Die Hand ist ein wenig schmaler geworden, aber den Hammer hat sie noch immer fest im Griff.
Zum ersten, zum zweiten, zum dritten.
Dann schwingt das Schlaginstrument nieder. Nicht brutal, aber auch nicht zögerlich. Sondern so bestimmt wie zigtausende Male zuvor schon. Und wieder ist damit ein Zuschlag erfolgt, schon wieder hat ein altes, gut gehütetes, vielleicht sogar geliebtes Stück einen neuen Besitzer gefunden.
Und Carlo Karrenbauer hat seine Arbeit gemacht. Für den Moment, denn in der Auktion sind noch ein paar hundert weitere Lose. Rolex-Uhren, Biedermeier-Möbel, Märklin-Modelleisenbahnen, Montblanc-Füller. Was die Leute halt so sammeln.
Unglaublich, was manche Leute so sammeln
Es gibt Dinge, von denen auch Carlo Karrenbauer selbst kaum glauben kann, dass jemand an ihnen ein besonderes Interesse hat. So wie die spanischen Weihwassergefäße. Kleine Zeugnisse der Religiosität, wie sie in dem katholischen Land – und nicht nur dort – früher in fast jedem Schlafzimmer hingen. Irgendwann in den Wirren des spanischen Bürgerkriegs lagen sie, sprichwörtlich hinausgeworfen, auf der Straße. So viel Gottvertrauen darf nicht in den Müll, dachte sich ein deutscher Kaufmann, der in den 1930er-Jahren in Madrid lebte. Ihm kaufte ein Arzt aus Konstanz die Sammlung ab, und dessen Nachlass lieferten die Erben schließlich beim Karrenbauer, wie man in der Stadt sagt, sein.

Wer mehr verkaufen will als eine Ware, braucht eine Geschichte
Dieser Karrenbauer weiß: Sein Geschäft lebt von den Geschichten. Aus einem Produkt wird erst ein begehrenswertes Sammelstück, wenn es etwas zu erzählen hat.
Das hat er gelernt in einem langen und immer wieder überraschenden Leben, in dem auch der heutige 80. Geburtstag noch lang keinen Wendepunkt in Richtung Ruhestand markiert. Gelernt hat Karrenbauer, gebürtiger Saarländer, den Journalismus beim Bayerischen Rundfunk. Nach Konstanz kam er über die Universität, und eher durch Zufall wurde ihm vor fast genau 40 Jahren die Versteigerung eines Altstadt-Wohnungsinventars angetragen. Vermutlich, weil Carlo Karrenbauer einfach gut reden und Menschen für alle möglichen Dinge begeistern konnte.
Aus einer Idee wurde ein erfolgreiches Geschäft
Und so wurde aus einer Idee im Jahr 1979 ein Beruf und aus einem Beruf eine Berufung. Was eine einmalige Aktion bleiben sollte, wurde zum Lebensunterhalt. Die 276. Auktion in der herrschaftlichen Beletage an der Oberen Laube steht im März an, und auch für die folgende 277. Versteigerung sind schon die ersten Lose da. „Allein zwischen Weihnachten und Dreikönig habe ich wieder vier Nachlässe bekommen“, sagt Karrenbauer, halb seufzend, halb geschmeichelt, „die Nachfrage ist einfach da.“
Wer zu viel verspricht, verspielt schnell alles: das Vertrauen der Kunden
Wer alte Dinge mit Wert aufladen und zu einem guten Preis verkaufen will, muss vor allem: viel wissen. Wenn zum Geschäftssinn nicht gute Kenntnisse in Kunst, Geschichte, Handwerk, Lebensgefühl und Gesellschaft kommen, fliegt ein Auktionator bald auf. Gründliche Recherche ist Karrenbauer deshalb wichtig. Weil er es seinen Kunden – auf der Bieter- wie der Einliefererseite – schuldig ist, mehr aber noch sich selbst. „Wer das Vertrauen einmal verspielt hat in unserem Geschäft“, sagt Karrenbauer, „bekommt es kaum wieder zurück.“
Auch im Ebay-Zeitalter ist der Saal an der Laube noch voll von Bietern
Und genau deshalb, ist Karrenbauer überzeugt, funktioniert das Format Live-Auktion auch im Zeitalter von Ebay noch. Im Saal können sich die Interessenten die Stücke mit eigenen Augen ansehen. Sie haben einen Menschen aus Fleisch und Blut vor sich, der mit seiner Rechtschaffenheit dafür einsteht, dass die Dinge echt und gut sind.
Und dennoch kann er die Moderne nicht ausblenden. Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat Karrenbauer zusammen mit seinen Mitarbeitern ganz neu die Möglichkeit eingeführt, nicht nur wie seit Jahrzehnten am Telefon, sondern auch im Internet bieten zu können.

"Die Dinge bleiben, wir gehen. In Wirklichkeit gehört uns nichts"
Dass Wert und Alter keinen direkten Zusammenhang haben, sondern dass die Zuschreibung eines materiellen oder immateriellen Wertes ganz anderen Gesetzen gehorcht, hat Karenbauer schon einem großen SÜDKURIER-Interview zu seinem 70. Geburtstag vor zehn Jahren gesagt.
Die Frage lautete: „Sie sind umgeben von alten Dingen. Was heißt das fürs eigene Älterwerden? Macht einem das Angst, vermittelt es Zuversicht?“.
Und Karrenbauer antwortete: „Die Dinge bleiben, wir gehen. An einem Bodensee-Schrank haben sich schon vier, fünf Generationen gefreut. Sie haben in seiner Gegenwart gelacht, geweint, sie wurden geboren und sind gestorben. Der Schrank bleibt, aber uns sind die Dinge nur geliehen. Wir denken, das gehört uns alles, aber in Wirklichkeit gehört uns nichts. Mir macht dieser Gedanke eigentlich keine Angst.“

Zwischen kultiviert und eitel: Wie Carlo Karrenbauer die Rolle seines Lebens ausfüllt
Denn auch das ist Carlo Karrenbauer: Gern im Rampenlicht, mit stets gepflegtem Clark-Gable-Bärtchen, graue Haare gehen gar nicht, man könnte ihm Eitelkeit unterstellen und ihn für das halten, was man einst einen Stenz nannte.
Oder man weiß, dass dieser Carlo Karrenbauer einfach seine Rolle lebt und dass zu dieser Rolle auch eine ein entsprechender Auftritt gehört. Einer, der mit Umgangsformen, Rechtschaffenheit und Augenhöhe mit dem Lebensstil mancher Kunden ebenso zu tun hat wie mit einer gewissen Inszenierung. Das ist Carlo Karrenbauers Ritt auf dem schmalen Grat zwischen Manieren und Manieriertheit.

Sonntags sitzt er auf der Dingelsdorfer Orgelbank und spielt Kirchenlieder
Begleitet wird Karrenbauer auf diesem Weg durch die Zeit, in die Wohnungen der Verstorbenen, in all die improvisierten Auktionssäle der zahlreichen Benefiz-Versteigerungen für gute Zwecke und zwei Konstanten: seiner Frau Heidrun und seinem unerschütterlichen Glauben. Aus einer engagiert katholischen saarländischen Familie entstammend, trägt er das Engagement weiter. Bis vor wenigen Wochen hat er jeden Sonntag in Dingelsdorf in der Sonntagsmesse georgelt.
Wann es Zeit zum Aufhören ist, will Carlo Karrenbauer selbst entscheiden
Als Altstadt-Bewohner kam er zu dem Engagement, weil ein Onkel von ihm dort einst seinen Ruhesitz als Pfarrer nahm. Und weil er, Sohn eines Militärkapellmeisters und späteren Organisten, schon als Klavierschüler auch die Kirchenorgel für sich entdeckt hatte. Nach 30 Jahren Engagement, unterbrochen nur durch Ferien und die fünf Sonntag nach den Auktionen jeweils am Vortag, hat er vor Weihnachten aufgehört. Die linke Hand will nicht mehr so. Und bevor die Leute auch nur eine kleine Schwäche mitbekommen, hörte Karrenbauer lieber selbst auf.
Für gute Zwecke sammelte er weit über eine Million Euro ein
Das Geschäft aber geht weiter. Auch die vielen sozialen und religiösen Versteigerungen, bei denen er immer auf sein Aufgeld verzichtet und die in den vergangenen 40 Jahren eine Millionensumme für gute Zwecke erlöst haben.
Und auch in seinem eigenen Auktionshaus. Zu groß ist noch der Kick, ein Kunstwerk unerwartet erst bei 54.000 Euro zuzuschlagen wir jüngst erst „Das zweite supergroße Gartentheater“ von Albin Brunovsky oder vor einem guten Jahr die „Berglandschaft“ des chinesischen Künstlers Zhang Daqian. Mindestgebot waren 8000 Euro, am Ende fiel der Hammer bei 370.000 Euro.
Im besten Fall gewinnen alle: 23 Prozent Aufgeld bleiben beim Auktionshaus
„Wenn ich meine Arbeit gut mache, haben alle etwas davon“, sagt Carlo Karrenbauer. Die Einlieferer haben einen guten Erlös, er ein schönes Aufgeld – 23 Prozent zahlt der Ersteigerer zum Gebot hinzu, inklusive Mehrwertsteuer. Davon lebt das Auktionshaus, deckt Kosten für Kataloge und Recherche, zahlt Räume und Gehälter.
Ja, sagt Carlo Karrenbauer, eigentlich könnte er schon aufhören. Aber ist das Lebensalter 80 wirklich ein Grund? Die Nachlässe jedenfalls werden nicht weniger: „Ich werde halt einfach noch gebraucht.“ Den Hammer wird er also nicht so schnell aus der Hand legen.