Alessio Passarella hat Probleme, die auf den ersten Blick untypisch wirken: Seine Gemeinde ist zu groß geworden. Passarella ist Pfarrer der ICF-Kirche Singen. Die Abkürzung steht für International Christian Fellowship, auf deutsch etwa als Internationale Christliche Gemeinschaft oder Kameradschaft zu übersetzen. Bis vor Kurzem hatte ICF Singen ihr Quartier im früheren Scala-Kino in der Rielasinger Straße. Doch inzwischen finden die sonntäglichen Gottesdienste in einem Zelt auf einem Gelände im Singener Industriegebiet statt.
Das liegt zum einen daran, dass die Kirche während der Corona-Zeit, in der keine Präsenzgottesdienste stattfinden konnten, stark an Anhängern gewonnen habe, wie der Pfarrer erzählt. Waren vor der Pandemie 180 bis 190 Menschen Anhänger der Gemeinde, so schätzt Passarella diese Zahl jetzt auf 250 bis 300 Personen. „Wir haben Corona und speziell auch die Verordnungen und Restriktionen immer als Chance gesehen“, erklärt der Pastor. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass das frühere Scala-Kino verkauft wurde. Der neue Besitzer hat andere Pläne mit dem Gelände. Das Ex-Kino und das angrenzende Lokal Gartenstadt werden abgerissen, die Arbeiten zur Entkernung laufen.
Gemeinderatsausschuss berichtet über Bauantrag
Die neuen Besitzer der Grundstücke äußern sich noch nicht zu ihren Plänen. Die Baugenehmigung sei noch nicht da, heißt es zur Begründung auf dem Weg über ein beteiligtes Bauunternehmen. Dass die Baugenehmigung noch aussteht, bestätigt Patrick Wacker, Leiter der Abteilung Baurecht bei der Singener Stadtverwaltung. Der Bauantrag sei aber gestellt und werde im Gemeinderatsausschuss für Stadtplanung, Bauen und Umwelt (SBU) am Mittwoch, 17. November, beraten. Die Stadt habe aber die Abbrucherlaubnis erteilt.

Bekannt ist allerdings, dass dort Wohngebäude entstehen sollen. Eine entsprechende Bauvoranfrage hat der Ausschuss SBU im März behandelt. Damals sei es um eine Hüllkurve gegangen, innerhalb derer gebaut werden darf, wie Wacker den Ausschussmitgliedern in der Sitzung im Frühjahr erläuterte. Die Rede war von vier Gebäuden, verbindliche Pläne waren aber nicht Gegenstand der Beratung. In der Sitzung haben die Ausschussmitglieder vor allem hinterfragt, ob eine Wohnbebauung zum Charakter des Gebietes passt, für das es keinen Bebauungsplan gibt. Bei der Abstimmung haben vier der zehn Ausschussmitglieder mit Nein gestimmt, das Gremium hat also keine Veränderungssperre und keine Zurückstellung des Baugesuchs beschlossen.
Das Zelt ist zunächst für ein halbes Jahr genehmigt
Um diese neuen Pläne umzusetzen, hat der neue Besitzer den Mietvertrag mit der Freikirche gekündigt. Die brauchte relativ rasch ein neues Quartier. Und fand es auf dem Gelände einer Firma, bei der auch Anhänger der ICF arbeiten. Die hätten bei der Arbeit von den Nöten ihrer Gemeinde erzählt, weshalb sich der Inhaber entschlossen habe, für den Übergang eine Fläche zur Verfügung zu stellen. Das Großzelt dient seitdem als Quartier für die Gottesdienste der ICF. Das Zelt biete mehr Platz als das alte Kino, sagt Passarella, und sei daher auch unter den Hygiene-Gesichtspunkten besser. Dadurch gebe es auch die Möglichkeit, mehr neue Gottesdienstbesucher hinzukommen zu lassen als im alten Kino.

Und durch eine Heizungsanlage dürfte es auch im Winter gut funktionieren. Eine Dauerlösung ist das Zelt jedoch nicht. „Das Zelt ist als fliegende Baute eingestuft und kann nur für ein halbes Jahr genehmigt werden“, sagt Passarella. Eine Verlängerung durch die Genehmigungsbehörde sei zwar möglich, aber von ICF nicht angestrebt. Allerdings wisse man zum jetzigen Stand noch nicht, wie es ab März weitergehen kann, sagt der Pastor. Klar ist für ihn indes: „Kirche braucht ein Zuhause.“ Und einen Nachteil gibt es beim Zelt: Man darf es nur an Sonntagen nutzen, denn an den Wochentagen wird auf dem Gelände im Industriegebiet gearbeitet. Büroräume gibt es im früheren Gebäude der Werkstätte Team Pirmin im Singener Industriegebiet. Die Einrichtung der Caritas ist um den Jahreswechsel 2019/2020 in einen Neubau im Gewerbegebiet Tiefenreute gezogen.
Kirche, Organisation und Zusammenarbeit: Das ist ICF
- Die Kirche: ICF stammt als Bewegung aus der Schweiz und betrachtet sich als überkonfessionelle Freikirche. Das Ziel beschreibt der Singener Pastor Alessio Passarella damit, die Botschaft der Bibel in eine Sprache zu übersetzen, die die Menschen heute verstehen. In den Gottesdiensten am Sonntag gibt es an moderner Popmusik orientierte Lieder und eine Predigt, die auf die Lebenswelt der Menschen ausgerichtet ist. Außerdem bietet ICF viele Online-Aktivitäten. Eine weltanschaulich zweifelhafte Tendenz, wegen der zuletzt die in Konstanz aktive Hillsong-Kirche in die Diskussion geriet, sei bei ICF nicht zu erkennen, sagt Sarah Pohl, Leiterin der religiös neutralen und vom Kultusministerium in Stuttgart geförderten Beratungsstelle Zebra-BW. Ihr seien keine Aktivitäten bekannt, die über die Religionsfreiheit hinausgehen, so Pohl.
- Die Organisation: Organisiert ist ICF als Verein. Mitglieder darin seien allerdings nur sieben Personen, sagt der Singener Pastor Passarella – genug, um die Vorstandsämter zu besetzen. Die Menschen, die an den Sonntagen in den Gottesdienst kommen, seien nicht durch eine Vereinsmitgliedschaft gebunden. Die Singener Gemeinde gehört zum Verein ICF Schwarzwald-Bodensee, wo es die älteste und zentrale Gemeinde ist. In Südbaden unterhält ICF außerdem Gemeinden in Villingen und Freiburg. Zu jeder davon gehört ein angestelltes Pfarrer-Ehepaar. Den Rest der Arbeit erledigen größtenteils freiwillige Kräfte. In Singen gebe es aber auch eine Teilzeitkraft für die Verwaltung und eine Frau, die Bundesfreiwilligendienst leistet (Bufdi). Außerdem gibt es Neugründungen in Offenburg, Tuttlingen und Friedrichshafen, derzeit ohne eigene Pastoren. Laut Passarella finanziert sich ICF allein aus Spendenmitteln.
- Zusammenarbeit mit anderen Kirchen: ICF sei Mitglied bei der evangelischen Allianz in Singen und bei der bundesweit tätigen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, sagt der Pastor. Dadurch gebe es auch einen Austausch mit den katholischen und evangelischen Pfarrern in Singen und der Umgebung. Und von diesem Austausch würden sich durchaus auch die Pfarrer der älteren Kirchen Anregungen holen, sagt Passarella.