Sind Marian Schreiers Tage in Tengen gezählt? Boris Palmers Wink mit dem Zaunpfahl bei seiner Rede am Samstag im Festzelt des Tengener Schätzelemarktes war für die rund 2000 Besucher unmissverständlich. Der Oberbürgermeister aus Tübingen und eigenwillige Kopf der Grünen sprach zu bundespolitischen Themen und als es dabei um die Jamaika-Koalitionsverhandlungen in Berlin ging, zeigte der Redner Verständnis für die Regierungsverweigerung der SPD. Diese sei gut beraten, erst einmal zuzuwarten, bis in den eigenen Reihen der Nachwuchs nach oben komme.
Es handelte sich um eine Verneigung vor dem 27-jährigen Bürgermeister von Tengen mit SPD-Parteibuch und im Zelt ist man offensichtlich wie Boris Palmer der Meinung, dass Politiker vom Schlage eines Marian Schreiers der Bundespolitik gut tun würden. Dieser schmunzelte, das Volk aber lachte lauthals und es gab spontanen Beifall.

Dass Marian Schreier das Zeug zu einer bundespolitischen Laufbahn hat, zeigte seine Vorrede zum Auftritt von Boris Palmer. In wenigen Sätzen erklärte er, was nach seiner Einschätzung falsch im Staate läuft: In der Diskussion um die Flüchtlingspolitik verdichte sich lediglich all das, was schon zuvor im Argen lag.
Zum Beispiel beim Wohnungsmangel: Das Problem habe es schon früher gegeben, doch erst durch die Zuwanderung sei es so richtig zum Vorschein gekommen. Marian Schreier sieht den "öffentlichen Diskurs" auch bei anderen Themen als gescheitert an und will das Seine zur Besserung beitragen. Statt sich wegzuducken, müsse sich "die Politik für zuständig erklären".
In der Kommunalpolitik ist nicht viel Platz für Schönrederei
Die Worte verdeutlichen die Seelenverwandtschaft zu Boris Palmer. Beide sind in der Kommunalpolitik zuhause und da ist für Schönrederei nicht viel Platz. Und so offenbart der Grüne bereits in seiner Begrüßung seine außergewöhnliche Konfliktfähigkeit: Im breitesten Schwäbisch sammelt er erst einmal ein paar Pfiffe ein, weil er die Besucher als die ihm bislang größte Versammlung von Gelbfüßlern bezeichnet, später pfeift er seinerseits auf politische Korrektheit als er Landrat Frank Hämmerle mit Bezug auf dessen schwarzes Parteibuch als "Neger Frank" betitelt.
Derlei verzeihen ihm die Leute – denn erstens ist Boris Palmer witzig und zweitens gelingt ihm in aller Knappheit die Antwort grundsätzlicher Fragen zur Politik.
Zum Beispiel wenn es um "Merkels humanitären Imperativ" in der Flüchtlingspolitik geht. Die "moralische Aufladung der Flüchtlingsfrage", wonach bei einer Zuwanderungsbegrenzung Deutschland für die Kanzlerin "nicht mehr mein Land ist", stuft Boris Palmer im Nachhinein als die beste Förderung der AfD ein.
Für ihn dagegen ist nichts Unmoralisches an der Position des früheren Bundespräsidenten Gauck, wonach das Herz groß, aber die Möglichkeiten begrenzt sind. Dass Boris Palmer andererseits nichts für die Rechtspartei übrig hat, ging aus seiner Verteidigung des deutschen Asylrechts hervor.
Bei aller argumentativen Schärfe bleibt der Schwabe umgänglich im Ton – mit kabarettistischen Qualitäten nimmt er seine Widersacher hoch, aber er verletzt nicht. Das übrigens macht auch Marian Schreier nicht, obwohl er Boris Palmer am Ende zur Höchststrafe verdammt: Das Zelt singt das Badnerlied – und Boris Palmer steht den Gesang stumm und tapfer durch.
Der Schätzelemarkt
Der Schätzelemarkt in Tengen gilt als das größte Volksfest im Hegau und wird an den vier Veranstaltungstagen von schätzungsweise 100 000 Menschen besucht. Seinen Namen verdankt das Fest, das es seit 727 Jahren gibt, seinem beziehungsstiftenden Charakter: Er ist ein Treffpunkt, an dem schon viele Menschen ihren Schatz gefunden haben. Der gesellschaftspolitische Höhepunkt ist die Rede eines prominenten Politikers am Samstagnachmittag – im vergangenen Jahr beispielsweise sprach Gregor Gysi.