Ab Sommer 2020 soll es mittels einer App möglich sein, ein interaktives 3D-Modell der Festungsruine zu erkunden. Dabei sollen auch Informationen zur Baugeschichte, dem sozialen Leben und der Pflanzen- und Tierwelt vermittelt werden. Das Vorhaben gehört zum Projekt „Digitale Rekonstruktion“. Im Rahmen des Projektes werden von den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg, die auch den Hohentwiel verwalten, insgesamt vier Kulturdenkmäler des Landes dreidimensional rekonstruiert. Der Hohentwiel ist hierbei das Initialprojekt.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Studien des Regionalhistorikers Roland Kessinger. Der Singener beleuchtet seit Jahren die Entwicklung des Hohentwiel. Einen neuen Aspekt der Baugeschichte beleuchtete Roland Kessinger nun in seinem Vortrag „Aussichtsplattform und Theaterkulisse Hohentwiel“ im Singener Stadtarchiv.
Napoleons Truppen leisteten ganze Arbeit
Während in der Vergangenheit fast ausschließlich die Baugeschichte des Singener Hausberges vor der Zerstörung im Jahre 1801 untersucht wurde, ging Kessinger nun erstmals der Frage nach, wie sich die Ruine danach insbesondere im Hinblick auf die touristische Erschließung entwickelte. Die Zuhörer erfuhren so, dass so manches, was auf den ersten Blick historisch erscheint, es gar nicht ist.
Für den Vortrag geeignete Dokumentationen zu finden, war laut Kessinger nicht einfach. Bis zum Jahre 1880 wurden bauliche Veränderungen auf dem Hohentwiel dokumentiert, danach wurde zwar weiter saniert, jedoch lässt sich in diversen Archiven in Baden-Württemberg, die der Hohentwiel-Kenner für seine Recherchen aufsuchte, nichts dazu finden. So konnte er zahlreiche Baumaßnahmen nur durch den Vergleich von Fotos und datierten Postkarten nachvollziehen.
Historische Recherchen sind oft schwierig
Anhand dieser Bilder zeigte Kessinger die baulichen Veränderungen am Hohentwiel im Laufe der Jahre. Napoleons Truppen hatten bei der Schleifung der Burg ganze Arbeit geleistet. Ihr Schwerpunkt war, die Verteidigungsanlagen zu sprengen, damit der Hohentwiel nicht weiter militärisch genutzt würde.
Schon wenige Jahre nach der Zerstörung wurden mit Brückensanierungen begonnen und gleichzeitig die Zugänge zur Ruine zugemauert. Denn ohne geordneten Zugang wären die verbleibenden Gemäuer ein bestens geeigneter Steinbruch für die Bevölkerung des Umlands gewesen.
Das erste touristische Projekt auf dem Hohentwiel war der Kirchturm, der ab 1823 saniert wurde. 1846 errichtete eine private Initiative auf dem Kirchturm eine Aussichtsplattform. Mehrere Male gab es Überlegungen, die Festungsruine wiederaufzubauen. Keine wurde realisiert.
Waren es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überwiegend Hegauer, die sich auf den Weg zum Hohentwiel machten, setzte mit Eröffnung der Bahnlinie im Jahre 1863 ein wahrer Besucheransturm ein, zu dem auch der 1855 veröffentlichte Roman „Ekkehard“ von Joseph Victor von Scheffel maßgeblich beitrug.
Vom Schutthaufen zum Festspielort
1893 wurde der erste Kiosk an der Karlsbastion zum Verkauf von Postkarten eingerichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Überlegungen, die geplante Festspielhalle ebenfalls auf dem Hohentwiel zu errichten. Realisiert wurde das Projekt letztendlich 1906 unten auf der Schanz. 1921 gab es dann die ersten Festspiele oben auf der Festungsruine. Ein Jahr später wurden die Aufführungen auf die Karlsbastion verlegt.

Während der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es die letzten größeren baulichen Veränderungen auf dem Hohentwiel. Ziel war es, die Karlsbastion, die zuvor nur ein einziger Schutthaufen war, für die Festspiele entsprechend zu gestalten.
Was ist auf dem Hohentwiel wirklich historisch?
Für den Laien ist es heute oftmals schwierig zu sagen, was am Hohentwiel wirklich historisch und welche Teile saniert sind. Denn Ziel der Sanierungen war immer, nicht neu aufzubauen, sondern nur zu erhalten und zwar möglichst so, dass es nicht bemerkt wird. Manche Maßnahmen mussten zum Schutz der Besucher ergriffen werden.
Wer hätte beispielsweise gedacht, dass es die Brüstung auf der Karlsbastion erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt? Zuvor ging es dort einfach in die Tiefe, und Bilder von Besuchern an der Kante waren beliebte Motive.