Als Rawan Rihawi vor vier Jahren nach Deutschland kam, war sie 12 Jahre alt und konnte kein Wort Deutsch. Aus ihrer Heimat Aleppo in Syrien musste sie fliehen und hier ganz neu anfangen. „Das war sehr schwer, denn ich traf auf eine andere Sprache und Kultur. Nichts zu verstehen bedeutet, nichts zu wissen“, sagt Rawan, heute 16 Jahre alt und Gymnasiastin.
Anschluss an die neue Heimat fand sie über den Mädelstreff der Konstanzer Malteser, wo vor der Corona-Pandemie jede Woche Mädchen und junge Frauen mit und ohne Fluchterfahrung zusammenkamen. Im wöchentlichen Wechsel unternahmen sie Ausflüge und lernten, außerdem gaben deutsche Schülerinnen und Ehrenamtliche den Geflüchteten Nachhilfe.
Angekommen – durch den Mädelstreff
Der Mädelstreff ist aber viel mehr: „Ich habe hier deutsche Freundinnen gefunden“, erzählt Rawan. Inzwischen ist sie so gefestigt, dass sie selbst Neuankömmlingen helfen kann. „Die jüngeren Mädchen haben genau dieselben Erfahrungen gemacht wie ich, deshalb möchte ich mein Wissen weitergeben“, sagt sie.
Etwa an die zwölfjährige Leen Badawi, die ebenfalls 2016 aus Aleppo floh. Mit ihrer Familie lebte sie erst in der Sporthalle der Wessenbergschule, später in der Gemeinschaftsunterkunft im Konstanzer Industriegebiet. Inzwischen hat die Familie eine eigene Wohnung und Leen besucht die Gemeinschaftsschule Gebhard. „Jetzt habe ich das Gefühl, hier angekommen zu sein“, sagt Leen. Dazu habe auch der Mädelstreff beigetragen.
2016 gegründet, hatte das Angebot eigentlich eine andere Zielsetzung, wie Silvia Baumann erzählt. Sie leitet bei den Konstanzer Maltesern den Integrationsdienst. „Wir wollten junge Frauen auf den Weg in Beruf und Studium begleiten, doch wir mussten erst mal mit dem Grundsätzlichen anfangen: Mit welchem Bus fahre ich, was ist eine Stadtbücherei?“, erzählt Baumann.
20 ehrenamtliche Helferinnen, meist Studentinnen
Inzwischen habe sich der Mädelstreff für 12- bis 16-Jährige sowie der parallel angebotene Young Women‘s Club für 16- bis 22-Jährige weiterentwickelt. „Wir haben 20 ehrenamtliche Helferinnen, meist Studentinnen“, berichtet die Leiterin. So kann eine 1:1-Betreuung für die Neuen stattfinden.
Und es geht um mehr als praktische Lebenshilfe. „Vor Corona konnten wir den rund 40 Mädchen und jungen Frauen in Workshops viel für die Persönlichkeitsentwicklung anbieten“, sagt Silvia Baumann. Denn klar ist: „Alle Geflohenen haben ein riesiges Päckchen zu tragen.“
Das wird auch in den Gesprächen mit den deutschen Helferinnen deutlich. Eine von ihnen ist die 20-jährige Studentin Theresa Wagner. „Ich finde es beeindruckend, wie offen und ohne Scham ihr über Probleme sprecht und euch Hilfe holt“, sagt sie. „Da habe ich selbst was von euch gelernt.“ Auch Leonie Warzecha, 17-jährige Konstanzerin, ist seit drei Jahren beim Mädelstreff dabei. „Ich bin hier geboren und habe es nicht so schwer wie andere“, sagt die Humboldt-Gymnasiastin. „Deshalb helfe ich gern.“
Unter anderem hat sie Rawan bei der Vorbereitung auf eine Deutschprüfung geholfen. Bei all der Unterstützung ist eines aber auch klar: „Wir können keine Traumata behandeln“, sagt Silvia Baumann. „Dafür können wir auf unser gutes Netzwerk aus Psychologen, Ärzten und Coaches zurückgreifen.“
Eine Woche konzentrierte Förderung
Um die Mädchen und jungen Frauen noch weiter zu stärken, planen die Malteser für den künftigen Sommer ein einwöchiges Zeltlager. Dabei sollen 20 junge Frauen zwischen 13 und 18 Jahren noch mehr Verantwortungsbewusstsein entwickeln, Selbstvertrauen tanken und lernen, mit Konflikten umzugehen. Geplant sind Workshops wie Bewerbertraining, Selbstverteidigung und Umgang mit Rassismus, Klettergarten, Floß bauen und eine Kräuterwanderung. Für Rawan und Leen klingt das sehr verlockend.
„Ich war noch nie alleine von zu Hause weg“, sagt Rawan. „Eine Woche lang nur mit Mädchen und Frauen zusammen zu sein, ist was Großes.“ Die Malteser möchten den Geflüchteten damit auch eine Woche Auszeit vom Alltag schenken. „In ihren Kulturen leisten sie in den Familien weit mehr als deutsche Jugendliche“, sagt Silvia Baumann. So begleiten sie oft ihre Eltern und Geschwister zu Behörden oder Ärzten, weil diese weniger gut Deutsch sprechen. Auch im Haushalt sind sie eingespannt. Um das Zeltlager finanzieren zu können, ist der Malteser-Förderverein auf Spenden angewiesen.