Das zentrale Interesse von Menschen, die sich praktisch mit dem Leben in vergangenen Jahrhunderten befassen, ist die Auszeit vom Alltag. Diese Erfahrung hat Sven Kommer gemacht. Der Professor am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Aachen gehört zu einer Forschungsgruppe der Universität Freiburg, die sich mit diesem Thema befasst. Es gibt natürlich noch weitere Gründe. „Ich habe da noch einen unvollständigen Text von über 300 Seiten über die Motivation der Mitglieder von Mittelaltergruppen“, sagt er lachend. Dennoch werde bei seinen vielen Gesprächen ein vorübergehendes Leben ohne moderne Technik  immer wieder genannt. „Der Lebensrhythmus orientiert sich am Tagesverlauf“, fasst Kommer zusammen.
Wie viele praktizierende Mittelalter-Fans es in Deutschland gibt, weiß er nicht, da es keinen Dachverband der zahlreichen regionalen Gruppen gebe. „Außerdem ist die Grenze zur Fantasy-Szene fließend“, gibt er zu bedenken. Bei großen Veranstaltungen kämen aber schnell mal 2500 Leute zusammen. Diese führten jedoch meist ein ganz normales Alltagsleben, was sie bei Gesprächen auch betonten, um nicht als Spinner rüber zu kommen. Am ehesten tauchten noch Handwerker ganz tief ins mittelalterliche Leben ein, da sie ihre nach alten Techniken hergestellten Produkte bei Lagern und Märkten verkaufen.

Konfliktfelder zwischen Mittelalter-Anhängern und der Forschung

Aus wissenschaftlicher Sicht erkennt Sven Kommer bei allem Respekt durchaus Konfliktfelder zwischen ambitionierten Mittelalter-Anhängern und der reinen Forschung. „Es gibt natürlich viele Gruppen, die besser über Details informiert sind bis hin zur exakten Beschaffenheit des kleinsten Wamsknopfes. Die Wissenschaft dagegen sei an den größeren Zusammenhängen interessiert.“ Sven Kommer liegt auf der Linie der Hegauritter, Zeitenbummler und Nenzinger Westernfans, wenn er deren Leidenschaft als Hobby wie viele andere bezeichnet. Allerdings sei er schon beeindruckt, mit welcher Intensität und Ernsthaftigkeit es teilweise betrieben werde. Das führe bis hin zum Nachstellen historischer Schlachten.

Der Professor hat festgestellt, dass Studenten der Mediävistik (Mittelalterkunde) zunehmend aus der Mittelalterszene kommen. „Man muss aber sagen, dass das Interesse an diesem Studienfach eher zurückgeht, schränkt er ein. Er sieht ein gewisses Risiko, dass sich das persönliche Interesse negativ auf eine sachliche wissenschaftliche Herangehensweise auswirken könnte.

Musik spielt bei Mittelaltermärkten und Lagern eine wichtige Rolle und spricht nach Einschätzung von Sven Kommer nochmal ein anderes Publikum an. „Mit dem Mittelalter hat das meiste  allerdings so gut wie nichts zu tun, am ehesten noch mit der Frührenaissance“, gibt er zu bedenken. Schon Gruppen wie Ougenweide in den 1970er-Jahren spielten laut Kommer so etwas wie Fantasy-Musik.
Von aktuellen Gruppen wie In Extremo oder Schandmaul ganz zu schweigen. Es gebe kaum Überlieferungen profaner Melodien aus dem Mittelalter, und sollte es dennoch Notationen (Neumen) geben, böten diese großen Interpretationsspielraum. „Außerdem: Wer hört sich schon das komplette Nibelungenlied in Mittelhochdeutsch an“, scherzt der Professor.

Vortrag von Professor Sven Kommer über die Wissenszirkulation im Mittelalter im Internet: