Schon in wenigen Wochen werden Salatköpfe und Radieschen aus Mühlingen in den Regalen von Rewe-Märkten liegen. Auch der Vertragspartner aus dem Lebensmittel-Einzelhandel möchte dem zunehmenden Wunsch der Kunden nachkommen, sich regional und in diesem Falle mit Gemüse aus biologischer Erzeugung zu versorgen. Die Gärtnersiedlung Mühlingen feierte ihre Eröffnung. Betrieben wird das Gewächshaus mit 42 000 Quadratmetern Nutzfläche unter Glas von Benjamin Wagner, der auf der Insel Reichenau einen Biogemüseanbau betreibt. Im Gewächshaus in Schwackenreute wird nach dem Standard des Anbauverbandes Naturland produziert, vermarktet wird das Gemüse über die Reichenau Gemüse Genossenschaft. Das Grundstück ist 65 000 Quadratmeter groß und beherbergt außerdem eine Sortierhalle und Unterkünfte für bis zu 40 Saisonarbeiter.

Großes Interesse der Öffentlichkeit bestand am Nachmittag beim Tag der offenen Tür. Zahlreiche Gäste waren gekommen, um mitzufeiern, zu gratulieren oder auch mit ihrer Unterschrift das Projekt für verschiedene Vertragspartner zu besiegeln und es in Augenschein zu nehmen. Auch der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk war gekommen, um sich, wie Johannes Bliestle von der Geschäftsführung der Reichenau Gemüse Genossenschaft sagte, in einer "flammenden Rede" klar zu Produkten aus der Region und den damit verbundenen Erzeugerbetrieben zu positionieren: "Die Eröffnung dieser dritten Gärtnersiedlung ist ein Tag der Freude", sagte Hauk. Er wünsche sich wieder eine bessere Wertschätzung der frisch in Baden-Württemberg erzeugten Lebensmittel, hinter denen viele Landwirte und deren Familien stehen, so Hauk.

Er appellierte an die Verbraucher, nicht immer und überall das Sankt Floriansprinzip zu leben. Man wolle gesunde Lebensmittel, man wolle Regionalität, und so liege es am Verbraucher, selbst zu bestimmen, was er essen wolle. Hauk wies auch auf die neue Kampagne seines Ministeriums unter dem Titel "Natürlich von Daheim" hin.
So wie der erste Landesbeamte Philip Gärtner, beschrieben mehrere Redner den Weg Wagners von der Idee bis zur Einweihung als einen zeitlich sehr kurzen, und doch sehr intensiven Abschnitt ihrer Zusammenarbeit mit dem Dreh- und Angelpunkt dieses Vier- Millionen-Projektes im Mühlinger Ortsteil Schwackenreute. Auch Mühlingens Bürgermeister Manfred Jüppner stellte fest, dass Benjamin Wagner mit seiner Idee, seinem Wissen und fachlichen Kompetenz Mühlingens Gemeinderat beeindruckt habe. Von Verwaltung, Rat und Bevölkerung gab es daher nur Unterstützung für das Projekt, keine Kritik, wie sie andernorts teilweise angebracht wird. Dies zeigt sich auch am Tempo der Verwirklichung: Den ersten Kontakt zwischen Landwirt und Gemeinde gab es Mitte 2016.

Beeindruckt zeigten sich auch die Besucher, die nach dem Festakt mit Segnung und musikalischer Umrahmung durch Joe Reistle aus Radolfzell zur Besichtigung eingefunden hatten. Einer von ihnen war Ulrich Gnirß aus Liptingen. Bereits während der Bauphase habe er das Gewächshaus einmal bestaunt. "Ich finde den Nützlingseinsatz sehr interessant", erzählte er im Gespräch mit dem SÜDKURIER, während er das eifrige Krabbeln in der neben ihm stehenden Kiste voller Hummeln beobachtete, welche als Bestäuber im Gemüseanbau eingesetzt werden.
Den kirchlichen Segen gab es von Pfarrer Hartwig-Michael Benz, welcher sich von den in Kürze geernteten zwei Millionen Radieschen nur einen bescheidenen Bund wünschte.

Die Dimensionen
130 000 Kubikmeter Erde wurden bewegt. Beim Bau eines Einfamilienhauses sind es im Schnitt 500 Kubikmeter. 45 000 Kubikmeter Mutterboden wurden abgetragen und wieder eingebaut. Im Mai 2017 wurden die Fundamente für das 231 Meter lange und 176 Meter breite Objekt gegossen. 1250 Kubikmeter Beton wurden verbaut, dies entspricht 210 Lkw-Ladungen Beton in acht Monaten. 270 Tonnen Stahl und 100 Tonnen Aluminium wurden verbaut. 430 Tonnen Glas wurden für die Überdachung verwandt. Hätte man dieselbe Dachfläche bei einem Parkhaus wie hier beim Gewächshaus, würden rund 2600 Autos darunter Platz finden. Die Wärme kommt von einer nahegelegenen Cosubstrat-Biogasanlage. Pferdemist und Apfeltrester werden fermentiert, das Gas wird als Abwärme über eine 700 Meter lange Fernwärmeleitung geliefert. (ich)