Wer in den 70er, 80er oder auch noch 90er Jahren in Konstanz unterwegs war, kennt sie noch, die riesigen Schwärme von Möwen, die im Hafen kreisten oder die Fähren von der Luft her bevölkerten. Es schien so, als würden die gefiederten Tiere uns Menschen von Herzen auslachen – ihre Schreie waren so einprägsam, dass sie heute noch präsent sind. Sie selbst jedoch sind seltener geworden.
Das bestätigen die Menschen, die die Entwicklung kennen und hautnah miterlebt haben. Zum Beispiel Hubert Boxler, der seit 30 Jahren auf der Fähre arbeitet. „Es ist in der Tat so, dass die Möwen nicht mehr in der hohen Anzahl zu sehen sind“, sagt er. „Die Menschen füttern sie nicht mehr so wie früher. Das mag ein Grund dafür sein, dass sie nicht mehr um die Schiffe herumfliegen.“
Fütterungsverbot auf der Fähre
Die Stadtwerke bestätigen ihren Mitarbeiter: „Das Fütterungsverbot existiert seit ein paar Jahrzehnten und ist auch in den Beförderungsbedingungen zu finden“, erklärt Pressereferent Christopher Pape. „Das hat zum einen hygienische Gründe, da durch den Kot der Möwen Verunreinigungen entstehen und Krankheiten übertragen werden können. Zum anderen kann der Kot auch zu Korrosionsschäden beispielsweise an den Dalben führen.“ Diese in den Seegrund eingerammten Pfähle sind nach wie vor beliebte Orte für die Wasservögel, um sich auszuruhen. Jedoch ist es nicht nur das Fütterungsverbot, das den Rückgang der Möwenpopulation bestätigt.
Rund ein Drittel weniger heimische Möwen
Die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Bodensee (OAB) zählt seit rund 50 Jahren zwischen September und April, wenn der Bodensee aufgrund seiner guten Überwinterungsmöglichkeiten internationale Bedeutung hat, die Anzahl der Vögel. „Früher waren es rund 30 000 bis 40 000 Lachmöwen im Winter“, erzählt Harald Jacoby von der OAB, „heute zählen wir nur noch 10 000.“ Er spricht von einer Entwicklung, bei der man nicht weiß, wie sie weitergeht. Im Wollmatinger Ried brüten derzeit nur noch 20 Paare, vor wenigen Jahren waren es über 100. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Vögel womöglich sogar aussterben. "Nein, das kann man nicht sagen. Einige unserer heimischen Paare wandern auch ganz gerne aus und lassen sich woanders nieder."
Einwanderung fremder Möwen
Ein weiterer Grund für die Abnahme heimischer Möwen ist die Einwanderung fremder Populationen. So ist seit einigen Jahren beispielsweise die Mittelmeermöwe am Bodensee heimisch; auf der Liebesinsel bei der Mettnau hat sich eine große Population niedergelassen. „Die sind viel größer als unsere Lachmöwen“, so Harald Jacoby. „Außerdem sind das Predatoren, die die heimischen Wasservögel angreifen.“ Warum wandern, beziehungswiese fliegen diese fremden Tiere in unserer Gefilde ein? Liegt das am Klimawandel? „Daran könnte es liegen“, sagt Harald Jacoby. „Doch das ist schwer zu ergründen. Das könnte auch an der Abfallpolitik der Europäischen Union liegen.“
Immerhin sagt der Fachmann: „Wenn es Juli und August wird – dann werden wir wieder mehr Möwen als derzeit rund um die Fähren sehen. Diese Tiere gehören ja irgendwie zum Summerfeeling am Bodensee dazu.“ Er sagt aber auch: "Es gab Zeiten, in denen Bootsbesitzer sich massiv beschwert haben, weil die Möwen ihre Boote vollgeschissen haben." Alles eine Frage der Perspektive.
Die Tatsache, dass er überzeugt ist von der zukünftigen Anwesenheit der traditionellen Vögel, liegt rund 30 Kilometer entfernt: "Im Rheindelta bei Bregenz brüten derzeit über 1000 Paare, die sich in den kommenden Wochen und Monaten über den See verteilen werden." Das sei Jahr für Jahr zu beobachten – auch wenn seit rund drei Jahren dort ein Fuchs sein Unwesen treibt und Jungvögel frisst. "Dieses Problem ist durch Kameras erkannt und das wird zu lösen sein", sagt Harald Jacoby.
Krähen drängen in die Siedlungen
Ein weiteres Thema bei den Ornithologen sind die Krähen, deren Population gefühlt zunimmt. "Es sind nicht mehr als sonst", erklärt Harald Jacoby. "Doch die Tiere erleben eine Verstädterung. Das heißt: Sie erfahren, dass in den menschlichen Siedlungen etwas zu holen gibt, weil sie hier gefüttert werden. Also kommen sie näher zu Siedlungen." Darüber hinaus ist zu beobachten, dass Krähen aus Meersburg oder Uhldingen gegen Abend in den Uni-Wald oder zum Hohenegg fliegen, um hier zu übernachten. Auch Fisch- und Graureier, die in den vergangenen Jahren vermehrt auftauchen, seien nicht unbedingt in größerer Anzahl zu verzeichnen, wie Harald Jacoby sagt: "Auch diese Vögel sind mit uns Menschen immer vertrauter und kommen uns immer näher."
Möwen
Die Möwen bilden eine Vogelfamilie innerhalb der Ordnung der Regenpfeiferartigen. Die Anzahl der farbmarkierten Möwen hat am Bodensee in den letzten Jahren zugenommen – dies sind jedoch weniger heimische Tiere als solche, die temporär zur Überwinterung hier bleiben. Die Meldeplattform www.ornitho.ch erleichtert das Melden von markierten Vögeln, was die Zunahme der Meldungen ebenfalls beeinflusst haben dürfte. Die meisten Möwenarten leben an den Küsten. Einige Arten, wie die Bodensee-Lachmöwe, brüten auch im Binnenland, vor allem an größeren Gewässern. Nur wenige, wie die Dreizehenmöwe, leben den Großteil auf hoher See. Manche Arten, beispielsweise die Silbermöwe, sind zum Kulturfolger geworden und bevölkern im Winter Müllhalden, Klärteiche und fischverwertende Betriebe. Möwen sind ausgezeichnete Segelflieger, insbesondere bei starkem Wind. Sie suchen vor allem den Strand nach Nahrung ab und jagen manchmal anderen Vögeln die Beute ab. Wenn sie nach Nahrung tauchen, dann sind nur der Kopf und ein Teil des Körpers unter Wasser.