Immer wieder die gleiche Frage: „Wo ist das Nest?“ Passanten in der Seestraße schauen sich suchend um und fragen dann Udo Lutter. Der ist schließlich fast jeden Tag vor Ort, um nach den Schwänen zu sehen, die am Yachthafen brüteten. Der 64-Jährige berichtet den Spaziergängern von einem Nest-Desaster: Der hohe Wasserstand und Wellen von Schiffen haben der Brutstätte der Schwäne vor einigen Tagen den Garaus gemacht.

Das Nest mit den Eiern rutscht ins kalte Wasser. Das Astwerk versinkt, die Eier schwimmen herum. Udo Lutter gelingt es, ein Ei zu retten. Er hat Hoffnung, dass daraus noch ein Junges schlüpfen könnte. Seine Tochter Sophia hat es gleich nach dem Wasserbad in ein Handtuch gewickelt und mit ihrem Körper gewärmt.
Es folgt eine Odyssee. Udo Lutter und seine Tochter hätten das Ei gern zu Spezialisten gebracht. Er versucht es beim Naturschutzbund (Nabu), doch dort ist er an der falschen Adresse. Man habe weder die technischen Möglichkeiten, wie einen Brutapparat, noch die personellen Kapazitäten, um ein Ei auszubrüten und einen Jungvogel groß zu ziehen, teilt Lisa Maier von Nabu-Bodenseezentrum auf Nachfrage mit.

Der Konstanzer hofft, dass er den Jungschwan rettet
„Wenn das Ei schon eine Weile im Wasser war, ist es höchstwahrscheinlich auch ausgekühlt und der Embryo darin abgestorben.“ Für die Naturschützer handelt es sich zudem um einen natürlichen Vorgang. Durch die verschiedenen Wasserstände werde der Bestand der Schwäne am Bodensee reguliert. Bei Niedrigwasser könnten diese viele Jungvögel großziehen, bei hohem Wasserstand gehe das Gelege oft verloren.
Udo Lutter sind solche Überlegungen egal. Er will wenigstens einen Jungschwan retten. Auf Anraten des Nabu wendet er sich an die Wildtierstation des Vereins Biotop in Volkertshausen. Doch aus gesundheitlichen Gründen gibt es auch dort momentan keine Hilfe. Also nimmt Lutter das Ei mit nach Hause, legt es in ein weiches Hängebettchen an der Heizung und steckt eine Wärmflasche hinzu, die er alle vier bis fünf Stunden erneuert.

Theoretisch weiß er genau, was ein Ei braucht. 38 Grad Wärme und eine Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent. Doch ohne Brutkasten kann er das schwer bieten. Also macht er sich auf die Suche danach. Nach aufwendiger Recherchearbeit ist er sich sicher: Es gibt in Konstanz einen Oberarzt, der als Hobby-Ornithologe einen Inkubator hat, in dem er schon gefundene Eier ausbrütete.
Doch leider hat er diesen Mann noch nicht erreicht. Udo Lutter bemüht sich weiter. Er ist sich sicher, dass in dem geretteten Ei noch Leben steckt. Denn seine junge Katze schnuppere immer wieder daran. Falls das Küken schlüpfe und überlebe, wolle er es den Eltern wiederbringen. Ob die das Kleine dann noch annehmen? Lutter glaubt fest daran.
Schwan lässt sich von den Lutters sogar streicheln
Seit dem Jahr 2000 kennt er die Schwäne an der Seestraße. Dieses eine Paar hat er besonders ins Herz geschlossen. Er erkennt es, weil einer der Vögel ungewöhnlich helle Füße hat. Er bringt den beiden manchmal Leckereien wie gekochtes Biogemüse, Kartoffeln, Rübli, Kohlrabi. Inzwischen sind die Tiere so an ihn gewöhnt, dass sie zutraulich sind. „Er ist lieb und zart. Sie zwickt.“ Tochter Sophia stellt trocken fest: „Ihn kann ich streicheln. Sie ist eine Zicke.“
Angefangen hatte alles im Jahr 1999. Damals, so berichtet Udo Lutter, habe er an der Seestraße einen Mann beobachtet, der einen Schwan streichelte. Er fragte sich damals: Wie ist das möglich? Inzwischen weiß er selbst, wie man ein vertrauensvolles Verhältnis zu wild lebenden Tieren pflegen kann. Der 64-Jährige hat auf WhatsApp eine Gruppe mit dem Namen Schwanenfreunde Konstanz. Auf YouTube stellt er unter diesem Namen immer wieder Kurzfilme ins Netz.

Lutter, der aus Düsseldorf stammt, ist mit Tieren aufgewachsen. Er berichtet, wie er auf dem Gestüt der Großeltern Pferde, Hunde, Hühner, Hasen und Gänse kennen lernte. Heute nennt er die beiden Schwäne an der Seestraße seine Lieblinge. Wenn diese Tiere ihr großes Nest errichten, komme er mehrmals am Tag vom Fürstenberg an die Seestraße und bringe ihnen Baumaterial, natürlich ohne irgendwelche Spitzen, an denen sich die Tiere verletzen könnten.