Ein Vorbild möchte er eigentlich nicht sein, der Rainer Kohler. Doch so wirklich wehren kann er sich nicht dagegen, die Argumente fehlen ihm schlicht. Da hätte er schon viel, viel früher aufhören müssen mit seinem ehrenamtlichen Engagement beim SV Litzelstetten. So aber kommt er nicht umhin, sich dieses Etikett anheften zu lassen.
Wer seit fast 50 Jahren Woche für Woche seine rar gesäte Freizeit einem Sportverein opfert, genau hier vor 41 Jahren eine eigene Abteilung gegründet hat und seither in führender Rolle in dieser Tennis-Abteilung fungierte, der ist ein gesellschaftliches Vorbild für das Ehrenamt. Ein Vorbild, ohne das das deutsche Vereinssystem nicht funktionieren würde.
„Mulmiges Gefühl. Irgendwie komisch.“
Heute Abend tritt Rainer Kohler als Abteilungsleiter nicht mehr an. Nach fast einem halben Jahrhundert. „Das ist schon ein mulmiges Gefühl. Irgendwie komisch“, sagt er und nippt an seinem Cappuccino im Vereinsheim am Entengraben. „Aber ich freue mich auch darauf.“ Der 77-Jährige wird an dieser Stelle am Donnerstagabend die Jahreshauptversammlung wie Dutzende Male zuvor eröffnen.
„Wenn die Sitzung dann beendet ist, war‘s das für mich.“ Von einem Moment auf den anderen. Sogar der Bezirksvorsitzende aus Meßkirch hat sich angekündigt, um Rainer Kohler gebührend zu verabschieden. „Aber keine Angst“, sagt der gebürtige Konstanzer lächelnd, „ich werde weiterhin auf den Platz kommen und am Vereinsleben teilnehmen.“

Anders ist das auch nicht vorstellbar. Dann wird er liebend gerne das machen, was er seit vielen Jahren mit seinen Spielpartnern und Freunden nach einem anstrengenden Match so gerne gemacht hat: „Vor dem Stüble sitzen, ein Gläsle Wein trinken und ein Bretzele essen“, wie er erzählt.
Seine potenziellen Nachfolger sind „beides Doktoren“
Mit einem entscheidenden Unterschied zu bisher: Er muss sich nicht mehr darum kümmern, dass die Plätze gepflegt, der Handwerker benachrichtigt, die Finanzen organisiert oder die Satzung überarbeitet ist. Das müssen fortan seine potenziellen Nachfolger machen, die am Donnerstagabend zur Wahl stehen: Bernd Köhler als Erster und Albrecht Bartels als Zweiter Abteilungsleiter. „Das sind beides Doktoren“, sagt der ewige Kohler augenzwinkernd, „die haben also auch viele tolle Ideen. Nun sollen sie mal machen.“
Ende der 60er Jahre zog Rainer Kohler mit seiner Frau Ingeborg von Konstanz nach Litzelstetten. Was heute kaum mehr als ein Katzensprung ist, war damals ein ordentlicher Weg. „Wir haben bei Helle Müller am Hörnle zusammen mit meinen Schwiegereltern Tennis gespielt“, erinnert er sich. „Doch irgendwann haben wir uns gefragt: Warum gibt es eigentlich in Litzelstetten keine Plätze?“
Neben der damaligen Krone in der Ortsmitte war zwar ein Platz angesiedelt – doch der langte bei weitem nicht aus für die wachsende Zahl an Interessenten. In Litzelstetten spielte er zunächst Fußball beim SV.

1977 traf sich Rainer Kohler mit Ernst Herwig, dem damaligen Vorstand des Gesamtvereins, und besprach sein Vorhaben, den weißen Sport im Ort anzusiedeln. Sie riefen das Motto aus und gingen damit hausieren: „Sie können 1979 auf vier Tennisplätzen in Litzelstetten Tennis spielen.“ Der Weg dahin war aber noch etwas steinig, andere Vereine wurden aufgesucht, um sich Tipps und Ratschläge zu holen.
Die Menschen im Konstanzer Vorort waren begeistert und unterstützten das Ansinnen. Schließlich gaben auch die Stadt sowie das Regierungspräsidium irgendwann grünes Licht. Die Aufnahmegebühr betrug 1100 Mark, heute rund 550 Euro – zwei im Voraus zu bezahlende Jahresgebühren sowie eine einmalige Zahlung. „Anders hätten wir die neue Anlage nicht finanzieren können“, erklärt Rainer Kohler.
Im Sommer 1980 wurde neben dem Vereinsheim am Entengraben schließlich der erste Aufschlag ausgeführt, als Clubhaus fungierte damals ein Wohnwagen.
Rainer Kohler erzählt vom Tod seiner Tochter
Rainer Kohler hat in den knapp 50 Jahren seiner ehrenamtlichen Tätigkeit viel erlebt. Viel Positives, aber auch Negatives, Trauriges. Zu seinem Leben gehört auch der Tod seiner Tochter Christine, die 2011 ihrem Kampf gegen den Krebs unterlag. „Ich habe sie jeden Tag zur Chemo nach Konstanz gefahren“, erinnert sich der Vater, der mit dem Thema sehr offen umgeht.
„Sie hat mir so unendlich leid getan. Als sie in der Klinik starb, waren wir alle bei ihr im Zimmer. Das war sehr bewegend. Es ist nicht richtig, wenn ein Vater sein Kind beerdigen muss.“ Mit dem heute 14-jährigen Sohn seiner Tochter pflegt er ein sehr gutes Verhältnis. „Wann immer es geht, sehen wir ihn.“

Rainer Kohlers Sohn Michael hat lange in Litzelstetten und später Dettingen Fußball gespielt. „Auch seine Kinder waren früher auf dem Tennisplatz dabei“, blickt der Senior zurück. „Unsere ganze Familie war verrückt nach Tennis.“ Gerne erinnert er sich an die tolle Atmosphäre in seiner Abteilung. „Wir haben in Litzelstetten das Weißwurst-Turnier erfunden und viele, viele Mannschaften betreut im Laufe der Jahre.“
Handball-Weltmeister Markus Baur spielte hier, ebenfalls Schauspieler Mark Keller oder Moderatorin Stefanie Tücking, die 2018 starb. Noch im vergangenen Jahr investierte die Abteilung in neue Geräte wie Beregnungsanlage oder Buggy für insgesamt 24.000 Euro . „Wir haben ja immer gut gewirtschaftet“, sagt Rainer Kohler nicht ohne stolz in der Stimme.
Dem aktiven Sport musste er schon vor wenigen Jahren Adieu sagen. Die Gesundheit spielt nicht mehr so mit wie er das gerne wollte. „Ich bin aber trotzdem noch jeden Tag hier“, erzählt er im persönlichen Gespräch mit dem SÜDKURIER. Daran soll sich auch nichts ändern. Bei einem Vorbild holen sich die Mitglieder gerne Tipps. Auch wenn der Rainer Kohler das nicht sein will.