Rund 150 Menschen haben gestern in Radolfzell für bezahlbaren Mietwohnraum, eine größere Vielfalt von Kulturangeboten und Kleingewerbe sowie für mehr Raum und Begegnungsstätten demonstriert. Dazu zogen die Teilnehmer vom Gerberplatz vorbei am Schützenareal über die Poststraße zum Marktplatz. Die Route kam nicht von ungefähr. Organisator Markus Greineder wollte damit bewusst an „bestehenden und noch entstehenden Bausünden“, wie er sagte, vorbeiziehen.
Auf dem Marktplatz sorgten verschiedene Wortbeiträge für den notwendigen Inhalt des Protests. Im Zentrum der Kritik standen die rapide gestiegenen Immobilen- und Wohnpreise und die Stadtverwaltung, die nach Ansicht der Teilnehmer zu wenig für den Erhalt bestehender Objekte tut und gleichzeitig Investoren alle Möglichkeiten an die Hand gibt, die deren Gewinnmaximierung ermöglicht. „Wir wollen profunde Kritik an der Stadtbaupolitik. Wir brauchen ein neue Dynamik in den Stadtplanungen“, sagte Organisator Markus Greineder zu der Motivation für die Veranstaltung. An der Zusammensetzung der Protest-Teilnehmer war gut abzulesen, wer die Leidtragenden der aktuellen Entwicklungen sind. Von der jungen Familie bis hin zu Rentnern reichte das Spektrum. Sie alle monieren steigende Miet- und Wohnungspreise, die so manchen dazu zwingen, Radolfzell früher oder später den Rücken zu kehren.
„Mit meinem Gehalt habe ich keine Chance, in Radolfzell ein Eigenheim zu erwerben“. sagte zum Beispiel Marcus Scheibe, der sich wie viele andere während der Veranstaltung zu Wort meldete. Ähnlich klang das bei Karin Griß: „Ich möchte nicht in Hintertupfingen wohnen, sondern in Radolfzell bleiben. Aber man findet einfach keinen bezahlbaren Wohnraum“, erklärte sie. Die Kultkneipe Tanke, die im Rahmen der Überbauung des Schützenareals endgültig abgerissen wird, war ein weiterer Protestgrund vieler Teilnehmer. „Das war nicht nur eine Kneipe, das war das coolste Mehrgenerationenhaus der Welt“, befand Marcus Scheibe in seiner Wortmeldung. Betreiber Christoph Manz, der ebenfalls vor Ort war, nahm die Verwaltung der Stadt Radolfzell sogar noch in Schutz, indem er ihr attestierte, dass man gemeinsam auf der Suche nach einem Folgestandort sei. Allerdings tadelte er den Gemeinderat in der Stadtverwaltung auch: „Vieles von dem, was wir heute kritisieren, hätte man frühzeitig und schon vor Jahren ohne Probleme regeln können."
Damit ging Christoph Manz auf den Wortbeitrag von Bürgermeisterin Monika Laule ein, die kurz zuvor die Arbeitsweise der Stadtverwaltung dargelegt hatte. Darin gab sie indirekt zu, dass die angestrebte Innenraumverdichtung den Prozess der Preisbeschleunigung bei Immobilien noch weiter angetrieben hat. Generell fand sie großes Lob für die Veranstaltung, die ihrer Meinung gleichzeitig eine Handlungsanweisung für Gemeinderat und Verwaltung sei: „Ihr Erscheinen zeigt, dass wir uns noch mehr des Themas annehmen müssen“, so die Bürgermeisterin weiter. Ein Zuruf aus dem Publikum brachte das mit weniger Worten zum Ausdruck: „Taten statt Worte“, rief er über die Köpfe der anderen Teilnehmer hinweg.
Der Grund
Die Demonstration richtete sich unter anderem an die geplante Überbauung des Schützenareals in Radolfzell. Auf dem Areal befindet sich die Kultkneipe „Tanke“, die seit 26 Jahren ein Anziehungspunkt in Radolfzell ist und der neuen Überbauung weichen muss. Darüber wie genau diese Bebauung aussehen soll, wird zwischen Investor, Verwaltung und Gemeinderat allerdings noch diskutiert. Aber auch Projekte, wie am Gerberplatz und auf dem Boschareal sowie die Pläne für das Kapuzziner-Areal stehen in der Kritik. (ja)