Als Treffpunkt hat sie den Konstanzer Münsterplatz gewählt. Über das grobe Kopfsteinpflaster kommt Rosa Buss im leuchtend roten Mantel herbeigelaufen, offener Blick, optimistisches Lächeln. Es ist der Tag, bevor im Deutschen Bundestag die CDU erstmals eine Mehrheit für einen Entschließungsantrag mithilfe der AfD gewinnt, der Wahlkampf hat seine neue Schärfe noch nicht angenommen. Doch dass es um die Verteidigung der Demokratie geht, das ist der 29-Jährigen auch zu diesem Zeitpunkt schon klar.
Deshalb auch der Münsterplatz. Hier war es, als ein Jahr zuvor bis zu 20.000 Menschen genau für diese Demokratie auf die Straße gegangen waren. Zuvor hatten Recherchen von „Correctiv“ die Pläne der AfD und weiterer rechter und rechtsradikaler Kreise enthüllt, Millionen von Menschen aus Deutschland wegzubringen. Das Wort Remigration war in aller Munde, und Buss war eine der beiden Organisatorinnen in der größten Demonstration, die Konstanz seit Jahrzehnten erlebt hat.
Wenn Menschen aufstehen für die Demokratie, für eine freie und offene Gesellschaft, dann ist das für Rosa Buss ein Erfolg, und wenn sie dazu beigetragen hat, ist es auch ein persönlicher Erfolg. Die Bundestagskandidatin von Bündnis 90/Grüne ist noch immer stolz darauf. „Das ist lange her“, sagt sie ein Jahr danach, „und zugleich beängstigend, dass das schon so lange her ist“. Denn besser geworden ist aus ihrer Sicht seither nicht viel.
Sie sucht Bündnisse über Parteigrenzen hinaus
Beim Treffen auf dem Münsterplatz ist es noch die „Angst vor einem Dammbruch bei der Brandmauer“, die sie umtreibt. Wenige Tage später ist daraus das Entsetzen geworden, dass es wirklich so weit kommen konnte. Denn es erschüttert das, was Rosa Buss nach eigenem Bekunden motiviert, sich politisch derart zu engagieren: den Wunsch, über Parteigrenzen hinaus Bündnisse zu schaffen, den Austausch auch kontroverser Meinungen zu ermöglichen und Lösungen zu finden. „Niemand kann alleine Politik machen“, ist einer der Sätze, die für ihre Grundüberzeugungen stehen.
Wie wichtig das gemeinsame Bemühen ist und warum es auch auf einen Resonanzboden ankommt, das weiß die Tochter eines Kirchenmusikers aus dem Schwäbischen auch als begeisterte Chorsängerin. Zu den Grünen kam sie bald, nachdem sie vor gut zehn Jahren ihr Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaften aufgenommen hatte. Sie engagierte sich in der Hochschulpolitik und legte dort die Grundlage für die Themen, die ihr besonders am Herzen liegen: Förderung der Demokratie, Klimaschutz und der Schutz von Frauen.
Dass der Bundestag trotz der Verwerfungen das Gewaltschutzgesetz noch verabschiedet hat, freut sie – sonst hätte sich Rosa Buss diesem Anliegen gleich nach einem möglichen Amtsantritt in Berlin gewidmet. Sollte die Kandidatin es in den Bundestag schaffen – wofür wohl eine Mehrheit der Erststimmen im Wahlkreis Konstanz erforderlich wäre, denn auf der Landesliste steht sie erst an 31. Stelle – will sie sich aber auch anderen Themen zuwenden.
Nahverkehr, Gleichberechtigung: Ihr geht es um Gerechtigkeit
Eines ihrer weiteren großen Anliegen ist der von den Grünen vorgeschlagene Deutschlandfonds für Bund, Länder und Kommunen zur klimafreundlichen Modernisierung der Infrastruktur, sagt sie. Auch für den dauerhaften Erhalt des Deutschlandtickets und damit einen günstigen öffentlichen Nahverkehr möchte sie sich einsetzen. Es ist nach ihrer Überzeugung ein Baustein eines weiteren Kernanliegens. „Bekämpfung von Ungerechtigkeit“ habe sie sich früh auf die Fahnen geschrieben. Denn das, so Rosa Buss, sei eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaft zusammenbleibt und eben nicht gespalten wird.

So sieht sie sich ausdrücklich auch nicht als Kandidatin für junge Menschen oder Frauen, obwohl sie beide Gruppen in besonderem Maße vertritt. Im Häuserwahlkampf, den sie seit Wochen aktiv führt, bekomme sie viel Zuspruch von ganz unterschiedlichen Menschen. Deshalb verliere sie auch nicht den Glauben an eine weitere Überzeugung: „Wir können uns uneinig sein, aber dennoch zusammenarbeiten.“
Wie das nach einer Bundestagswahl mit ihr im Berliner Parlament funktionieren könnte, hänge aber auch vom Gegenüber ab. Mit der CDU dürfte es nach den jüngsten Ereignissen schwierig werden: Es war der Name von Rosa Buss, der unter einem von der SPD und der Linken mitgetragenen Aufruf zu einer „Mahnwache“ stand, nachdem die Union aus ihrer Sicht die Brandmauer zur AfD geschleift hatte. In der Folge standen bis zu 500 Menschen direkt vor das Haus, in dem ihre Mitbewerber um ein Mandat im Bundestag, Andreas Jung (CDU) und Ann-Veruschka Jurisch (FDP), ihre Büros haben.
Auch das gehöre zum Eintreten für die Demokratie, sagt Rosa Buss: „Es ist beeindruckend, wie viele Menschen nun erneut auf die Straße gehen.“ Das Tischtuch ist für sie unterdessen nicht zerschnitten. Eine Verständigung sei „auf jeden Fall möglich, wenn die Union ihre Brandmauer wieder hochzieht“. Ein Anliegen, das sie, die einige Jahre im Europaparlament gearbeitet hat, dann schnell anpacken will: „Wir brauchen offene Grenzen, auch im wirtschaftlichen Interesse.“