Singen – Es ist höchste Zeit zum Reden – mit Menschen, die von Armut betroffen sind. Und davon gibt es in Singen viele. So ist schätzungsweise jedes vierte Kind von Armut betroffen. Deshalb führt die Singener Tafel seit kurzem das Projekt „Rede-Zeit“ aus. Projektleiter Reinhard Zedler und seine Mitarbeiterin Martina Kaiser sowie der Vorsitzende der Singener Tafel, Udo Engelhardt, stellten das Projekt dem SÜDKURIER vor.

Eigentlich ist Reinhard Zedler seit über einem Jahr im Ruhestand. Davor war er jahrelang Geschäftsführer des Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt. Nun reizt ihn die neue Aufgabe, für die er zu 30 Prozent bei der Singener Tafel angestellt wurde. Seine Nachfolgerin als AWO-Geschäftsführerin, Regina Brütsch, fand den Förderaufruf „Maßnahmen der aufsuchenden politischen Bildung für Menschen mit Armutserfahrung“ des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg und gab die Idee an die Singener Tafel weiter.

„Wohlfahrtsverbände wie die AWO könnten so ein Projekt nicht ausführen“, erklärt Udo Engelhardt. Es sollten Projektträger sein, die im Bereich Armut tätig sind. Das ist bei der Singener Tafel der Fall, denn der Verein, der dieses Jahr 25 Jahre alt wurde, ist aus einer Armutsinitiative heraus entstanden. Auf Landesebene gebe es seit Jahren ein Netzwerk für Menschen, die in prekären Lebenssituationen leben. Die Landesarmutskonferenz, die seit 2012 besteht und in der Engelhardt als Vorsitzender der Tafel Mitglied ist, ist neben der Landeszentrale für politische Bildung Unterstützer dieses Projekts.

„Aufsuchende politische Bildung für von Armut betroffene Menschen“ klingt erst einmal sperrig. Was Reinhard Zedler und Martina Kaiser konkret tun werden: an erster Stelle steht der Rede-Zeit-Bus. Er soll ab dem 7. Mai bis Oktober immer montags von 16 bis 18 Uhr auf dem Parkplatz des Rewe-Marktes in der Südstadt nahe des Berliner Platzes stehen. „Wir laden Menschen ein, die von Armut betroffen sind, vorbei zu kommen, auf einen Kaffee oder Tee. Wir wollen ihnen zuhören und eine Stimme geben“, sagt Reinhard Zedler. Neben Martina Kaiser und Reinhard Zedler werden auch Angela Berger (Mitarbeiterin der Singener Tafel) und Raimund Siirak (Sozialberatung Süd) vor Ort sein, um den Menschen zuzuhören.

„Wir wollen mit den Menschen in Kontakt kommen, die von Armut betroffen sind oder Angst davor haben, dass es sie betreffen könnte“, sagt Zedler. Die Rede-Zeit beim Montagsbus steht unter den drei Aspekten: Reden, Zuhören und Verändern und es soll ein neues Miteinander auf den Weg gebracht werden. Mit einer Beteiligung der Betroffenen können Wege aus der Armut gefördert werden, sagt Reinhard Zedler. Der Leiter des Rewe-Marktes habe übrigens seine Unterstützung für diese Aktionen auf dem Parkplatz zugesagt.

Neben der Rede-Zeit beim Montagsbus sind aber weitere Dinge geplant. So sollen die Politiker vor Ort sensibilisiert werden, was sie besser machen könnten. Reinhard Zedler nennt hier als Beispiel die Gestaltung des Sozialpasses. Geplant sind auch Vorträge an Schulen. „Wir haben sehr positive Rückmeldungen von der Hebelschule und der Zeppelin-Realschule“, sagt Martina Kaiser. Im kommenden Schuljahr soll das Projekt im Rahmen des Ethikunterrichts in den neunten Klassen vorgestellt werden, um den Schülern darzulegen, was Armut ist und wie man sie bekämpfen könnte.

Im Rahmen des Projekts wird außerdem ein Betroffenen- und Expertenrat gebildet, der mit der Politik verbunden ist. Dieses Gremium soll bis Mitte 2025 seine Arbeit aufnehmen. Reinhard Zedler und Udo Engelhardt konnten das Projekt bereits in der jüngsten Gemeinderatssitzung sowie der Südstadtkonferenz vorstellen. Im Rahmen des großen Netzwerks, das in Singen besteht, gibt es bereits eine Lenkungsgruppe. Dieser gehören Martin Burmeister (Leiter der Stabsstelle Sozial- und Bildungsplanung), Armin Sehrer (Koordinator für Armutsprävention bei der Stadt), Laura Casola (Seniorenarbeit), Jessica Dammer (Jugendarbeit), Linda Kelmendi (Stabsstelle Integration) und Mirja Zahirovic (Verein Kinderchancen) an.