Was verbindet San Marco in Venedig mit Sankt Meinrad in Radolfzell? Es ist die Dauer der nachhallenden Töne in beiden Kirchen: 8 bis 11 Sekunden. Und wer beim Adventskonzert mit Stadtkapelle und Jugendblasorchester mittendrin saß in den festlich-experimentellen Klängen, die einen vom Altar und von der Empore her einhüllten, der erlebte die Effekte dieses langen Nachhalls besonders intensiv. Denn es gab ein Stück zu hören, das mit Echo-Wirkung arbeitet.
Dirigent Kuno Rauch studierte für das Adventskonzert der Stadtkapelle und des Jugendblasorchesters ein ausgetüftelte und schwieriges Stück mit Stadtkapelle und Orgelbegleitung ein. Schwierig deshalb, weil es bei einem Echostück vor allem auf die exakt abgestimmten Einsätze der Instrumente ankommt. Und die beiden Blechbläser-Ensemble auf der Empore vom Altar aus zu dirigieren – zum Teil ohne Sichtkontakt – erfordert ein sehr gut eingespieltes Musiker-Dirigenten-Team. Posaunen und Trompeten erschallten demnach versetzt und in so klar aufeinander abgestimmten und vollen Tönen, dass das Publikum in der vollbesetzten St. Meinradskirche regelrecht in Musik badete.
Lautstärke-Wechsel für Gänsehaut
Denn trotz des „Sofawetters“, wie Vorstand Thomas Späth es nannte, kamen viele Zuhörer. Man merkte den Emporen-Kömmlingen die Freude und den Spaß am Spielen deutlich an. Nach dem festlichen Auftakt der Bläserensembles erklangen dann verschiedene Instrumentengruppen in Echomanier. Nicht zuletzt hier kam eine von Rauchs größten Fähigkeiten zum Tragen: dem Blasorchester eine feine Dynamik zu entlocken, die in den Wiederholungen immer wieder Gänsehaut verursacht. Die Lautstärke spielt in diesem Stück eine sehr wichtige Rolle – wobei Flöten und Klarinetten im Hauptteil die leisen, zarten Teile übernehmen – und steigert sich dann immer mehr, bis sie zum Schluss in ein einem majestätischen Crescendo endet.
Spannender Klangraum Kirche
Johan de Meij – ein 1953 geborener niederländischer dirigent und Komponist – komponierte nach einer Vorlage des italienischen Renaissance-Komponisten Giovanni Gabrieli (1557-1612) das instrumentale Echostück „Echoes of San Marco“. Er setzte dabei den Echoeffekt so geschickt ein, dass er für sein Werk beim 30. Internationalen Kompositionswettbewerb ausgezeichnet wurde. Kein Wunder, denn sein Stück beweist besonders eindrucksvoll: Die verschiedenen Klangräume in Kirchen sind spannend und bieten Musikern und Hörern noch viel unbekanntes akustisches Terrain.
Volksmusik geht auch melancholisch
Im bekannten, aber ebenfalls reizvollen akustischen Terrain bewegte sich das Jugendblasorchester mit dem abwechslungsreichen und anspruchsvollen Stück „Polish Christmas Music“, arrangiert von Johan de Meij. Viele vitale Bilder tauchen bei dieser Musik vor dem inneren Auge auf: Eine beschwingte Schlittenfahrt, Glockengeläut, Kirchenmusikklänge, Tanzmusik in teils schwierigem Rhythmus, und immer wieder finden sich dabei Elemente der polnischen Volksmusik – im melancholischen Moll, aber auch in beschwingter Weise –, Letzteres oft umgesetzt von den hell klingenden Flöten.

Mit „Highland Cathedral“, einem feierlich-getragenen Stück – ursprünglich für Dudelsack –, gelang es dem Jugendblasorchester mit viel Gefühl, einen gefälligen Ohrwurm zu verbreiten. Die Snare Drum als wichtiges Schlaginstrument hatte daran einen entscheidenden Anteil.
Besondere Beachtung verdiente das Stück „The armed man: A mass for peace“ mit verschiedenen Solisten. Als Aufruf zum Frieden zu verstehen, begann das moderne Stück von Karl Jenkins im Marschrhythmus. Von den hohen Piccoloflöten angestimmt, abgelöst von bedrohlich-breiten Klangteppichen, nimmt das Stück mit schnellen Läufen abgehackter Töne und Dissonanzen in den Blechbläsern bedrohlich Fahrt auf – man meinte, Kriegsszenen zu sehen, die Trommel ahmte Kanonenschläge nach. Um dann in sanfteren solistischen Trompeten- und Tenorhorntönen abzuklingen und ruhig zu werden.

Bezeichnend hier die Sätze „Agnus Dei“ und „Benedictus“ aus der Heiligen Messe. Dieses Stück entstand unter dem Eindruck des Kosovo-Konflikts, wurde 2000 in London uraufgeführt und soll – gerade 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs – ein Aufruf zum Frieden sein.
Ein Friedensappell
Um im Friedenskontext zu bleiben, versammelten sich alle Musiker im Altarraum und spielten dicht gedrängt „We are the world“ von USA for Africa – vielleicht auch als Gegengewicht zu Donald Trumps vermeintlicher Außenpolitik. Und beide Orchester begleiteten die Gemeinde bei dem Adventslied „Macht hoch die Tür“: immer wieder und hört nicht auf damit!
Konzerterlös als Spende
Dem dirigenten Kuno Rauch gelang es, mit Stadtkapelle und Jugendblasorchester im diesjährigen Adventskonzert moderne und traditionelle Musik zu verbinden. Leichtgewichtig die Jugend, gewichtig-leicht die Erwachsenen, veranstalteten beide Orchester das Konzert zu Gunsten der Flüchtlingshilfe Radolfzell und der Diakonie. Über 120 Musiker standen dabei zum Schluss im Altarraum der Radolfzeller St. Meinradskirche. Und es scheinen im Jugendblasorchester immer mehr zu werden – ein ermutigendes Zeichen für die Arbeit beider Ensembles.