In Baden-Württemberg herrscht fast Vollbeschäftigung. Die Wirtschaft tut sich seit Jahren schwer, genügend ausbildungswillige junge Leute zu finden. 2016 konnten fast 7200 Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Schon heute ist der Fachkräftemangel eminent. Auszubildende zu gewinnen, stellt aktuell eine Herausforderung dar. Aus gutem Grund legen Unternehmer viel Wert auf eine betriebliche Ausbildung – aber auch die beste Ausbildung läuft nach Meinung Sören Riegers, Geschäftsführer des Hilzinger Unternehmens Renfert, ins Leere wenn es nicht genug junge Leute gibt. „Der demografische Wandel tangiert uns seit sehr vielen Jahren.“
Renfert ist für Staatssekretärin Katrin Schütz ein sehr engagierter Ausbildungsbetrieb. 21 Mitarbeiter der insgesamt 193-köpfigen Belegschaft sind Azubis. Damit liegt die Ausbildungsquote bei überdurchschnittlich hohen 10,9 Prozent. Das ist kein Zufall. Renfert-Chef Rieger liegt die Nachwuchsgewinnung sehr am Herzen. Das Unternehmen, das in Hilzingen Produkte für Dentaltechnik entwickelt und produziert, die in mehr als 100 Ländern vertrieben werden, ist kreativ, wenn es um Ideen geht, junge Leute – die Fachkräfte der Zukunft – für einen ihrer Ausbildungsberufe zu begeistern. Mit gemeinsamen Ausflügen zum Beispiel. Mit einer Lehrwerkstatt. Mit dem Mitarbeiter Dennis Rissler. Er ist einer der landesweit 11 500 geschulten Ausbildungsbotschafter und stellt in Schulen seinen Beruf und die Chancen einer betrieblichen Ausbildung vor. Oder mit praxisorientierten Bachelor-Arbeiten, wie Katharina Feger erläuterte. Die junge Frau ist im zweiten Jahr ihres dualen Betriebswirtschaftsstudiums und sagt: „Heute geschrieben, morgen schon umgesetzt.“
Wenn alle Betriebe so dächten, bräuchte es Katrin Schütz um die duale Ausbildung in Baden-Württemberg nicht bange zu sein: Die Firma Renfert wäre bereit, sich weitaus stärker im Bereich von betrieblicher Ausbildung und auch Integrationsleistung einzubringen, wenn die Politik hier für zukunftsorientierte Lösungen sorgen will, betonte der Geschäftsführer beim Stop der Wirtschaftsstaatssekretärin in Hilzingen. Schütz besucht derzeit Ausbildungsbetriebe, um vor Ort zu erfahren, wie die Wirtschaft die Nachwuchsgewinnung und das hohe duale Ausbildungsniveau sicherstellt. Mit am runden Tisch saßen Renfert-Ausbilder und Azubis und Vertreter verschiedener Wirtschaftsverbände und der Politik.
Schütz zeigte sich von Riegers Versprechen angetan: „Wir schätzen uns glücklich, so eine enge Verflechtung mit den Betrieben und Verbänden zu haben. Das macht Baden-Württembergs Wirtschaft aus.“ Rieger plädierte dafür, europäisch zu denken: „In einigen EU-Ländern liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 50 Prozent. Das ist ein Riesenpotenzial. Diese jungen Leute müssen wir herholen!“ Die diesbezüglich von Schütz angeführte, im Grenzgebiet zu Frankreich schon bestehende Möglichkeit, die duale Ausbildung teils in Frankreich, teils in Deutschland zu absolvieren, ist ihm nicht weitreichend genug. „Wir reden hier nicht von ein paar Azubis, sondern von den zehntausenden fehlenden Fachkräften von morgen. Wir müssen das als ganz großes Projekt der Politik sehen.
In der gleichen Dimension dachte auch Claudius Marx. „Wir müssen von exemplarischen kleinen Leuchtturmprojekten weg zu den großen Zahlen kommen“, so der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee. Zugleich betonte er die Wichtigkeit eines Imagewandels der dualen Ausbildung: „Sie muss cool, sexy und nicht verstaubt daher kommen.“ Aus genau diesem Grund gehe auch die neue Ausbildungsordnung für den Groß- und Außenhandelskaufmann mit der Namensänderung zum modern klingenden Groß- und Außenhandelsmanagement Hand in Hand, so Boris Behringer, Hauptgeschäftsführer von Großhandel BW.
Praktika für Partnerstadt Lizzano
Nicht nur Renfert-Chef Sören Rieger sieht in der Jugend anderer EU-Staaten ein beträchtliches Potenzial für den deutschen Ausbildungsmarkt liegen. Andere Mittelständler in Hilzingen tun es ihm gleich: Sie stellen in Kürze Praktikumsplätze für rund 20 junge Leute aus der italienischen Partnergemeinde Lizzano in Belvedere. In dem Abbruzzen-Ort sind die wirtschaftlichen Verhältnisse aktuell nicht optimal, wie Bürgermeister Rupert Metzler mitteilte. Unter anderem hat der Hersteller von Kaffeemaschinen Saeco dort vor Ort seine Produktion geschlossen, die Ausbildungsstellen sind rar. Als Organisator der Aktion tritt die Gemeinde auf, die auch für die Unterbringung der jungen Italiener sorgt. (drm)



