Drei Jahre, sagt Eberhard Klein, habe er gebraucht, um das Wollmatinger Ried wirklich zu kennen. Ein Jahr mit trockenem Wetter, ein normales Jahr und eins mit viel Wasser.

Heute kennt der 58-Jährige das Gebiet wie seine Westentasche. Denn vor mittlerweile 24 Jahren hat er die Leitung des Naturschutzzentrums übernommen.

Bild 1: Wir Menschen verändern die Natur, auch direkt vor unserer Haustür. Was das bedeutet, zeigt uns der beste Kenner des Wollmatinger Rieds
Bild: Wetschera, Wiebke

Seitdem hat sich im Wollmatinger Ried einiges gewandelt. Darauf blickt Klein mit gemischten Gefühlen: "Es gab viele schleichende Veränderungen, die einzeln nicht so aufgefallen sind", sagt Klein. Doch dadurch habe sich das Ried langfristig geändert. Vor allem der "Isolationsgrad" des Rieds habe sich immer weiter gesteigert. Der was? Das muss er erklären.

Für einige Arten geht es ums Überleben

Vom "Isolationsgrad" spricht der Biologe, wenn Teile einer Tierart nicht mehr auf umliegende Flächen ausweichen können – sie sind isoliert, in dem Gebiet sozusagen eingesperrt. Es gibt keine "Pufferflächen" mehr, in die Tiere wandern können. Ist das einmal passiert, dann findet kein Gen-Austausch zwischen unterschiedlichen Populationen mehr statt. Und das bedeutet: Die Art eine geringere Chance, zu überleben. Das kann der Anfang ihres Endes sein.

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"Das ist menschenbedingt entstanden und für die Arten sehr entscheidend", sagt Klein. Gemeint sind vor allem bauliche Maßnahmen, durch die sich das Gebiet rund ums Ried in den vergangenen Jahren gewandelt hat. "Der Bau der B 33 im Jahr 2007 war für uns zum Beispiel eine riesige Veränderung", erinnert sich Klein.

Aktuell wird die B 33 weiter ausgebaut – ein erneuter Einschnitt. Die Mitglieder des Naturschutzbundes hatten sich für einen seenahen Ausbau ausgesprochen, der nun auch realisiert wird. "Sonst wäre durch viele unserer Schutzgebiete gebaut worden", sagt Klein. Und es wären weitere isolierte Flächen entstanden.

Bild 2: Wir Menschen verändern die Natur, auch direkt vor unserer Haustür. Was das bedeutet, zeigt uns der beste Kenner des Wollmatinger Rieds
Bild: Wetschera, Wiebke

Ausgleichsmaßnahmen können der Natur helfen

Als Ausgleich für die Erweiterung der Straße gab es für das Gebiet unter anderem eine Grünbrücke, über die Tiere auf die andere Seite gelangen können. Zudem wurden Gräben angelegt, die Tieren auch unterirdisch einen Weg bieten, auf die andere Seite der breiten Straße zu gelangen.

Ist er wütend auf die Straßenbaumaßnahmen? Nein, sagt Klein: "Ich habe eher einen Groll auf die Gesamtentwicklung mit dem Siedlungsbau und dem Umgang mit der Natur."

"Ich weiß, dass sich die Stadt noch weiter ausbreiten wird"

Die Erweiterung des Industriegebiets und der neue Stadtteil Hafner, der im Jahr 2025 fertig sein soll, sorgen dafür, dass sich Pufferflächen in erreichbarer Nähe des Rieds weiter ausdünnen werden. Und das wird auch künftig so weitergehen, da ist sich Klein sicher: "Ich habe die Gewissheit, dass sich die Stadt noch weiter ausbreiten wird. So viel Realismus habe ich noch."

Gleichzeitig wolle er dagegen ankämpfen – alles könne der Naturschutzbund aber nicht verhindern. Klein findet deutliche Worte: "Für unsere Unfähigkeit, mit begrenzten Ressourcen umzugehen, darf die Natur nicht büßen", sagt er.

Im Moment sind im Wollmatinger Ried die vier Zentimeter großen Smaragd-Libellen zu sehen. Bild: Robert Hahn Bauer
Im Moment sind im Wollmatinger Ried die vier Zentimeter großen Smaragd-Libellen zu sehen. Bild: Robert Hahn Bauer | Bild: Wetschera, Wiebke

Bewusstsein für Naturschutz fehlt

Was Klein in den vergangenen Jahren festgestellt hat, ist eine Veränderung der Gesellschaft. Umweltschutz sei heute keine große Streitfrage mehr, alle Welt wolle sauberes Trinkwasser und versuche Müll zu vermeiden.

Dem Naturschutz hingegen fehle die gesellschaftliche Anerkennung: "Die Arbeit wird meist lächerlich gemacht." Klein vermutet, dass das am mangelnden Kontakt zur Natur liegen könnte. "Nicht alle Konstanzer waren schon mal hier im Ried", sagt er. Obwohl es Teil ihrer Stadt ist.

Auch Kinder seien weniger draußen, würden nicht mehr in der Natur aufwachsen. Um das Bewusstsein zu verändern, sei direkte Erfahrung mit der Natur wichtig – anfassen, fühlen, riechen, schmecken. Das ist im Wollmatinger Ried wegen des Schutzbedarfs nicht so einfach möglich.

Es gibt jedoch Gebiete etwas außerhalb, in denen der Naturschutzbund künftig Naturerlebnisstationen aufbauen will, um die Natur den Besuchern näher zu bringen. "Man kann nur das schützen, was man auch kennt", sagt Klein.

Bild 4: Wir Menschen verändern die Natur, auch direkt vor unserer Haustür. Was das bedeutet, zeigt uns der beste Kenner des Wollmatinger Rieds
Bild: Wetschera, Wiebke

Hochwasser und Trockenheit sind Herausforderungen

Extreme Wetterlagen, die immer häufiger vorkommen, greifen das Ried zusätzlich an. Das Hochwasser 1999 habe dafür gesorgt, dass die Larven einer riesigen Schmetterlingspopulation allesamt ertrunken seien. Die Trockenheit in diesem Sommer habe Auswirkungen auf den Insektenbestand gehabt. Singvogelarten wie der Star hätten daher nur wenig Futter gehabt. Welche Folgen dieser Sommer tatsächlich hat, lässt sich aber noch nicht abschätzen. Fest steht: "Ich habe die Wiesen im Ried noch nie so trocken erlebt wie jetzt", sagt Klein.

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So, wie Eberhard Klein das Wollmatinger Ried vor 24 Jahren übernommen hat, ist es heute nicht mehr. Neue Arten kamen hinzu, andere sind nicht mehr zu finden. "Natürlich wäre es am besten, wenn der Mensch sich zurückhält", sagt Klein.

Was Wollmatinger Ried wird sich weiter wandeln. Wie, das kann selbst Klein nicht sagen.