Nach der Schließung der Radolfzeller Geburtenstation vor zwei Jahren war die Enttäuschung bei vielen groß. Wird es ab jetzt keine echten Radolfzeller mehr geben? Werden künftig alle Radolfzeller in ihrem Pass beim Geburtsort Singen, Konstanz oder Überlingen stehen haben?

Zwei Jahre später kann Entwarnung gegeben werden, die gebürtigen Radolfzeller sterben nicht aus. Sie kommen nur nicht mehr im Krankenhaus, sondern in den eigenen vier Wänden auf die Welt.

Bundesweit werden nur 1,5 Prozent der Babys nicht in einem Krankenhaus geboren

Frederike Bohl aus Allensbach und Heidrun Ullmann aus Radolfzell sind Hebammen aus Leidenschaft und mit einer festen Überzeugung. Als einzige zwei Hebammen im Kreis Konstanz bieten beide auch Hausgeburten an. Und in Radolfzell wird dieses Angebot rege angenommen.

Bundesweit kommen im Schnitt 1,5 Prozent der Babys nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause oder in einem Geburtshaus auf die Welt. In Radolfzell wurden 2017 insgesamt 4,7 Prozent aller Babys daheim geboren, 2018 stiegt die Zahl auf 9,5 Prozent. Tendenz weiter steigend.

Hausgeburten haben weniger Risiken und eine bessere Betreuung

Die beiden Hebammen freuen sich über diese Entwicklung, da sie davon überzeugt sind, dass eine Hausgeburt bei einer gesunden Mutter und unkomplizierten Schwangerschaft die sicherste Methode ist, das Kind auf die Welt zu bringen.

"Wir können eine Eins-zu-eins-Betreuung garantieren", sagt Heidrun Ullmann. Im vertrauten Umfeld des eigenen Heims könnten Frauen besser entspannen und in Ruhe und ohne die Hektik eines Kreissaals gebären.

Im Krankenhaus sei eine Hebamme für mehrere Schwangere zuständig, sie könne gar nicht immer bei der Frau sein. Doch habe auch die Klinik-Geburt ihre Daseinsberechtigung, betonen die Hebammen.

"Wir arbeiten sehr gut mit den Krankenhäusern zusammen und schätzen deren Arbeit sehr, auch wenn wir nicht besonders oft dort sind", sagt Heidrun Ullmann.

Eine gute Vorbereitung ist wichtig

Bundesweit werden rund 20 Prozent der begonnen Hausgeburten abgebrochen und in eine Klinik verlegt. Die Hebammen entscheiden, wann es besser ist, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Jede Frau, die sich für eine Hausgeburt entscheidet, muss im Vorfeld eine Wunsch- und eine Notfallklinik benennen.

In die Wunschklinik werden die Frauen verlegt, für die noch Zeit für einen Transport ist, die Notfallklinik ist für Notfälle.

Doch Ullmann beruhigt: "Wir verlegen nur 0,1 Prozent aller Schwangeren als Notfall". Da Ullmann und Bohl ausschließlich gesunden Frauen mit problemfreien Schwangerschaftsverlauf eine Hausgeburt empfehlen, würden Verlegungen ins Krankenhaus oder gar Notfälle äußerst selten der Fall sein.

Frauen wollen Ruhe und ein vertrautes Umfeld

Die Frauen, die sich für eine Hausgeburt entschieden haben, berichten von unterschiedlichen Beweggründen. Johanna Berthold hat bereits sechs Kinder. Oskar, der Jüngste, kam Ende Februar in Radolfzell zur Welt.

Zwei ihrer Kinder wurden in der Radolfzeller Geburtsklinik entbunden, zwei in einem Krankenhaus in Darmstadt und eins in einem Geburtshaus. "Mir war sehr wichtig, dass meine Hebamme dabei ist, ich hab ganz auf sie vertraut", sagt die 37-Jährige.

Auch sei es leichter gewesen, da die Geschwisterkinder alle zu Hause bleiben konnten und man keine Betreuung organisieren musste. Die Wehen begannen, als die anderen Kinder bereits im Bett waren. Am nächsten Morgen konnten sie ihren neuen Bruder begrüßen.

Hausgeburt wird als selbstbestimmt empfunden

Alina Schleiblinger aus Stahringen hat bereits ihr erstes Kind unfreiwillig zu Hause auf die Welt gebracht. Da sie vorzeitige Wehen bekam, blieb keine Zeit mehr für die Fahrt ins Geburtshaus.

Beim Zweiten, der kleinen Marlie, die am 6. Januar in Stahringen zur Welt kam, war klar, dass sie gleich zu Hause bleibt. "Es waren nicht viele Vorbereitungen und weit weniger Aufwand als man denkt", sagt die 20-Jährige. Zu Hause habe sie sich besser aufgehoben gefühlt als in einer Klinik, so die junge Mutter.

Ähnlich ging es Janika Schnopp aus Radolfzell. Ihr erstes Kind bekam die 26-Jährige im Radolfzeller Krankenhaus und hatte mit der Erfahrung lange zu kämpfen. Da sie sehr lange für die Entbindung gebraucht hatte, wurde an ihr ein Kaiserschnitt vorgenommen.

Rückblickend sei das für die junge Frau ein Fehler gewesen. "Zu Hause war es so schön und ich bekam die Zeit, die ich gebraucht habe. Diese Geburt war so anders als die erste und auch ein Heilungsprozess für die unschönen Erlebnisse", sagt Janika Schnopp.

Frauen haben wenig Sorge

Die 37-jährige Nicole Mayer ist Mutter von drei Kindern. Zwei hat sie im Radolfzeller Krankenhaus bekommen, das Dritte dann bei sich zu Hause. "Beim ersten Kind ist man noch ängstlich und unerfahren", sagt sie. Doch nach zwei Geburten in der Klinik, inzwischen hatte die Radolfzeller Geburtenstation geschlossen, gab es keine wirkliche Alternative für Nicole Mayer.

Sie sagte sich: Wenn es medizinisch keine Bedenken gibt, bleibe ich zu Hause. Sie habe ganz auf die Erfahrung ihrer Hebamme vertraut. Und falls doch etwas passieren sollte: "Es sind ja kurze Wege ins nächste Krankenhaus", so die 37-Jährige.

Gute Organisation, wenn schon Kinder da sind

Während der Geburt waren ihre älteren Kinder im Kindergarten und dann bei Oma. Über ihr neues Geschwisterchen hätten sie sich anschließend riesig gefreut. Judith Berna, ebenfalls aus Radolfzell, hat beide Kinder zu Hause zur Welt gebracht.

Sie habe von Anfang an nicht ins Krankenhaus gewollt. "Zu Hause kann man besser entspannen und das ist für eine Geburt so wichtig", sagt die 28-Jährige. Sollte es ein Kind Nummer drei geben, solle dieses ebenfalls im Kreise der Familie zu Hause auf die Welt kommen.

Für Hebammen sind Hausgeburten ein 24-Stunden-Job

Für die beiden Hebammen sind Hausgeburten Schwerstarbeit. 24 Stunden, sieben Tage die Woche sind die abrufbereit und stehen parat, wenn die Wehen einsetzen. Hinzu kommen die Termine zur Beratung und Vorgespräche.

Und wie es der Zufall es will, kämen die meisten Kinder nachts, am Wochenende oder an Feiertagen, wie Frederike Bohl erzählt. "Die Familie muss da schon mitziehen", sagt Heidrun Ullmann.

Auch wenn man nicht arbeite, habe man doch immer den Blick auf das Handy gerichtet. Da sie nur zu zweit arbeiten, könnten sie sich auch nur gegenseitig vertreten. Hinzu kommen immer steigende Versicherungsprämien. Doch denken beide nicht ans aufhören. "Wir machen es aus Überzeugung und für die Frauen", sagt Frederike Bohl.

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