Marcus Pohl ist für sein herausragendes ehrenamtliches Engagement und seinen hohen persönlichen Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Landrat Frank Hämmerle übergab nun die Auszeichnung im Nenzinger Rathaus.

Mittagessen in der Schule: Alle Kinder der St. Josef Schule in Kalkutta erhalten ein warmes und vollwertiges Essen – in den Slums von ...
Mittagessen in der Schule: Alle Kinder der St. Josef Schule in Kalkutta erhalten ein warmes und vollwertiges Essen – in den Slums von Kalkutta eine Besonderheit.

Pohl arbeitet als Leiter der Betreuung und Pflege im Kompetenzzentrum Schönbühl in Schaffhausen. Die Hälfte seines Jahresurlaubs verbringt der fünffache Familienvater aus Orsingen im indischen Kalkutta. In den vergangenen 23 Jahren war der 46-Jährige 27 Mal dort, um die gesammelten Spendengelder persönlich an die Ärmsten der Armen weiterzugeben und vor Ort mitzuarbeiten.

Arbeit in der Leprastation

Bereits zwischen 1995 und 1997 arbeitete Pohl 15 Monate in einem Sterbehaus und einer Leprastation bei Mutter Teresa in Kalkutta. 1996 traf er die Lehrerin Veronica Jose, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in einem Slum in Kalkutta-Howrah lebte. Mit ihr gründete er die St.-Josef-Schule. "Bildung ist der sicherste und kürzeste Weg aus der Armut", ist Pohl überzeugt. Veronica Jose starb 2018. Seitdem leitet ihre Schwiegertochter Priti die Schule in intensiver Zusammenarbeit mit Marcus Pohl.

"Bildung ist der sicherste und kürzeste Weg aus der Armut"

Die St.-Josef-Schule liegt in einem der größten Slumgebiete Kalkuttas. Dort leben über 70 000 Menschen in Hütten aus Lehm und Blech und völlig verwahrlosten, zum Teil illegal hochgezogenen Häusern. Für 600 Menschen gibt es oft nur eine Toilette und einen Wasserhahn. Der Monsun von Mitte Juni bis Mitte September bringt jeglichen Unrat über die offene Kanalisation in die erbärmlichen Hütten.

Marcus Pohl stellt im Nenzinger Rathaus sein Hilfsprojekt vor.
Marcus Pohl stellt im Nenzinger Rathaus sein Hilfsprojekt vor.

Jedes zweite Kind stirbt vor seinem zehnten Lebensjahr an der Amöbenruhr. Auch Tuberkulose und andere Krankheiten sind weit verbreitet. Eine Hütte misst etwa acht bis zwölf Quadratmeter und beherbergt sechs bis zehn Personen. Pohl vergleicht: "Wenn in Orsingen bei gleicher Infrastruktur wie jetzt so viele Leute wie in Howrah-Pilkhana leben würden, wären hier 25 000 Einwohner."

Nähhandwerk spielt wichtige Rolle

Zuerst gab es die Nähschule. "In Indien lässt man für religiöse Feste oft maßgeschneiderte Kleider nähen. Das Nähhandwerk ist deshalb sehr wichtig für junge Mädchen, die meistens Analphabetinnen sind", erklärt Pohl. "Wir haben schon mehr als 500 Mädchen ein Schneiderinnenzertifikat überreicht.

Etwa 75 Prozent von ihnen haben eine feste Anstellung gefunden, die anderen haben immer wieder temporär eine Arbeit. Bei einer Festanstellung verdienen sie zirka 50 Euro im Monat." Dies reiche aus, um dreimal täglich zu essen, im Notfall zum Arzt zu gehen und auch mal die Kleidung zu wechseln.

Schule macht Fortschritte

2005 kam die Grundschule hinzu. Heute unterrichten 13 Lehrpersonen 205 Kinder, sieben weitere Angestellte arbeiten im Schulbetrieb mit. "Wir versuchen, die Kinder im Anschluss auf fortführende Schulen zu schicken und finanzieren durch die Hilfe der Freunde der Schule die Schulgebühren, Bücher et cetera. Seit 2014 sind wir eine Mittelschule und können bis zur 7. Klasse ausbilden."

Landrat Frank Hämmerle (l.) gratuliert Marcus Pohl.
Landrat Frank Hämmerle (l.) gratuliert Marcus Pohl.

Der Unterricht besteht aus Lesen, Rechnen und Schreiben, Hindi, Bengali, Englisch, Geschichte, Kunst, Erdkunde, Hygiene und allgemeinbildenden Fächern. Der Schulbesuch ist hier kostenlos. Alle Schüler der St.-Josef-Schule und deren Familien werden medizinisch grundversorgt. Wenn Operationen oder Arztbesuche anstehen, versuchen die Projektleiter, die Kosten durch Spenden zu decken.

Wenn der Monatslohn nur für vier Tage reicht

Seine Schulkinder bekommen an den Schultagen eine warme, vollwertige und nahrhafte Mahlzeit. Die Menschen haben keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. "Sie arbeiten zum Beispiel in Ziegelbrennereien 70 Stunden pro Woche. Mit dem Lohn von 25 Euro im Monat kommen sie knapp vier Tage über die Runden", sagt Pohl.

Mittlerweile fördert sein Hilfsprojekt 172 Familien mit wöchentlichen Nahrungsrationen. Von dieser Hilfe profitieren über 800 Menschen. Sie bekommen einen Korb mit Reis, Linsen, Eiern, Zwiebeln, Kartoffeln und manchmal auch Waschseife und Öl zum Kochen.

"Diese Ehrung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Armen"

Landrat Hämmerle zeigte sich ebenso wie Bürgermeister Bernhard Volk beeindruckt von dem Hilfeprojekt und dankte Pohl sehr herzlich für dessen "außergewöhnlichen, bewundernswerten persönlichen Einsatz." Dass er jetzt das Bundesverdienstkreuz erhielt, freut den Familienvater vor allem aus einem Grund: "Diese Ehrung lenkt alle Aufmerksamkeit auf die Armen."

Er dankte den vielen Unterstützern aus seinem Familien-, Freundes- und Kollegenkreis, die durch finanzielle und praktische Hilfe viele Türen öffneten. Seine Frau Alexandra und seine Kinder hätten viele Opfer gebracht, Ferien, viel Zeit und Finanzen mit den Armen geteilt.

Mutter Teresa habe ihm damals klar gemacht, dass es ein Privileg sei, den Ärmsten der Armen zu dienen, weil man so Gott selbst diene. Sie habe auch gesagt: "Vergiss das Kalkutta zuhause nicht." Er wünsche sich auch hier in Deutschland eine andere Wahrnehmung und Unterstützung kranker, ausgegrenzter und sterbender Menschen.

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