählt sie derzeit rund 200 Bezieher von saisonal produziertem Ökogemüse. Alles gut Betuchte? Ganz im Gegenteil, sagt Svenja Mayer, die zweite Vorsitzende des Solawi-Vereins Konstanz, die selbst gerade in einer Logopädie-Ausbildung ist und finanziell rechnen muss. Sie betont: Die Solawi ist für alle da.
Denn es handele sich um eine völlig andere Form des Gemüseanbaus. Die Mitglieder tragen zusammen das Risiko, und der Landwirt bekommt einen Festpreis. Davon profitierten auch die Erntehelfer, sagt Bio- und Solawi-Bauer Josef Müller von der Insel Reichenau.

Der 63-Jährige bezahlt nach eigenen Angaben schon seit Langem die zwölf Euro, die jetzt als Mindestlohn gelten. Es gibt noch andere Unterschiede: Für die Solawi Konstanz baut Müller sage und schreibe 64 Gemüsesorten an, in seinem sonstigen biologischen Betrieb gerade mal fünf.
Weil die Solawi konsequent auf jahreszeitlich angepasstes Gemüse sowie regionale Abnehmer setze, gelinge es, mit wenig Energie auszukommen. Die Gewächshäuser werden nur beheizt, wenn die Pflanzen durch Dauerfrost abzusterben droht, erklärt Müller. Zudem sind die Transportwege kurz – die Solawi Konstanz liefert bewusst nur zwischen der Konzilstadt und Radolfzell aus. Ganz ohne Kühleinrichtung kommt sie laut Müller aber nicht aus.
Svenja Mayer leistet sich jeden Monat biologisches, regionales und fair produziertes Gemüse. Für sie ist klar: „Am ökologischen Lebensstil will ich am wenigsten sparen. Es ist keine komfortable Situation, aber es geht.“ Dank des Solidarprinzips könne sich jeder die Solawi leisten, sagt die gelernte Biologin. So gibt in der sogenannten Bieterrunde jeder monatlich das, was seinem Budget entspricht.
Wichtig ist, was hinten rauskommt
Wichtig ist, dass die Solidargemeinschaft am Ende den Preis erreicht, den der Landwirt in seinem Produktionsplan darlegt. Manche zahlen freiwillig mehr als den durchschnittlichen Richtwert von derzeit 78 Euro. Sie ermöglichen es damit anderen, einen niedrigeren Beitrag zu leisten. Doch egal, ob man nun den hohen oder den weniger hohen Preis zahlt – Anteilnehmer sind verpflichtet, ein Jahr lang durchzuhalten.
Je mehr Menschen sich an diesem System beteiligten, desto günstiger werde es, sagt Landwirt Josef Müller. Beim ihm macht die Solawi heute etwa ein Drittel der Gesamtwirtschaft aus. 500 Bezieher bräuchte er, um seinen gesamten Biobetrieb auf die Solawi umzustellen. So viele könnte er auch versorgen.
Auch die krumme Gurke wird gegessen
Gäbe es genügend Interessenten, Müller wäre dazu bereit. Er schätzt die Solidarische Landwirtschaft. Über sie könne er auch mal nicht ideal gewachsenes Gemüse verwerten, etwa sehr krumme Gurken. Der Handel dagegen gebe Standards bei Form und Größe vor. Alles, was nicht ins Raster passe, müsse er aussortieren, im schlimmsten Fall lande es im Müll.
Zudem biete die Solawi den Raum, um auch mal eine Sorte ausprobieren, die nicht so produktiv sei und als „Rarität“ die Gemüselieferungen bereichert. Müller denkt etwa an Sprossenbrokkoli. Es sei gar nicht so einfach gewesen, dafür überhaupt Saatgut zu beziehen. Er habe es schließlich von einem Kollegen in Frankreich bekommen.

Konsequent saisonal zu wirtschaften, hat auch Auswirkungen darauf, welche Arten und Mengen an Gemüse geliefert werden können. In der Zeit, in der die Ernte wenig hergibt, kommt der Gemüseanteil einmal, ansonsten zweimal die Woche. In den Wintermonaten sind zum Beispiel Grünkohl und Feldsalat dabei, erst im Sommer gibt es Tomaten und Auberginen.
Gemeinschaft trägt das Risiko
Wenn es wegen Dauerregens oder Trockenheit zu Ernteausfällen kommt, trägt die Gemeinschaft den Verlust. Dieses Prinzip ist einzigartig, denn auch im Bioanbau steht der Landwirt mit solchen Problemen allein da.
Doch wie bereitet man aus dem teilweise ungewöhnlichen Gemüse wie Mairübchen, Topinambur oder Grünkohl ein passendes Essen? Svenja Mayer hat damit keine Probleme. Sie probiere gern Neues aus, sagt sie. Als die Gemeinschaft Sauerkraut einmachte, habe sie aus Solawi-Kartoffeln Schupfnudeln gemacht und diese mit dem Kraut gegessen. „Wenn ich saisonal und regional einkaufen will, dann lande ich im Supermarkt immer bei denselben Dingen. Das wird schnell langweilig.“

Ihr gefalle es auch, dass die Solawi Menschen zusammenbringt. Jeder kann sich am Anbau und bei der Ernte auf den Feldern beteiligen. Josef Müller ist froh über jeden Helfer: „Viele Hände sind der Arbeit Tod.“ Selbst wenn der Laie doppelt so lange braucht wie der Fachmann, sei die Unterstützung willkommen.
Wer selbst einmal auf dem Feld gearbeitet hat, der weiß, was Gemüseanbau bedeutet. Vieles ist arbeitsintensiv, etwa das Niederhalten von Unkräutern durch das Ausstreuen von Stroh. Und so lädt die Solawi auch Schulklassen und Studierenten auf die Felder, um das Prinzip des nachhaltigen Gemüseanbaus zu erklären.