Der ehemalige städtische Müllverbrennungsplatz im Gewann Biswurm nördlich vom Stadtgebiet Villingen gilt als schlimmste Bodenverseuchung in ganz Baden-Württemberg. Jetzt sollen die Altlasten im Boden durch eine neue Straße zugedeckt werden. Die Trasse für die geplante Nordumfahrung Villingens, der umstrittene Lückenschluss B523 soll genau hier durchführen.
Gehen von diesen Altlasten noch Gefahren aus? Und können die geplanten Straßenbauarbeiten dazu führen, dass die Giftstoffe im Boden in Bewegung geraten und Gefahren für Natur, Grundwasser und den Menschen verursachen? Die Stadt und das Regierungspräsidium Freiburg, so hat der SÜDKURIER, recherchiert, halten das für unwahrscheinlich.
Doch Anlieger im Wohngebiet Haslach, die sich gegen den geplanten Straßenbau zur Wehr setzen, sind skeptisch. Sie fürchten, dass sich noch immer tonnenweise giftige Altlasten am ehemaligen Verbrennungsplatz im Erdreich befinden könnten.
Rückblende: Nach verschiedenen Erkundungen hat die Stadt 2004 den Versuch gestartet, die giftige Erblast des Verbrennungsplatzes, der von 1960 bis 1974 betrieben wurde, zu entsorgen. Zunächst mit einem Bodenaustausch bis drei Meter Tiefe, anschließend mit einer jahrelangen Grundwasserreinigung.

Letztere erwies sich als wenig effizient, sodass ab 2009 ein Feldversuch mit der damals neuen Methode der Dampf-Luft-Injektion (DLI) gestartet wurde. Von 2012 bis 2018 folgte schließlich eine umfassenden DLI-Sanierung.
Dazu wurde heißer Dampf in den Untergrund geblasen, um die Kohlenwasserstoffe in einen gasförmigen Zustand zu bringen, die nach oben steigen. Dort wurden sie dann abgesaugt. 2018 wurde das DLI-Verfahren abgeschlossen, inzwischen befindet sich das Altlastengebiet amtlich in der Sanierungsnachsorge.
Sanierung verschlang sieben Millionen Euro
Für die Steuerzahler war die Sanierung des Umweltdebakels ein teures Unterfangen. Insgesamt haben Stadt und Land fast sieben Millionen Euro aufgewendet.
Doch was hat dieser Sanierungsaufwand erreicht? Nach einem Sachstandsbericht, den die Stadtverwaltung am 26. Juni 2021 dem Gemeinderat zur Kenntnis gegeben hat, konnten mit dem Dampf-Luft-Verfahren rund fünf Tonnen leichtflüchtige, halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) aus dem Boden entfernt und die Schadstoffbelastung im Grundwasser „um mehrere Zehnerpotenzen gesenkt werden“. Die LKHW-Konzentration im Sickerwasser sank von 80.000 Mikrogramm (µg) pro Liter Wasser auf unter 50 µg. Ein Mikrogramm entspricht einem millionstel Gramm.
Ist damit alles in bester Ordnung? Offenbar nicht, zumindest nicht vollständig. Denn es gibt noch immer Schadstoffe im Untergrund. Die Behörden sprechen von einer Restbelastung. Wie groß diese sind oder geschätzt werden, wird aber, zumindest öffentlich, nicht beziffert.
„Restbelastungen“ weiterhin im Boden
In ihrem Nachsorge-Monitoring gehen die zuständigen Behörden unter Federführung des Landratsamtes zwar davon aus, dass die LHKW-Belastungen bis in fünf Metern Bodentiefe am ehemaligen Verbrennungsplatz „nachhaltig reduziert“ wurde.
Doch darunter, in der Kontaktgrundwasserzone, seien lokal noch „Restbelastungen“ im Boden. Dabei geht es um die Bodenzone in zehn bis zwölf Metern Tiefe. Wenn der Grundwasserspiegel in diesem Gelände höher steht, so heißt es in dem Bericht, werden diese Giftstoff-Reste von Grundwasser durchströmt.
Prüfwerte werden deutlich überschritten
Dann geraten Schadstoffe ins Grundwasser. „Die Prüfwerte werden hier teilweise deutlich überschritten“, heißt es in dem Sachstandsbericht. Wenn der Grundwasserspiegel höher liege, komme es „zu hohen LHKW-Konzentrationen im abstromigen Grundwasser“. Wie hoch diese Prüfwerte überschritten werden? Dazu gibt es keine Aussagen.
In 20 bis 37 Metern Tiefe, so heißt es weiter, gebe es keine wasserrechtlich relevanten Belastungen mit LHKWs mehr. Aber: Sobald die hydraulische Sicherung im Grundwasserbereich abgeschaltet werde, „kommt es auch dort aktuell noch zu Prüfwertüberschreitungen“.
Schadstoffzone soll weiter überwacht werden
Deshalb soll die Überwachung des Altlastenbereichs weiterhin fortgesetzt werden. Das hat die zuständige „Altlastenbewertungskommission“, die sich aus Vertretern der Stadt und verschiedener Fachbehörden des Landratsamtes, des Regierungspräsidiums und des Landes zusammensetzt, beschlossen. Das Grundwasser wird weiterhin regelmäßig untersucht und beobachtet. Die Kommission will überprüfen, ob der noch vorhandene Restschaden im Untergrund toleriert werden kann oder weitere Maßnahmen erforderlich werden.
Die Grundwasserreinigungsanlage indes wurde bereits 2019 abgeschaltet: Zu ineffektiv und zu kostspielig, urteilten die Behörden.
RP: Größere Schadstoffreste „unwahrscheinlich“
Das Regierungspräsidium (RP) Freiburg erklärte jetzt aktuell auf SÜDKURIER-Anfrage, dass nach den langen Jahren der Sanierungstätigkeit keine Gefahr mehr gesehen werde. Größere Schadstoff-Reste im Untergrund „konnten im Rahmen des Sanierungsmonitorings weitgehend ausgeschlossen werden“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme.
Dass der geplante Straßenbau im Altlastenbereich neue Umweltgefahren erzeugen könnte, wird vom Regierungspräsidium ebenfalls negiert: Vor dem Hintergrund der Trassenplanung für die Bundesstraße 523 (Lückenschluss) „halten wir eine Mobilisierung von Schadstoffen im Bereich der angesprochenen Altablagerung für unwahrscheinlich“, heißt es dazu.

Positive Effekte durch Versiegelung
Außerdem erklärt das RP: „Wie Erfahrungen aus vergleichbaren Sanierungsprojekten zeigen, können durch die Versiegelung der Fläche gegebenenfalls positive Effekte erzielt werden. Von einer Verschlechterung ist nicht auszugehen.“
Einer, der diesen Versicherungen der Behörden mit Skepsis begegnet, ist der Anwohner Anton Karle, der im Wohngebiet Haslach wohnt. Der promovierte Maschinenbau- und Elektro-Ingenieur interessiert sich seit 15 Jahren für die desaströse Altlasten-Verseuchung vor seiner Haustür.

Als die Stadt die Bodensanierung vor fünf Jahren eingestellt hat, bemühte er sich in fünf Briefwechseln mit dem verantwortlichen Landratsamt sowie der Stadtverwaltung darum, sich weiter zu informieren und offene Fragen zu klären.
Ein Bürger bohrt bei Behörden nach
Offene Fragen hat Karle noch mehrere: So weist er darauf hin, dass die Experten in den Jahren 2007/08 davon ausgingen, dass zehn Tonnen halogenierte Kohlenwasserstoffe in den Untergrund gelangt seien. Nach Aussage der Behörden sind mittlerweile aber nur fünf Tonnen saniert worden. Der Rest müsste sich demnach noch im Untergrund befinden.
Außerdem gingen die Behörden ursprünglich von weiteren fünf Tonnen anderer Kohlenwasserstoffe aus, die sich im Erdreich befinden. Was ist mit diesen? Im Sachstandsbericht an den Gemeinderat tauchen dazu keine Informationen auf. Diese Schadstoffe können nicht mit einer Dampf-Luft-Injektion an die Oberfläche geholt und entsorgt werden. Liegen sie also, entgegen den Aussagen des RP, noch tonnenweise im Untergrund?
Der Oberbürgermeister, berichtet Karle, habe diesen Verdacht ihm Schriftwechsel mit ihm zurückgewiesen. Die Schadstoff-Angaben vor Beginn der DIL-Sanierung seien, so der OB, Schätzungen und Berechnungen auf mathematischer Basis gewesen. Diese hätten sich aber nicht bestätigt.
Schadstoffberichte bleiben geheim
Dem Ingenieur erscheint dies alles sehr undurchsichtig. Die Altlastenbewertungskommission tage immer nichtöffentlich. Ihre Berichte: nicht für die Öffentlichkeit. Ein Abschlussbericht? Liegt bis heute nicht vor. Und ein solcher soll der Öffentlichkeit auch nicht bekannt gemacht werden. Oberbürgermeister Roth habe ihm schriftlich mitgeteilt: Eine Veröffentlichung des Abschlussberichts sowie der fortführenden Monitoring-Berichte der Fachbehörden sei, so Zitat, „außerhalb der zuständigen Behörden nicht angedacht“. Daher wurde dem Anwohner auch der Einblick in den Monitoringbericht von 2021 verweigert.
Für Anton Karle ist diese Intransparenz nicht akzeptabel. „Aus meiner Sicht geht das für ein gefördertes und wissenschaftlich begleitetes Projekt gar nicht. Bei der überragenden Wichtigkeit des Themas hat die Öffentlichkeit ein Recht auf diese Information.“
Neue Gefahren durch bauliche „Wühltätigkeit“?
Außerdem sieht er die Gefahr, dass im Bereich Mönchsee, wo die Bundesstraße nach der favorisierten Trassenvariante 1 auf drei Brückenpfeiler gestellt werden soll, die Grundwasserströme durch bauliche „Wühltätigkeit“ verändert werden. Möglicherweise würden dadurch bisher immobile Schadstoffe im Untergrund angekratzt und gelangten ins Grundwasser.
Die bisherigen Aussagen der Stadt findet Karle ungenügend. „Ich will mich nicht mit der Aussage beruhigen lassen, dass der Untergrund bis fünf Meter Tiefe saniert wurde“, betont er. Ihm gehe vielmehr darum, dass dieser Altlastenbereich „sauber saniert wird“. Und daran hat er seine Zweifel.