Sandra Baindl

„Moin Leude“ – ganz so, wie er die 50 000 Follower auf seinem Youtube-Kanal begrüßt, machte es der Ex-Neonazi und Rechtsrocker Philip Schlaffer mit dem Publikum in der Fahrkantine bei einer Gesprächsrunde mit Kreisjugendreferent Stefan Gebauer.

Dieser kannte den gebürtigen Lübecker von früheren Veranstaltungen und hatte ihn in drei Hegauer Schulen und zu zwei weiteren Abendveranstaltungen zum Thema Gewaltprävention eingeladen. Denn wer anders als ein ehemaliger Intensivgewalttäter kann authentisch darüber sprechen?

Rechtsextreme Graffitis in Gottmadingen

Das Gespräch in Gottmadingen kam auf Initiative von Jugendpfleger Alexander Papp zustande. Hintergrund waren hier rechtsextreme Graffiti-Schmierereien, die vor einem Jahr in Gottmadingen auftauchten und wogegen Gemeinde und Einwohner klar Stellung bezogen.

Schonungslos berichtete Schlaffer fast drei Stunden lang den gebannten Zuhörern aus seinem früheren Leben, zeigte auch Bilder und Videos aus dieser Zeit, stand Rede und Antwort. Dabei war ihm deutlich anzumerken, wie sehr ihn sein altes Leben noch bewegt.

Als Kind erfährt er Ablehnung

Philip Schlaffer stammt aus einem gutbürgerlichen Elternhaus. Das erste einschneidende Erlebnis in seiner Kindheit ist der Umzug der Familie ins nordenglische Newcastle, der nur unter Schlaffers Protest stattfindet. Er war damals zehn Jahre alt. Dort erlebt er zum ersten Mal, wie es ist, abgelehnt zu werden, und lernt zu hassen, wie er sagt. Seine, Eltern, die ihm das angetan hatten, sein Umfeld, das ihn nicht akzeptiert.

Drei Jahre später, nach doch noch gelungener Integration, geht es wieder zurück nach Deutschland. Auch hier erfährt er wieder Ablehnung. Zum zweiten Mal in seinem Leben steht er ohne Freunde da und fühlt sich als Opfer. Vom Gymnasium verwiesen landet er auf der Realschule.

Schlaffer findet Trost in der Musik

Während er beim Vater Liebe und Anerkennung vergeblich sucht, findet er Trost in der Musik. Zunächst bei den Böhsen Onkelz, später bei anderen, teils illegalen Gruppen. Diese Musik ist sein Einstieg in den Rechtsextremismus. Die dort propagierten antisozialen Texte sprechen Schlaffer an, er radikalisiert sich immer weiter und führt ein Parallelleben.

Zum einen absolviert er seine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann mit Auszeichnung, zum anderem spielt Gewalt eine immer wichtigere Rolle. Denn er will nicht länger Opfer sein und findet bei seinen Gleichgesinnten die Anerkennung, die ihm bislang versagt geblieben war.

Erste Hausdurchsuchung mit 17

Mit 17 findet die erste Hausdurchsuchung bei ihm statt, mit 19 wandert er zum ersten Mal ins Gefängnis. Er erwirbt illegal Waffen, mit denen er sich gerne präsentiert. Vom anfänglichen Patrioten entwickelt er sich über die Jahre zum Rassisten, Antisemiten und Nationalsozialisten.

Nach und nach arbeitet Schlaffer sich in der Szene nach oben und zieht 2001 der Liebe wegen nach Wismar. Er gründet einen Neonazi-Versandhandel, eröffnet den Werwolfshop, einen Treffpunkt für Rechtsradikale, sowie ein Tattoo-Studio und vertreibt illegale rechtsextreme Musik.

Neue Karriere im Motorradclub

Silvester 2006/2007 bringt dann die Wende. Fünf seiner Freunde bringen unter starkem Alkoholeinfluss einen Bekannten um. Das ist selbst für den gewalterprobten Schlaffer zu viel. Er bricht mit seinen alten Freunden und gründet einen eigenen Motorradclub: die Schwarze Schar Wismar.

Dabei rückt die Politik in den Hintergrund, Geldverdienen ist jetzt wichtiger. Und zwar im Rotlichtmilieu, mit Drogenhandel und Schutzgeld­erpressung. Er rutscht immer weiter in die Illegalität. 2013 steht er auf dem Zenith seiner Macht, doch glücklich ist er dabei nicht und wird krank.

Ausstieg im Jahr 2014

Schlaffer nennt es „Gangster-Burnout“: Migräne, Schlafstörungen, Depressionen. Den Clubmitgliedern gegenüber muss er sich weiter als der starke Anführer präsentieren. So kommt es ihm sehr gelegen, dass die Schwarze Schar Wismar im Januar 2014 verboten wird. Für ihn die Gelegenheit, erhobenen Hauptes zu gehen.

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Er kehrt zu seiner Familie zurück und beschäftigt sich mit Buddhismus. Es mag Ironie des Schicksals sein, dass ihn die Justiz ein halbes Jahr später doch noch wegen Drogenhandels belangt und er mehr als zwei Jahre im „Hotel Gitterblick“ verbringt, wie er es nennt.

Aktiv im Verein Extremislos

Im Gefängnis trifft er auf den Psychologen Kai Gau, der erkennt, dass es Schlaffer gelingt, Menschen zu bewegen, und erarbeitet gemeinsam mit ihm ein Konzept zur Gewaltprävention. Seitdem ist Schlaffer mit seinem Verein Extremislos aktiv, mit dem Jugendliche gegen extremistische Weltbilder jeglicher Art gestärkt werden sollen.

Der Ex-Neonazi bringt es schließlich auf eine einfache Formel: Wer Liebe und Anerkennung erfährt, radikalisiert sich nicht.