Wenn Gertrud Hapke in diesen Tagen die Berichte über die Flüchtlingsströme sieht, steigen in ihr immer häufiger Erinnerungen an eine Zeit auf, in der sie für alle noch das Trudchen war. Damals war die gebürtige Danzigerin acht Jahre alt und musste ihre Heimat verlassen. Ihre Familie floh im Winter 1944/1945 vor der vorrückenden Roten Armee. Gespenstische Bilder sind der heute 79-Jährigen von der damaligen Flucht in Erinnerung geblieben. Es sind die Eindrücke eines Mädchens, das nur vage verstand, was vor sich ging. Sie berichtet, wie sie in einen Leiterwagen gepackt und aus der Stadt gezogen wurde. Sie hat Straßen vor Augen, in denen tote Menschen und Pferde lagen, und wie ein Mann im Rollstuhl aus dem brennenden Obergeschoss eines Hauses stürzte. Ihre Familie hoffte auf eine Flucht über die Ostsee, so wie Zehntausende andere. Ihr gelang es, nach den Schilderungen von Gertrud Hapke, die Danziger Bucht zu erreichen, wo sie auf das Schiff Wilhelm Gustloff wollte. Im Hafen dann aber sei etwas explodiert, vermutlich eine Handgranate. Sie wisse nur noch, wie sie in einen Busch mit Dornen geschleudert wurde. Dieser Zwischenfall habe ihr höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. Denn die unverletzt gebliebene Familie habe dadurch die Abfahrt des Schiffs verpasst, das wenig später sank. Die Wilhelm Gustloff wurde auf See vom Torpedo eines sowjetischen U-Boots getroffen. Mehr als 9000 Menschen starben.
Der Familie sei es gelungen, ein anderes Schiff zu nehmen, mit dem sie nach Dänemark übersetzten. Dort habe man die Neuankömmlinge keineswegs freundlich empfangen. Der Plan, die Kinder in die Schule zu schicken, sei aus Angst vor aufgebrachten Dänen fallen gelassen worden, die mit Brandstiftung drohten, erinnert sich Hapke. Sie und ihre Familie seien in Baracken verfrachtet worden, die Gefängnissen glichen. Als sie zehn oder elf Jahre alt war, habe ihre Familie wieder nach Deutschland zurückkehren können. Auf einem Viehwagen hätte sie Konstanz erreicht, wo sie in den Baracken von Egg Unterkunft fand. Das schönste Erlebnis dort: Das Foto einer Mitbewohnerin brachte die Familie auf die Spur der ältesten Schwester, die in Danzig geblieben war. Auch sie hatte den Krieg überlebt.
Gertrud Hapke kam in Engen erstmals auf eine Schule. Obwohl sie nicht lesen und schreiben konnte, kam sie gleich in die dritte Klasse. Eine Frau, die sie in Engen kennenlernte, sei ihr eine Stütze gewesen, die ganzen Schwierigkeiten als Außenseiterin zu überwinden: „Sie war für mich wie eine Pflegemutter.“ Mit deren Tochter habe sie bis heute Kontakt. Gertrud Hapke machte sich kürzlich auf zu den Flüchtlingen in der Wessenberghalle, um ihnen Geschenke zu überbringen. Die 79-Jährige erinnerte sich genau, dass es Zeiten gab, in denen sie die Fremde war.