Peter Wüst hat eine neue Mitbewohnerin. Sie hat dunkle Augen, ist braun eingekleidet – und schnattert manchmal vor sich hin. Den Großteil des Tages verbringt sie in einem Blumentopf auf seinem Balkon. Denn diesen hat die ganz besondere Stockente als Kinderstube auserwählt. Dort brütet sie acht Eier aus.
Aber mal von vorn: Vor etwa sechs Wochen habe Peter Wüst dort zum ersten Mal beobachtet, wie zwei Enten auf seinem Geländer sitzen. „Zuerst habe ich mir gar nichts dabei gedacht“, erzählt der 57-Jährige bei einem Besuch des SÜDKURIER. „Man sieht hier immer wieder Enten irgendwo sitzen, auf Dächern, Fensterbrettern.“ Wenige Tage später dann die Überraschung: „Eines Morgens beim Lüften stand sie in meinem Schlafzimmer“, erinnert sich Wüst.

Frühstück mit Aussicht und Ente
Irgendwann habe er festgestellt, dass die Stockente seinen Blumentopf zum Nest umfunktioniert hatte. „Sie hat die Eier unter dem trockenen Gestrüpp von letztem Jahr vergraben,“ erzählt Peter Wüst. Weil ihn die Vogelwelt schon immer interessiert hat, habe er die werdende Entenmutter schlichtweg als neue Mitbewohnerin akzeptiert – und ihr prompt einen Namen gegeben.
„Agathe – das kam mir einfach spontan“, sagt er dazu. Gelegentlich verlasse Agathe ihr Nest, wahrscheinlich um etwas zu essen, später komme sie wieder zurück. Bei gutem Wetter frühstücke er im Sommer immer auf dem Balkon. Und seit einigen Wochen in tierischer Gesellschaft. „Ich find‘s schon ganz witzig, dass sie da ist“, sagt Wüst. „Sie stört ja nicht.“

Doch was, wenn die Küken schlüpfen?
Am Anfang fand der Konstanzer es aber gar nicht so witzig, dass Agathe auf seinem Balkon brütet, gibt er später zu. Warum? „Weil ich schon wusste, was das Ende der Geschichte ist – nämlich, dass ich mich drum kümmern muss, dass die Küken da nicht runterfallen.“ Bald vier Wochen sollte Agathe mittlerweile auf ihren Eiern sitzen, vermutet Peter Wüst. Er rechne deshalb jeden Tag damit, dass der Nachwuchs die kalkige Schale zerbricht und schlüpft. Das Problem an der Sache: Der Balkon befindet sich in etwa 15 Metern Höhe, direkt über einem Bürgersteig, daneben die Straße.
Sollten die Küken dort hinunterstürzen, werden sie sehr wahrscheinlich sterben. Das weiß auch Peter Wüst. Deshalb hat er Sicherheitsvorkehrungen getroffen – schon seit einiger Zeit säumt ein feinmaschiger Zaun das Geländer seines Balkons. „Den habe ich im Internet bestellt und angebracht, als Agathe gerade ausgeflogen war“, so Wüst.

Sobald die Küken da sind, will er sie so schnell wie möglich zusammen mit ihrer Mutter an den See bringen, sagt der 57-Jährige. Nach einigen Telefonaten mit Tierschutzinstitutionen habe er sich dafür entschieden, die Tiere bei ihrem Weg ans Wasser zu unterstützen. Eine Expertin habe ihm sogar im Nachhinein dazu geraten, das Tier zu verscheuchen, bevor es brütet. Eben weil im Wohngebiet so viele Gefahren lauerten. Dieser Ratschlag kam allerdings zu spät, denn da war es bereits geschehen.

Tierarzt: „Die Ente hat sich schon etwas dabei gedacht“
Tierarzt Heinrich Preiß sieht das jedoch etwas anders. „Die Ente hat sich schon etwas dabei gedacht“, betont er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Im Frühjahr suchen sich die Tiere einen erhöhten und sicheren Brutplatz an Land aus – „das kann ein Ast sein, ein Kirchturm, oder ein Penthouse“, so der Experte.

Wenn ihr Nachwuchs dann geschlüpft ist, stürze sich die Mutter nach unten. „Dann ruft sie die Küken“, sagt Preiß. Diese könnten zwar mit ihren kurzen Flügelchen noch nicht fliegen, wiegen dafür aber auch fast nichts. „Sie nehmen dann all ihren Mut zusammen und stürzen sich auch runter.“ Mit ihrer mütterlichen Erfahrung, wie er es nennt, führe die Ente ihre Kinder dann an die nächstgelegene Wasserstelle.
Das habe der Tierarzt sogar schon einmal beobachtet, berichtet er. An einer Straße habe die Entenmutter nach links und rechts geschaut und sei dann schnatternd losgelaufen. „Das ist eine durch und durch natürliche Sache“, meint Preiß. Laut dem Experten würden es die Tiere also auch allein zum See schaffen. Trotzdem lenkt er ein: „Wenn man ihnen helfen kann, ist es auch gut. Besonders im Wohngebiet, wo viel Verkehr und Asphalt ist.“ Dass Peter Wüst dem Entennachwuchs zur Seite stehen will, kann also nicht schaden. Nun ist nur noch die Frage, wann es soweit ist.