„Etwa 30 Türme hat es einmal gegeben“, berichtet Frank Mienhardt, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Konstanz. „Heute existieren noch vier.“ Vier? Mienhardt schmunzelt: „Ja, der vierte Turm wird immer vergessen: der Grießeggturm.“ Er befindet sich am Ende der Fischenzstraße im Paradies direkt an der Grenze zur Schweiz.
„Im 18. Jahrhundert wurde er zu einem Wohnhaus umgebaut und befindet sich in Privatbesitz“, so Mienhardt. Kein Wunder, dass das Bauwerk in Vergessenheit geraten ist: Aus den Augen, aus dem Sinn. Und jene, die es kennen, sprechen ohnehin lediglich vom „Paradieser Schlössle“.
„Diese Türme sind Fragmente einer wehrhaften Stadt“, stellt Frank Mienhardt fest und entführt verbal ins 13. und 14. Jahrhundert, als die Türme und die Stadtmauern errichtet wurden. Grob schildert er den Verlauf der Ringmauer um die Altstadt, die annähernd dem heutigen Hauptstraßenverlauf entspricht. Diese Ringmauer sei größtenteils doppelt ausgebildet gewesen, mit Gräben dazwischen.

Wichtig ist aber auch: Der der Altstadt vorgelagerte Stadtteil Stadelhofen war zusätzlich mittels einer Grabenmauer befestigt, berichtet Mienhardt und erläutert. „Es war ein wichtiges Einfallstor in die Stadt. Daher war die Südflanke am aufwändigsten bestfestigt. Stadelhofen allein hatte etwa zehn Türme.“
„Rheintorturm und Pulverturm waren Teil der Außenringmauer“, stellt Frank Mienhardt fest, hatten allerdings eine unterschiedliche Funktion, wie anhand der Architektur abzulesen ist. Der Pulverturm ist komplett gemauert und hatte eine Eckposition in der Stadtmauer inne, während der Rheintorturm nur mit drei Mauern ausgebildet und in Richtung Stadt offen war. Erst später wurde die vierte Seite durch Fachwerk geschlossen.

Der Rheintorturm grenzte an die seinerzeitige hölzerne Rheinbrücke und war somit der Zugang von Norden in die Stadt. „Es war das Entree“, so Mienhardt. Was er so an dem markanten Rheintorturm schätzt: „Er ist umfangreich belegt, bauhistorisch bemerkenswert und viel Originalsubstanz ist erhalten.
Man könnte auch sagen: Da steckt am meisten Mittelalter drin“, formuliert er populär mit einem Augenzwinkern. Das Dachgebälk wurde zudem dendrochronologisch (mit Bestimmung des Holzalters) untersucht und auf 1355/56 datiert, so Mienhardt.

Aber auch das Schnetztor in der Hussenstraße würdigt er in besonderem Maß, denn: „Es ist noch am besten in die Stadt eingebunden und hat einen selbstverständlicheren Bezug. Außerdem sieht man hier noch das echte Doppeltor.“
Gerade die Tortürme üben auf Mienhardt eine besondere Faszination aus: „Sie waren immer repräsentative Wehrbauten. Mit ihnen hat eine Stadt immer ihre Wehrhaftigkeit zur Schau gestellt und mit einem besonderen Gestaltungsanspruch versehen.“
„Relikte der Vergangenheit! Dass sie überhaupt erhalten sind, verdanken wir insbesondere Ludwig Leiner“, sagt Mienhardt. Leiner (1830-1901) war Konstanzer Stadtrat und Gründer des Rosgartenmuseums. Frank Mienhardt ist froh, dass wenigstens ein paar Fragmente der wehrhaften Stadt erhalten geblieben sind, auch wenn er das Vorgehen der Vorfahren verstehen kann. „Im 19. Jahrhundert wurden Stadtmauer und Türme abgebrochen, weil man sie schlichtweg nicht mehr gebraucht hat“, schildert er pointiert.
Dennoch hatte es einen weiteren Grund: Stadtentwicklung, denn in dieser Zeit „wurde das städtebauliche Umland im Wesentlichen geschaffen“. Da waren Mauern und Türme im Weg, wurden abgetragen und die Steine größtenteils zum Bau anderer Häuser wiederverwendet oder als Aufschüttmaterial genutzt.
„Die Abtragung der Befestigung war ein langer Prozess und begann etwa 1820“, so Frank Mienhardt, der Ludwig Leiner dankbar ist, dass dieser sich erfolgreich für den Erhalt zumindest der noch bestehenden Türme eingesetzt hatte. Und er weiß: „Viele Konstanzer trauern den Türmen, die abgerissen wurden, nach, weil sie sich mit der mittelalterlichen Stadt identifizieren.“