Herr Weimer, das Weihnachtsfest steht vor der Tür. Was steht denn bis dahin noch bei Ihnen im Terminkalender Wichtiges an?

Da findet sich gerade ein ziemlich abwechslungsreiches Programm. Zum normalen Alltag kommen noch viele Besonderheiten dazu: Sitzungstermine zum Jahresabschluss, Weihnachtsfeiern, ein Buchprojekt zur Konfirmandenarbeit, Gottesdienstvorbereitungen, digitale Predigtaufzeichnungen, persönliche Gesprächstermine oder ein Videogruß für unseren Partnerbezirk in Kamerun...

Für Kirchenmitarbeiter ist diese Jahreszeit also die stressigste im Jahr. Woher nimmt man sich da noch Zeit für Besinnlichkeit?

In diesem Jahr ist alles besonders gedrängt und hektisch aufgrund der verkürzten Adventszeit. Mit der Besinnlichkeit gelingt es nur, wenn wir uns ganz gezielt Zeitfenster blockieren. Mitten im Alltag hilft mir dabei ein Zitat des Schriftstellers Leo Tolstoi. Er sagte einmal: „Der wichtigste Moment ist immer der Augenblick“ – das versuche ich ganz gezielt in diesen Tagen vor Weihnachten umzusetzen. Meine Erfahrung ist, dass sich der Moment verändert, wenn ich mein Gegenüber wirklich wahrnehme und nicht schon im Kopf beim nächsten Termin bin. Der Advent lädt uns ja genau dazu ein, dass wir uns innerlich vorbereiten auf die Ankunft Gottes in diese Welt. Ehrlicherweise bleibt es aber jeden Tag eine Herausforderung, im Hier-und-Jetzt zu leben.

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Und wie viel Zeit bleibt in diesen Tagen noch für die eigene Familie?

Zum Glück gibt es da ein paar kleinere Zeitfenster, die schon lange geblockt sind. Termine der Kinder mit musikalischen und sportlichen Aufführungen oder Weihnachtsfeiern. Außerdem nutzen wir die freien Momente als Familie, um Geschenke zu gestalten, Weihnachtskarten zu schreiben, Plätzchen zu backen, gemeinsam einen Film zu schauen oder dann kurz vor dem Fest den Weihnachtsbaum zu schmücken.

Sie kennen das ja seit Kindertagen. Was hat Sie denn bewogen, wie Ihr Vater Theologie zu studieren und das Amt des Pfarrers anzustreben?

Das wollte ich ursprünglich gar nicht. Nach dem Abitur hatte ich eigentlich vor, für einen technischen Beruf zu studieren. Während meines Zivildienstes kam es dann über Umwege zu einem Umdenken. In diesem Prozess entdeckte ich, dass der Beruf des Pfarrers vielleicht doch etwas für mich sein könnte. Mittlerweile empfinde ich den Pfarrberuf als einen der großartigsten überhaupt. Der Alltag ist sehr abwechslungsreich und man ist mittendrin im Leben. Es gibt so viele Möglichkeiten, kreativ zu sein und mit den Menschen über zentrale Fragen des Lebens und über den Glauben ins Gespräch zu kommen.

Seit über einem Jahr wirken Sie nun als Dekan im Kreis Konstanz. Welche Bilanz können Sie ziehen?

Für eine Bilanz ist es wohl etwas zu früh. Als Kirchenbezirk sind wir für knapp 40.000 Evangelische zuständig. Dabei haben wir uns auf drei inhaltliche Schwerpunkte verständigt. Neben dem Fokus auf die junge Generation geht es uns darum, unterschiedliche Ausdrucksformen von Kirche zu entwickeln und gleichzeitig eine Vielzahl an theologischen Bildungsangeboten anzubieten. Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung bestätigt, dass wir diese Bereiche leider lange nicht ernst genug genommen haben.

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Ich bin sehr dankbar, dass die Kolleginnen und Kollegen sich hier so innovativ einbringen! Einiges davon ist auch schon sichtbar: Die digitale Kirche für die Hosentasche, ein Wohnprojekt in der Singener Südstadt, Apps für alle Kirchengemeinden, neue Gottesdienstformate, und so weiter...

Mit welchen Herausforderungen hatten sie nicht gerechnet?

Die evangelische Kirche befindet sich in einem groß angelegten Reformprozess. Aufgrund zahlreicher gesellschaftspolitischer Veränderungen, der Klimakrise und der Kirchenaustritte sind wir als Kirche ziemlich herausgefordert. Mitten im Umbau erlebe ich aber eine enorme Kreativität und Hoffnung in der Pfarrerschaft und bei den Diakonen und Gemeindereferentinnen.

Wir stellen uns den Herausforderungen und lernen ganz neu, was es bedeutet Kirche in dieser Zeit zu sein. Der Wandel kommt viel schneller als wir dachten. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind vollkommen anders, als die der letzten 50 Jahre. Gerade in solchen Unsicherheiten trägt der christliche Glaube.

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Und welche Aufgaben müssen als Nächstes angegangen werden?

Formal betrachtet sind das vor allem drei Vorgaben, die wir umsetzen müssen: Es geht um die Reduktion von Gebäuden, Personal und Finanzen. Wir müssen immer mehr überlegen, wie wir unsere Arbeit über zusätzliche Spenden finanzieren. Aber noch viel wichtiger ist, dass wir uns inhaltlich neu ausrichten. Die Menschen müssen spüren, dass die Botschaft von Jesus Christus uns heute noch begeistert und dass der christliche Glaube noch die Kraft hat, unser Leben zum Guten zu verändern und Menschen zusammenzubringen. In einer Zeit voller Krisen und Konflikte ist dies eine zentrale Aufgabe!

Aufgrund ihrer Biographie kennen Sie die Kirchen in Singen recht gut. Die Markuskirche in der Südstadt mit den markanten Farbglasfenstern ist derzeit ungenutzt. Wissen Sie, ob es schon Pläne für die Zukunft der Kirche gibt?

Das Markusareal gehört zu den ersten Komplexen, die wir in eine neue Bestimmung überführen werden. Die Markuskirche wird zukünftig von einer rumänischen Gemeinde genutzt. Ein Teil des angebauten Gemeindesaales mit dem Pfarrhaus wird an das neue Projekt einer Wohngemeinde verkauft. Wir sind sehr dankbar, dass das große Kirchengebäude und die weiteren Räumlichkeiten weiterhin ihre Bestimmung erfüllen und in ökumenischer Verbundenheit weiter genutzt werden. Zukünftig werden die unterschiedlichen Gemeinden verstärkt kooperieren und sich gegenseitig unterstützen.

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Ihre Wirkungsstätten waren zuletzt in Böhringen, nun in Konstanz. Was verbindet Sie denn noch mit Singen und dem Hegau?

Ich habe einen Großteil meiner Kindheit in Singen verbracht. Wenn ich das Maggi-Gebäude sehe, dann habe ich immer noch den würzigen Geruch in der Nase, als ich damals auf den Weg in die Schule war. Als Familie haben wir vor einiger Zeit alle Hegauberge erwandert oder sind immer wieder mit dem Fahrrad an der Aach unterwegs. Über die Jahre lernt man eine Stadt und ihre Umgebung schon gut kennen und es wachsen viele Kontakte.

Der Kirchenbezirk Konstanz erstreckt sich vom idyllischen Hegau über die Städte Singen und Radolfzell, die Höri und dem Bodanrück bis hin zur Universitätsstadt Konstanz. Ich sage immer wieder mit einem Augenzwinkern: Es ist der schönste Kirchenbezirk der Badischen Landeskirche. Ich bin vor allem dankbar, dass wir uns als Kirche den unterschiedlichen Herausforderungen stellen.

In der Luthergemeinde Singen wird am 14. Januar beispielsweise wieder die Vesperkirche eröffnet. Ein Angebot, das sich den Nöten der Zeit stellt und gleichzeitig ganz unterschiedliche Menschen zusammenbringt. Ich freue mich, bei der Eröffnung dabei zu sein!

Und zuletzt: Wie lautet Ihr Weihnachtswunsch?

In diesem Jahr ist meine größte Hoffnung, dass der Friedens-Wunsch der Engel bei der Geburt Jesu Realität werden möge. Die Weihnachtskarte des Dekanats trägt deshalb die Überschrift: „Himmel trifft auf Kopfsteinpflaster“. Mitten im friedlosen Alltag brauchen wir einen Frieden, der stärker ist als alle Konflikte und Krisen. Ich wünsche mir, dass die Menschen in der Ukraine, in Israel, im Gaza-Streifen und überall auf der Welt Frieden erleben. Und ich wünsche mir, dass alle einflussreichen Personen sich mit dafür einsetzen.

Friede beginnt aber immer bei mir selbst. Daher wünsche ich mir auch, dass der Frieden bei uns im Kleinen beginnt und dass wir uns in unseren Kontexten die Hand des Friedens reichen.