Es ist eine Frage, die alle Bewohner einer Gemeinde umtreibt – egal ob alteingessen oder frisch zugezogen: Wie sicher kann ich hier leben? Eine, die sich täglich darum bemüht, eine Antwort zu finden, ist Stephanie Clauß. Nicht nur das. Die 36-Jährige ist aktiv daran beteiligt, dass die Antwort auch möglichst positiv ausfällt. Seit Oktober 2016 leitet die Polizeirätin das Revier Singen: Ein Einsatzgebiet, das sich wie ein Netz zwischen den Gemeinden Steißlingen, Rielasingen-Worblingen, Hilzingen, Tengen und Engen erstreckt. Im Zentrum dieses Netzes liegt Singen, die größte Stadt – und damit auch der größte Gefahrenherd.

Von den etwas mehr als 47 000 Einwohnern seien im vergangenen Jahr 2450 Personen als Tatverdächtige aufgefallen, sagt Stephanie Clauß. Die Zahl der von ihnen begangenen Straftaten liege aber deutlich darüber. "4408 strafbare Handlungen sind 2017 alleine im Stadtgebiet zur Anzeige gebracht worden", berichtet die Polizeichefin. 7110 seien es im kompletten Hegau gewesen. Teilt man diese Zahl durch die 365 Tage des Jahres, ergibt sich, dass die etwas mehr als 100 Beamten des Reviers jeden Tag auf knapp 20 Gesetzesverstöße reagieren müssen. "Und das ist nur das Hellfeld", ergänzt Stephanie Clauß.

Straßenkriminalität:Eingeschlossen sind Delikte, die sich in der Öffentlichkeit abspielen. Bild: dpa

Auf ihrem Schreibtisch im Büro in der Julius-Bührer-Straße hat sie die Ausdrucke der Kriminalstatistik 2017 ausgebreitet. Sperrige Titel wie „Körperverletzungsdelikte“ oder "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" dokumentieren zusammen mit den dazugehörigen Zahlenwerten, was schief läuft in der Region. Stephanie Clauß findet in dem Papierstapel aber auch Anlass zum Optimismus. "Ich bin absolut zufrieden", blickt die 36-Jährige auf das vergangene Dienstjahr zurück. Der Hauptgrund: Die Masse an Straftaten hat im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent abgenommen. Egal, ob Straßenkriminalität, Wohnungseinbrüche oder Körperverletzungen – die Zahlen sind in den meisten Kategorien rückläufig.

Körperverletzungen:Auch hier ist ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr zu beobachten. Bild: SK

Dann hat sich die Sicherheitslage also merklich entspannt? Die Polizeichefin zögert. "Ich bin immer vorsichtig, wenn es um Auf- und Abwärtstrend geht." Sicher ist sie hingegen, wenn es um die Leistungen ihrer Kollegen geht. "Es ist uns gelungen, die Aufklärungsquote auf einem Niveau von 70 Prozent zu halten", betont Stephanie Clauß. Für sie ist diese Zahl ein Beweis dafür, wie intensiv sich die Ordnungshüter mit den angezeigten Verbrechen auseinandersetzen. "Unsere Quote liegt über dem Landesschnitt", freut sich die Polizeichefin. In ihren Augen hat die Aufklärungsquote präventive Strahlkraft. Die Überlegung dahinter: Je mehr Täter zur Strecke gebracht werden, desto eher überlegen sich potenzielle Nachahmer, ob sie das Risiko erwischt zu werden, wirklich in Kauf nehmen wollen.

Wohnungseinbrüche:Sind rückläufig – trotz einer Einbruchsserie im Herbst 2017. Bild: Jens Fröhlich

Im Hinblick auf diese Signalwirkung wünscht sich Stephanie Clauß allerdings auch, dass ihr Team noch effektiver wird, wenn es um die Aufklärung von Sachbeschädigungen geht. "Wir wollen ein Zeichen gegen den fehlenden Respekt gegenüber Eigentum setzen." Im Hinterkopf hat die Polizeirätin Vandalismus, wie zum Beispiel die Zerstörung von 16 Buswartehäuschen Mitte Mai. Denn: "Wenn so großer Schaden entsteht, hat auch das eine Außenwirkung." Nicht nur um mögliche Nachahmer abzuschrecken, müsse man noch besser werden, erklärt Stephanie Clauß, die verspricht, das Thema weiterhin mit Vollgas anzugehen.

Es gibt noch einen weiteren Grund. Wohngebiete, in denen man öfter über Glasscheiben stolpert und die schon rein optisch verwahrlost und abschreckend wirken, werden von vielen als gefährlich empfunden – selbst, wenn sie es gar nicht unbedingt sind. "Wenn sich die Bürger unwohl fühlen, nimmt ihr Sicherheitsempfinden ab", weiß Stephanie Clauß. Und das gilt es natürlich zu vermeiden.

Unerlaubte Einreisen:Illegale Einreisen haben zu-, unerlaubte Aufenthalte abgenommen. Bild: dpa

Was sagen die Singener?

Scheinbar gelingt der Polizei das recht gut. Als Stephanie Clauß die Ergebnisse der Kriminalstatistik vor knapp zwei Wochen dem Gemeinderat offenlegte, quitierten die Bürgervertreter ihre Ausführungen mit Lob. Oberbürgermeister Bernd Häusler hob hervor, dass es gelungen sei, die Tuning-Szene in Singen zu beruhigen. Er beurteilte die Zahlen als insgesamt erfreulich. "Gerade die Aufklärungsquote ist eine gewaltige Zahl, die wirklich Mut macht", betonte der Bürgermeister. "Die Polizei leistet hervorragende Arbeit!"

Sehen die Bürger das genauso? Um mehr über das Sicherheitsempfinden der Singener zu erfahren, fragen wir einige Meter vom Rathaus entfernt bei Passanten nach. „Ob ich mich in Singen sicher fühle? In Begleitung: ja“, sagt Ursula Bergel. Besonders abends und in der Nacht empfinde sie einige Orte als unheimlich, erzählt die 67-Jährige. Die Nordstadt sei ihr zum Beispiel zu später Stunde nicht recht geheuer. Michael Löbner nimmt die Situation entspannter wahr. Es habe noch nie jemand versucht, ihn auszurauben, meint der Singener und schmunzelt. „Ich mache mir keine Sorgen!“

Rauschgiftdelikte:Cannabis und Amphetamine werden besonders häufig konsumiert. Bild: dpa

Das entspricht der Wahrnehmung von Tina Keck. Sie hat schon in größeren Städten gelebt, zuletzt in Tübingen. „Im Vergleich fühle ich mich hier sicherer“, meint Keck. „Kriminell finde ich in Singen, wenn überhaupt, nur den Straßenverkehr.“ Die Art und Weise, wie in der Hegau-Metropole gefahren wird, bereite ihr zunehmend Sorgen. Fabian Kiesow ist mit seinem Sohn auf dem Spielplatz als wir ihn ansprechen. "Ich habe überhaupt keine Ängste oder Bedenken, wenn ich hier unterwegs bin – auch nicht, wenn ich die Kinder dabei habe", sagt der Familienvater. "Man kann hier sehr angenehm wohnen!"

Im Schnitt gefährlicher

Ist Singen ruhiger als sein Ruf? Zurück in der Julius-Bührer-Straße erklärt Stephanie Clauß, dass die Polizei Sicherheits-Vergleiche anstelle, indem sie die begangenen Straftaten hochrechnet. Auf 100 000 Einwohner kämen in Baden-Württemberg 5295 Straftaten. Ein Wert, der sich in etwa mit dem der Region Hegau/Bodensee deckt. Wirft man aber einen Blick auf den Faktor Straftaten pro 100 000 Einwohner, wie er sich in den größeren Städten darstellt, dann zeigt sich, dass Radolfzell (5954) und Konstanz (7278) deutlich über dem Schnitt liegen. Singen (9260) erreicht sogar einen fast doppelt so hohen Wert. "Die Kriminalitätsbelastung ist in Singen nach wie vor auf einem hohen Niveau", fasst die Polizeichefin zusammen. Die Gründe dafür seien vielfältig. "Das hat mit der Bevölkerungs-Zusammensetzung zu tun, dem Bildungs- und Gehaltsniveau. Aber auch mit der Grenznähe, der Anbindung zur Autobahn, den städtebaulichen Voraussetzungen – viele Faktoren spielen eine Rolle."

Sexualverbrechen:Hier ist laut Polizei leider mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Bild: dpa

Die Verbrechensrate mit dem Ausländeranteil zu erklären, liegt Stephanie Clauß fern. "Die Hälfte aller Täter sind Menschen mit Migrationshintergrund – und davon wiederum die Hälfte Flüchtlinge", erklärt sie. "Meine Botschaft ist: Einheimische begehen genauso viele Straftaten wie Menschen, die keinen deutschen Pass haben." Nach fast zwei Jahren im Revier hat sie den Eindruck, dass das Zusammenleben der Nationalitäten gut funktioniere: „Wir haben keine Verbrechens-Hot-Spots hier, keine Ort, die man bewusst meiden sollte." Und auch, wenn die Rauschgiftdelikte 2017 höher waren als im Vorjahr, könne sie im Hegau keine „Drogen-Hochburgen“ ausmachen. Für Stephanie Clauß ein weiterer Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Die Singener Polizeichefin Stephanie Clauß freut sich über einen Rückgang der Straftaten – 2017 waren es acht Prozent weniger als im ...
Die Singener Polizeichefin Stephanie Clauß freut sich über einen Rückgang der Straftaten – 2017 waren es acht Prozent weniger als im Vorjahr. | Bild: Daniel Schottmüller

 

Wie gefährlich die Arbeit für die Beamten des Singener Reviers ist, lesen Sie hier