Udo Engelhardt schlägt Alarm: „Wir kommen an den Rand der Leistungsfähigkeit“, sagt der Vorsitzende des Singener Trägervereins der Tafeln im Landkreis Konstanz. Wegen der Inflation steige die Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln, gleichzeitig kämen auch immer mehr Flüchtlinge aus der Ukraine in die Tafelläden. Die Mitarbeiter der Läden kämen mit der Registrierung der Kunden kaum mehr nach, und könnten immer weniger Lebensmittel abgeben.

Tafeln verkaufen gespendete Lebensmittel zu günstigen Preisen an Bedürftige. Doch wer ist bedürftig? Die Überprüfung sei wegen des Ansturms kaum mehr möglich, erklärt Engelhardt. Üblicherweise seien im Kreis Konstanz rund 2000 Kundenkarten ausgegeben, hinter denen im Schnitt zwei bis drei Personen stünden, so der Vorsitzende.
Doch jetzt erlebten die Tafeln einen neuen Ansturm: „Die Kundenzahlen an den Ausgabetagen haben sich in Singen, Konstanz, und Radolfzell nahezu verdoppelt“, sagt Udo Engelhardt. „Wir haben jetzt an insgesamt über 300 Familien aus der Ukraine Kundenkarten ausgegeben. Dahinter stehen rund 900 Personen.“
Die Tafelläden reagierten mit verlängerten Öffnungszeiten. Die Tafeln seien froh um jeden Mitarbeiter, der Russisch oder Ukrainisch spricht. Vielfach seien die Mitarbeiter gefordert, zu erklären, was die Tafel überhaupt ist. Oft würden sie mit einer staatlichen Einrichtung verwechselt.
„So stressig war es noch nie“
Alle Mitarbeiter von Tafeln im Landkreis berichteten laut dem 69-Jährigen dasselbe: „So stressig war es noch nie. So kann es auf Dauer nicht weiter gehen.“ Die freiwilligen Helfer fragten, wie lange die Ausnahmesituation noch andauert. Noch sei es möglich, sie zu motivieren. Doch der schönste Lohn bleibe momentan aus: Zufriedene Kunden, die mit vollen Taschen die Läden verlassen. Stattdessen müssten Mitarbeiter den Einkaufenden Waren wieder aus dem Korb nehmen, um allen Wartenden Lebensmittel anbieten zu können.
Die Tafeln wollten kein Zwei-Klassen-System der Kriegsflüchtlinge aus dem arabischen und aus dem ukrainischen Raum. Doch die Systeme seien unterschiedlich. So müssen etwa Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nicht unbedingt in die Gemeinschaftsunterkünfte des Landkreises. Sie können auch gleich privat unterkommen. Doch staatliche Gelder bekommen sie erst, wenn sie auch registriert sind, und Unterstützung beantragt haben.
Weniger Waren durch Hamsterkäufe
Dazu kämen Unterschiede bei der Förderung: Manche Gemeinden zahlten ein Begrüßungsgeld, manche Sozialverbände und Kirchen gäben Gutscheine heraus. Die gestiegene Nachfrage treffe auf immer weniger Waren, die verteilt werden könnten, sagt Udo Engelhardt. Denn viele Läden spendeten direkt an die Ukraine. Auch durch Hamsterkäufe seien manche Waren rar geworden.
Der 69-Jährige macht darauf aufmerksam, dass die Inflation die am stärksten treffe, die am wenigsten Kapital zur Verfügung hätten, und sagt: „Die Tafeln können nicht der Lückenbüßer für die öffentliche Hand sein. Wir brauchen schnelle Lösungen.“ Der Hartz IV-Satz für die Ernährung hinke weit hinter den steigenden Preisen her. Derzeit erhält ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger einen Regelsatz von 449 Euro. Von dieser Summe sind anteilig 156 Euro für Lebensmittel vorgesehen.
Die Tafeln fordern schon lange, diesen Satz zu erhöhen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht weiter: Er fordert, den Regelsatz auf 600 Euro anzuheben und von diesem Niveau aus die Preissteigerungen immer mindestens auszugleichen.