Rolf S. muss aufpassen, deutlich mehr als seine Kollegen. Sein Arbeitgeber hat ihn schon mehrfach abgemahnt – zu unrecht, wie der Betroffene betont. Einmal wegen Überschreitens der Pausenzeit, ein anderes Mal, weil eine 30 Zentimeter hohe Kiste vor dem Versandtor stand, während sich ein Tor weiter Kisten meterhoch türmen, wie er sagt. S., der seinen richtigen Namen aus Furcht vor Benachteiligungen nicht in der Zeitung lesen will, sieht sich als Mobbing-Opfer seines Chefs. Einer Umfrage zufolge ist jeder siebte Berufstätige schon einmal gemobbt worden. Laut der Studie "Mobbing und Cybermobbing bei Erwachsenen", die das Bündnis gegen Cybermobbing e.V. mit Unterstützung der Arag 2014 durchgeführt hat, wird das Thema Mobbing unter Deutschen zunehmend wahrgenommen. Zwei Drittel aller Vorfälle werden am Atrbeitsplatz registriert.
S. sieht sich im Gespräch mit dieser Zeitung mit Maßregelungen, gezielten Kontrollen konfrontiert, die nur ein Ergebnis haben sollen: ihn zu zermürben. Seit drei Jahren muss er ein Tagebuch führen, sagt er. "Alles was ich den Tag über mache, jede Störung im Arbeitsablauf, jedes Vorkommnis schreibe ich auf, am Abend muss ich es dann abgeben." S. ist Vorsitzender im Betriebsrat eines kleinen mittelständischen Betriebes am Bodensee. Der psychische Druck trieb ihn zum Handeln. Er fand schließlich Rat bei Susanne Strobel-Seiler von der Psychologischen Beratungsstelle in Singen. Die Psychologin bietet mit der Arbeiterseelsorge des Erzbistums Freiburg Beratungen und Begleitung bei Mobbing am Arbeitsplatz an. Seit 2014 hilft sie in Gesprächen in der Gruppe und auch in Einzelgesprächen Menschen, die sich beruflich gemobbt fühlen.
29 Betroffene hat sie seitdem betreut. Viele trauen sich nicht, Hilfe zu suchen. "Mobbing ist ein Problem in vielen Betrieben und Behörden", sagt Gianfranco Rizzuti von der Arbeiterseelsorge. "Das hängt oft auch mit dem Klima am Arbeitsplatz zusammen."
Betroffene werden oft von Selbstzweifeln geplagt, entwickeln Ängste, fühlen sich ausgeliefert, erklärt Psychologin Strobel-Seiler. In der Folge können massive Schlafstörungen, Panikattacken, am Ende auch Depressionen auftreten. Gemobbt werde unter Kollegen, aber auch, wie in dem angesprochenen Fall, durch den Chef. "Dabei sind die Methoden meist subtiler als sich das arbeitsrechtlich erfassen lässt," sagt die Psychologin: "Gespräche werden abrupt beendet, wenn die Person erscheint, eine abfällige Bemerkung fällt oder es wird sich weggedreht." Auch das häufige Niedermachen einer Person vor anderen werde gern angewendet, es werde gezielt ausgegrenzt und Wertschätzung verweigert. Wenn das über einen längeren Zeitraum bei immer wieder derselben Person passiere, liege der Verdacht nahe, dass gemobbt wird.
Ziel sei es dann, die Betroffenen zu stärken, sagt Strobel-Seiler. "Wenn jemand lernt damit umzugehen, lässt der andere ab." Es gelte, die Stärken in Einzel- oder Gruppengesprächen wiederzufinden und Lösungsversuche zu erarbeiten. Grundsätzlich sei es wichtig, alles aufzuschreiben, zu dokumentieren was vorfällt, rät sie.
Rolf S. Sieht sich nach einem Jahr in der Mobbing-Begleitung inzwischen auf einem guten Weg. "Von 20 Arbeitstagen stecke ich inzwischen 17 weg," sagt er. "Manchmal habe ich das Gefühl, als stehe mir ein Elefant auf der Magengrube." Doch die schlimmen Tage seien seltener geworden. "Es geht mir besser."
Anmeldung und Vereinbarung eines Erstgespräches unter Tel. 07731/63888
Die Singener Psychologin Susanne Strobel-Seiler gibt fünf Tipps bei Mobbing am Arbeitsplatz:
1. Führen Sie ein Mobbingtagebuch – was ich mir bewusst mache, nehme ich auch ernst
2. Informieren Sie sich, welche Mobbinghandlungen es geben kann – was ich kenne, macht mir weniger Angst
3. Suchen Sie sich Verbündetet, intern und extern – dass ich nicht allein bin, stärkt mir den Rücken
4. Wehren Sie sich gegen Mobbing – wenn ich dem Mobbing Einhalt gebiete, erlebe mich als Handelnder
5. Stärken Sie sich selber – wenn ich mir selber Gutes tue und für mich sorge, wächst mein Selbstvertrauen