Eigentlich ging es gerade noch um die Zukunft des Bodenseeforums – ein ernstes, und ja, zuweilen ein tieftrauriges Thema. Doch plötzlich wird es in einer Ecke des Ratssaals laut, jetzt drängen Bürger in den Saal, nicht einer oder zwei, sondern zehn bis 15 Frauen und wenige Männer, einige mit Rollatoren. Dann noch einmal etwa dieselbe Anzahl sehr junger Menschen, die Sitzplätze reichen kaum aus.
„In der öffentlichen Gemeinderatssitzung erhalten EinwohnerInnen die Möglichkeit, Fragen zu Gemeindeangelegenheiten zu stellen oder Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten.“§ 21a der Geschäftsordnung für den Gemeinderat
Die Bürgerinnen wollen etwas sagen, das ist unmissverständlich. Und eigentlich wollen sie nicht warten, bis ein Stadtrat ausgeredet hat. Dieser wiederum tut sich schwer, seinen Gedanken zum Bodenseeforum zu formulieren. Es ist zu laut.
„Diese [Fragen] müssen sich auf das Aufgabengebiet des Gemeinderats/des Oberbürgermeisters beziehen und für eine Behandlung in öffentlicher Sitzung geeignet sein.“
Eine Bürgerin geht beherzt ans Mikrofon. "Herr Oberbürgermeister, waren am 30. März Verkehrskadetten in der Stadt?" formuliert sie ihre Frage und es klingt eher, als verdächtige sie ihn, eines Mordes schuldig zu sein.
Tatsächlich geht es der Bürgerin um den Bus, der unpünktlich ist, wenn in der Innenstadt Stau herrscht. Es sei nicht in Ordnung, wenn deshalb etliche Passagiere ihre Anschlüsse verpassten.
Busfahrten treiben auch Maria Vormittag um, die sich kurz fasst: "Herr Oberbürgermeister, warum bestrafen Sie uns? Was haben wir getan?" Sie bezieht sich auf die Verlegung der Haltestellen der Buslinie 6 an die Reichenaustraße. Seit Wochen wehren sich Bürger, unter ihnen Schwerbehinderte, dagegen, dass die Stadtwerke zwei Bushaltestellen in der Markgrafenstraße und der Ten-Brink-Straße gestrichen haben.
„Jeder Frageberechtigte darf in einer Fragestunde zu nicht mehr als zwei Angelegenheiten Fragen stellen oder Anregungen unterbreiten.“
Der OB und Bürgermeister Langensteiner-Schönborn versuchen, den Bus-Aktivistinnen das Dilemma der Stadtverwaltung zu erläutern. Die Busfahrer der Stadtwerke seien sich einig: Es sei ein Sicherheitsrisiko, weiter durch die Markgrafenstraße und die Petershauser Straße zu fahren. Zu viele Radfahrer hielten sich in der Fahrradstraße nicht an die Regeln.
"Finden Sie Lösungen!", fordert eine Frau vom OB. "Die Leute sind entnervt", sagt eine andere und ergänzt: "Was ist wichtiger? Autos oder der ÖPNV?". Maria Vormittag wirft Langensteiner-Schönborn vor, er habe nicht einmal auf eine Mail geantwortet. Inzwischen sind gut 20 Minuten der 15-minütigen Bürgerfragestunde vergangen.
„Die Beiträge müssen kurz gefasst sein und sollen die Dauer von drei Minuten nicht überschreiten. An eine Frage darf sich keine Aussprache oder Beratung anschließen.“
Jetzt verweist der OB auf das Thema Fairness: Es sei falsch, dass die Verwaltung sich nicht für das Anliegen der Busnutzer interessiere. "Es ist angekommen", seufzt der OB.
Sanfter wird es aber nicht: Noemi Mundhaas geht ans Mikro, das seinen Dienst versagt, Uli Burchardt bittet: "Herr Reile, könnten Sie bitte mal Ihr Mikro hergeben?", er erntet Gelächter. Holger Reile (Linke Liste) hatte sich erst vor wenigen Minuten beklagt, im Rat werde Zensur durch Abstellen des Mikrofons betrieben.
Ihr Anliegen macht die junge Frau, nun hörbar, nicht weniger dringlich als zuvor die verhinderten Buspassagiere. Sie fordert den OB auf, den Klimanotstand auszurufen. "Herr Oberbürgermeister, Sie senden das Signal aus, dass wir Zeit haben. Wir müssen jetzt handeln, und zwar sofort!"
„Zu den Fragen nimmt der/die Vorsitzende Stellung. Ist eine sofortige Antwort nicht möglich, soll die Frage binnen vier Wochen beantwortet werden.“
Uli Burchardt, der Vorsitzende des Gremiums, nimmt ausführlicher Stellung zu den Forderungen der Fridays-for-Future-Demonstranten. Er sagt, dass die Verwaltung schon viel für den Klimaschutz tue, verweist auf den Energy Award und Car Sharing und erläutert die Interessenkonflikte. Man könne nicht jede Maßnahme auf ihre Klimaschädlichkeit prüfen, immerhin bräuchten Menschen Raum zum Wohnen und man baue nun einmal mit Beton.
Deshalb wolle er die Forderungen der Demonstranten aufgreifen und einen eigenen Vorschlag aus der Verwaltung entwickeln. Dazu brauche diese aber einige Wochen. Den Aktivisten geht das aber nicht schnell genug. "Wir brauchen radikale Änderungen, sonst demonstrieren wir weiter", sagt Mundhaas, und Jannis Krüßmann fordert den OB auf: "Was planen Sie für 2019? Antworten Sie spontan!"
„Keine Beantwortung erfolgt, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern, wenn sie nicht den Bereich der örtlichen Verwaltung betreffen oder sich auf nachfolgende Tagesordnungspunkte derselben Sitzung beziehen.“
Klimaneutrale Fähre, klimaneutraler Stadtteil, ein E-Bus sei in Planung. Dem OB fallen spontan vor allem Vorhaben ein, die in der weiteren Zukunft liegen. Oder in der Vergangenheit: Konstanz sei gerade für seine Fahrradfreundlichkeit ausgezeichnet worden.
Das reicht den wütenden Demonstranten aber nicht, sie fordern netto-null Emissionen und werfen dem Rat vor, sich mit teuren Spielzeugen zu befassen, gemeint ist das Bodenseeforum. Die Generation, die den Klimawandel verantworte, möge sich in Selbstkritik üben. "Das habe ich getan", sagt Burchardt und bittet die Bürger, den Fortgang der Sitzung zu ermöglichen.
„Die Einwohnerfragestunde ist auf insgesamt 15 Minuten begrenzt und soll gegen 18.00 Uhr ausgeübt werden.“
Einer Bürgerin ist es nun doch zu grün oder zu bunt geworden, sie fordert den Rückbau der Fahrradstraße, die viel zu gefährlich sei. Geduldig erläutert der OB, dass die Fahrradstraße ein Kompromiss sei. "Wir wussten, dass es anstrengend wird."
Eine junge Mutter, die ihr Kind mitgebracht hat, pflichtet den Klima-Aktivisten bei und fordert mehr Grünflächen in der Stadt, um sich gegen den Klimawandel schützen zu können. Karl Langensteiner-Schönborn übernimmt die Antwort: "Es stimmt, wir müssen überall besser werden".
Nach 55 Minuten ist die Bürgerfragestunde beendet. Und die Stadträte gehen wieder zur Tagesordnung über.