In Zeiten der Energieknappheit ein funktionierendes Wasserkraftwerk abzureißen, das ist keine leichte Entscheidung. Die Stadt Rottweil hat sie im vergangenen Jahr dennoch getroffen, um den Neckar unterhalb der mittelalterlichen Stadt zu revitalisieren. Doch nicht alle finden das gut.
Mit Blick auf die Landesgartenschau, die 2028 in Baden-Württembergs ältester Stadt geplant ist, möchte die Kommune den bislang weitestgehend begradigten Fluss zu einem natürlichen Gewässer zurückbauen – und damit neuen Lebensraum für Tiere und ein Naherholungsraum für die Menschen schaffen.
Der Fluss kann wieder fließen
„Mit dem Rückbau des Wasserkraftwerks verfolgen wir zwei Ziele: Einerseits bekommt der bisher aufgestaute Neckar auf zwei Kilometer Länge wieder die Chance, frei zu fließen“, erläutert Tobias Herrmann, der Pressesprecher der Stadt. So habe man die Möglichkeit, den Neckar zu revitalisieren und den Hochwasserschutz zu stärken.
Besonders schwer gefallen ist diese Entscheidung der grünen Gemeinderatsfraktion, wie deren Sprecherin Ingeborg Gekle-Maier betont: „Selbstverständlich ist jede Erzeugungsanlage von erneuerbaren Energien wertvoll“, unterstreicht sie. Ihre Fraktion könne es absolut nachvollziehen, dass Kritiker, gerade auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der angespannten Energie-Versorgungssituation, den Abbau einer funktionierenden Wasserkraftanlage für eine krasse Fehlentscheidung halten.
Die Grünen fordern einen Ersatz
Die Grünen haben daher Ersatz gefordert, in der gleichen Leistung wie das bestehende Wasserkraftwerk. Und den verspricht die Stadt inzwischen: Neue Photovoltaikanlagen auf insgesamt gut 27 Hektar seien in Planung, berichtet Pressesprecher Herrmann. Nach Angaben der Betreiber könnten damit über 5000 Haushalte mit Strom versorgt werden. Laut Hermann mehr als eine Kompensation. „Zum Vergleich: das Wasserkraftwerk am Neckar versorgt rechnerisch rund 100 Haushalte.“
Bauchschmerzen hatten die Grünen dennoch, wie Gekle-Maier sagt. „Es war ein Abwägungsprozess, erleichtert wurde uns dieser, da der Konflikt zwischen Klima- und Naturschutz ja kein grundsätzlicher Konflikt ist: Klimaschutz ist immer auch Schutz des Naturhaushalts. Und mehr Biodiversität bindet auch mehr klimaschädliches CO2.“
Natürschützer sehen historische Chance
Und dann ist da noch der örtliche Naturschutzbund Deutschland (NABU), dessen Vorsitzender Bernd Franz sich für den Rückbau der Anlage ausspricht. Dies beinhalte eine erhebliche ökologische Aufwertung, ermögliche die biologische Durchgängigkeit für Fische und wirbellose Wasserorganismen, es entstünden Überflutungsflächen, Kiesbänke und Auenbereiche.

„Gerade unterhalb der Wehranlage ist der Neckar in ein enges Betonkorsett gezwängt und damit jeder Flussdynamik beraubt. Oberhalb des Stauwehrs gleicht der Neckar eher einem Stillgewässer als einem Fluss.“ So sieht der NABU hier die historische Chance, den Neckar wieder ein Stück weit zu einem naturnahen Fluss zu gestalten.
Diese Position ist wiederum Wasser auf die Mühlen der Stadt. Ein Riesengewinn sei dies für Mensch, Flora und Fauna, sagt Pressesprecher Herrmann. „Wir denken, dass von dieser Entscheidung insbesondere auch die nachfolgende Generation auf lange Sicht hin profitieren wird.“
Mit dem Rückbau soll es in diesem Jahr losgehen: Zunächst wird ein bestehender Teich erweitert, der Teichhuhn und Zwergtaucher für die Zeit der Bauarbeiten einen Ersatzlebensraum anbietet. Danach werde der Pegel im Staubereich schrittweise abgesenkt.
Freizeitbereich mit Badeverbot
„Voraussichtlich ab 2024 werden dann am Wehr die Schotten ausgebaut und auf Höhe des Schwarzen Felsens beginnen erste Baumaßnahmen im Zuge des Pegelneubaus, die auch bereits der naturnahen Ufergestaltung dienen.“ Dann sollen hier unterhalb der Stadtmauern Wege und Rastplätze entstehen, ein attraktiver Freizeitbereich. Allerdings ohne die Möglichkeit, im Neckar zu baden, zumindest nach derzeitigem Stand: Die Wasserqualität des Neckars ist zu schlecht, baden verboten.
Langfristig denkt die Stadt an einen neuen Stadtteil hier unten, der „Neckarauenpark“ soll Leben, Arbeiten und Wohnen in der Innenstadt attraktiver machen. Das wünscht sich zumindest der neue Oberbürgermeister Christian Ruf.