Einen berührenderen Start ins neue Jahr hätte sich Stockach kaum wünschen können als mit dem Großen Neujahrskonzert. Berührend nicht nur, weil diese Stockacher Musiktradition nach zwei Jahren Pandemiepause endlich wieder stattfinden durfte. Und auch nicht nur, weil Musik, besonders Walzer, Tänze, schnelle Ouvertüren oder Operettenmelodien (vor allem, wenn sie aus der „Fledermaus“ stammen), ein Neujahr besser einläutet als alles andere.

Das Besondere war vielmehr, dass die Philharmonie Lemberg (Lwiw), das gastierende Orchester aus der Ukraine, mit Dirigent Volodymyr Syvokhip und Sopranistin Galyna Pikh mit ihrer puren Anwesenheit bereits die Herzen des Publikums eroberte, noch bevor eine Note erklungen war.

2013 waren sie unter anderen Umständen da

Sie waren schon einmal in Stockach zu Gast gewesen, 2013, als in Europa noch Frieden war. Nun jedoch ist Krieg in der Ukraine und so war es für alle ein großes Wunder und eine große Bereicherung, den Ukrainischen Klangkörper trotz allem hier zu haben – wenigstens für ein paar Stunden.

Bedanken kann man sich dafür auch bei der Stadtverwaltung von Lwiw. Diese habe mit daran gearbeitet, das Konzert und die Tournee des Orchesters durch Deutschland und die Schweiz trotz des Krieges wahr werden zu lassen, so Georg Mais, Vorsitzender der Südwestdeutschen Mozartgesellschaft.

Die Philharmonie Lemberg (Lwiw / Ukraine) spielte unter der Leitung von Volodymyr Syvokhip beim Neujahrskonzert 2023 in der Stockacher ...
Die Philharmonie Lemberg (Lwiw / Ukraine) spielte unter der Leitung von Volodymyr Syvokhip beim Neujahrskonzert 2023 in der Stockacher Jahnhalle vor rund 400 Zuhörern. | Bild: Constanze Wyneken

Bevor das Orchester den rund 400 Gästen in der Jahnhalle sein Können zeigte, sprach Stockachs Bürgermeister Rainer Stolz zum Publikum. Er betonte die Bedeutsamkeit des Konzerts trotz eines nur rund 1000 Kilometer entfernten Krieges: „Es ist für uns elementar wichtig, dass wir das Wesentliche, das uns Menschen ausmacht, nämlich das Zusammensein, behalten können. Deswegen bin ich froh, dass so viele von uns heute gekommen sind und wir mit unseren Freunden aus Lwiw diesen Start ins neue Jahr beginnen können.“

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Stolz sprach dann auch zum Orchester. In ukrainischer Sprache und leicht aufgeregt (was man von ihm nicht gewohnt ist) sagte er: „Die Musik, die Sie uns heute präsentieren, wärmt nicht nur unsere Herzen, sondern auch dasjenige Ihrer zahlreichen Landsleute, die zum Teil auch unter uns sind. Wir spüren, es ist nicht allein die Genialität der Kompositionen, die uns heute nahegehen, sondern auch Ihr Können, Ihre Meisterschaft und Leidenschaft, mit der Sie uns die Seele und den Stolz der Ukraine nahebringen.“

Musiker legen viel Seele in die Musik

Viel Seele war es dann auch, was die Musiker in die von ihnen gespielten Kompositionen hineinlegten. Volodymyr Syvokhip leitete sie so exakt und bestimmt, als würde er ein eigenes, großes Instrument spielen. Seine klare Interpretation ließ Vieles durchschimmern: Wiener Schmäh im Walzer-Takt (ganz gemäß dem Untertitel des Konzerts „nach Wiener Tradition“) in Straußschen Melodien oder auch Klänge des österreichischen Operetten-Komponisten Franz von Suppè ließen Publikumsfüße wippen und Lächeln über Gesichter huschen.

Dirigent Volodymyr Syvokhip und Bürgermeister Rainer Stolz (r.).
Dirigent Volodymyr Syvokhip und Bürgermeister Rainer Stolz (r.). | Bild: Constanze Wyneken

Mozarthafte Leichtigkeit und mutige Aufbruchstimmung in das neue Jahr schwappte bereits im ersten Stück, der Ouvertüre zu „Hochzeit des Figaro“ über. Und Temperament, Stolz und Schwermut wurden deutlich im Slawischen Tanz in g-moll von Antonín Dvorák und in mehreren „Ungarischen Tänzen“ von Johannes Brahms.

Sopranistin lässt Strauß erklingen

Die Leidenschaft der Orchestermusiker war deutlich zu fühlen, auch im Gesang von Galyna Pikh, Sopran im Ensemble des Staatsopernhauses Lwiw. Wahlweise in schwarzer oder smaragdgrüner Pailettenglitzerrobe sang sie sich mit der Lauretta-Arie „O mio babbino caro“ aus Puccinis Oper „Gianni Schicchi“, als Adele mit „Mein Herr Marquis“ oder als Rosalinde mit „Klänge der Heimat“ (beides aus Strauß‘ „Fledermaus“) in die Herzen des Publikums.

Galyna Pikh, Sopranistin im Ensemble des Staatsopernhauses Lwiw, singt sich in die Herzen des Publikums.
Galyna Pikh, Sopranistin im Ensemble des Staatsopernhauses Lwiw, singt sich in die Herzen des Publikums. | Bild: Constanze Wyneken

Dieses quittierte die Darbietungen allesamt mit überbordendem Applaus. Und es freute sich über die leicht ins Ohr gehenden und, wie Besucher Christian Köhler aus Stockach es formulierte, „einfacheren und unterhaltenden Melodien“, welche er und seine Frau Simone Wengner als regelmäßige Meisterkonzert-Gänger sehr genossen.

Besonderes Werk rührt Publikum zu Tränen

Als am Ende des Programms das letzte Stück – traditionell war dies immer schon der „Radetzky-Marsch“ – sehr sensibel von den Veranstaltern und in Absprache mit dem Dirigenten durch das melodramatische Stück „Melody“ des ukrainischen Komponisten Myroslaw Skoryk ersetzt wurde, war ein Klimax der Rührung aller Anwesenden erreicht. Und so rollten hier und da im Publikum Tränen. Bettina Eickelberg aus Überlingen sagte nach dem Konzert: „Ich finde es gut, dass das Stück von Skoryk statt des Radetzky-Marsches gespielt wurde. Ein solches Militärstück ist derzeit sehr unpassend.“

Die Hoffnung auf Frieden einte wohl alle Anwesenden in der Jahnhalle, die abschließend und respektvoll im Stehen die ukrainische Nationalhymne hören wollten und konnten. Auch für die Musiker bedeutete der Auftritt viel, wie Cellist Dmytro Nikolayev dem SÜDKURIER verriet: „Es ist so wichtig, dass wir mit unserer Musik ein Signal der Hoffnung und des Friedens senden. Wir zeigen mit unserer Musik unsere Kultur, wir zeigen, wer wir sind und was wir können.“

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