Der Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist. Künstler Gunter Demnig möchte die Namen der Opfer des NS-Regimes nicht in Vergessenheit geraten lassen. Aus diesem Grund verlegt er seit Jahren Stolpersteine, die an die Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden, erinnern sollen.

Am Donnerstag verlegte er zum vierten Mal fünf weitere Stolpersteine in drei Straßen Radolfzells. Diese sollen an Hermine Bauer, Josepha Trost und die Schwestern Anna, Agnes und Josefine Fetzer erinnern. Josepha Trost ist ein Euthanasie-Opfer, die anderen vier Frauen sind zwangssterilisiert worden.

Besonders die Geschichte von Josefine Fetzer ist auch eng mit der aktuellen Radolfzeller Geschichte verwoben. Denn der bekannte Narrenspruch „Fezer, Fezer Fine, alte Dreschmaschine, duesch etz d Händ weg!“ der Narrizella Ratoldi bezieht sich auf diese Frau.

Narrizella-Präsident Martin Schäuble sprach anlässlich der Stein-Verlegung dazu und entschuldigte sich. „Wir Radolfzeller Narren sind über diesen Stein gestolpert“, sagte er. Interne Recherchen, wann genau und wie dieser Vers entstanden sein soll, seien ins Leere gelaufen.
Doch nun sehe man den oberflächlich harmlos wirkenden Reim ganz anders. „Es verbietet sich die weitere Verwendung dieses Spruches“, so Schäuble. Die Fetzer-Schwestern lebten in den 1930er-Jahren in den städtischen Wohnbaracken im früheren Mezgerwaid. Alle drei wurden, so wie es auch Hermine Bauer ergangen war, im Zuge des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangssterilisiert.

Im Falle von Agnes Fetzer, verheiratete Zimmermann, spielte damals auch die Radolfzeller Stadtverwaltung eine unrühmliche Rolle. Der NS-Bürgermeister Josef Jöhle regte persönlich beim staatlichen Gesundheitsamt Konstanz die Zwangssterilisation an, er bezeichnete Agnes Fetzer als „schwachsinnig“. Zum Zeitpunkt des Eingriffs im Jahr 1939 war sie zum vierten Mal schwanger. Die Schwestern lebten bis zu ihrem Tod in Radolfzell, Anna starb 1970, Agnes 1980 und Josefine 1991.

Für Oberbürgermeister Martin Staab seien die Opfer keine abstrakten Daten, sondern ein Teil von Radolfzell. Die Frauen seien durch die Straßen gegangen, man habe sie auf dem Markt angetroffen, diese Opfer und ihre Geschichte seien sehr real. „Dort, wo sich eine Gesellschaft selbst verletzt, muss die Narbe sichtbar bleiben“, sagte er.

Er appelierte an alle, sich für den Schutz der Mitmenschen einzusetzen. „Nicht nur gegen ein Virus, sondern gegen Hetze und Ausgrenzung“, sagte der OB. Zu vergessen sei einfach, zu verdrängen ein menschlicher Reflex. Doch dem dürfe man sich nicht hingeben, mahnte Staab.

Vor der Teggingerstraße 19 sprach Christine Graumann, die Großnichte von Hermine Bauer, über ihre eigenen Erinnerungen an ihre Großtante. Sie war zeitweise als Säuglings- und Kleinkindpflegerin tätig, kümmerte sich ihr Leben lang um den Haushalt. Nach einem Aufenthalt in der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz wurde für sie wegen Schizophrenie die Zwangsterilisation beantragt.
Hermine Bauer wurde 90 Jahre alt und verstarb 1997. Josepha Trost wurde im Zuge der Aktion T 4 in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht. Hier wurden ab 1940 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen systematisch ermordet.
