Petra Hinderer, Leiterin des Hospizvereins Konstanz, empfängt unter einem Sternenhimmel. Jedenfalls unter dem Rest, den sie in einer Ecke ihres Büros in der Talgartenstraße 2 nach der Restaurierung erhalten hat. Im ehemaligen Schlafzimmer eines Augenarztes, wo sie sich mit dem Sterben beschäftigt.

Im Umgang mit dem Tod habe sich vieles verändert, sagt sie. Und dennoch wird das Thema immer noch gern verdrängt. „Mitten im Leben, mitten in der Stadt, das ist unser Motto.“ Und das stelle der Hospizverein dem Wegschauen entgegen: Sich nicht als abgesonderter Teil der Gesellschaft verstehen, in der der Tod verwaltet wird, sondern als Teil unseres Lebens, in dem der Tod seinen Platz finden darf.
Deshalb denkt Hinderer auch weiter: „Hier ist ein Quartier entstanden, das Begegnungs- und Beratungsangebote auf engstem Raum anbietet.“
So findet sich neben dem Garten hinter den Häusern, in dem für die Senioren des Talgartens Barfußwege, Hochbeete und Ruheplätze angelegt wurden, das Seniorenzentrum an der Laube mit seinen Programmen. „Dort haben sich auch die Senioren aus unseren Appartements, als sie noch fit waren, zum Kartenspielen getroffen.“ Und es beherbergt das Trauer-Café des Hospizvereins, das jeden zweiten Sonntag Kaffee und Kuchen anbietet.

Das Haus Talgartenstraße 2 besticht durch seine Atmosphäre: das herrschaftliche Treppenhaus mit den bunten Fenstern, die Büros, die hellen Gruppen- und Aufenthaltsräume. Ein Schmuckstück und Zentrum für all die Veranstaltungen: von Beratungen und Supervisionen über Kurse für Ehrenamtliche bis hin zu Trauergesprächsrunden und der Anlaufstelle für die Kinder-und Jugendhospizarbeit.
Laufbahn begann mit einer Verwechslung
Gaby Grunwald arbeitet auf einer 60-Prozent-Stelle im Hospizverein. Sie betreibt Netzwerkarbeit, die unter anderem darin besteht, „Kontakte zu den Pflegeheimen aufzubauen und Ehrenamtliche in Kontakt mit denen zu bringen, die eine Beziehung wünschen.“ Das Herzstück des Hospizvereins.
Ihre Entscheidung, eine Krankenschwester-Ausbildung anzufangen, entsprang einem Missverständnis. Zu Hause kümmerte sie sich um ihren behinderten Bruder, wollte deshalb Heilerziehungspflege lernen.

In Kehl-Kork unweit von Straßburg, in der Nähe ihres Heimatortes, gab es eine Klinik. Sie wählte bei der Anmeldung die „falsche“ Tür, merkte erst im Laufe des Gesprächs, dass sie verkehrt war. Aber der befragende Arzt meinte nur: „Deine Antworten sind gut! Bleib bei uns!“ Sie unterschrieb. Was sie bis heute nicht bereut hat.
Reichenau, Konstanz, Radolfzell, Schweiz
„Diese Ausbildung hat mir so viele Optionen eröffnet.“ Sie durchlief einige Stationen: im Zentrum für Psychiatrie Reichenau, in der geschlossenen Abteilung der Frauenaufnahme, im Klinikum Konstanz als Nachtwache. Danach holte sie drei Jahre an der Abendschule in Radolfzell das Abitur nach („Da bin ich heute noch stolz drauf!“), ging dann in eine Reha-Einrichtung in der Schweiz, bis sie schließlich 2015 beim Hospizverein landete, wo sie zunächst an einem Ehrenamtskurs teilnahm und dann eingestellt wurde.

„Angefangen hat es im Vincentius-Krankenhaus 1982“, erzählt Grunwald. „Ich kam vom Dorf. Fuhr mit dem Auto meines Vaters nach Konstanz. Sah den See, sah, dass es ein Kino, ein Theater gab, weil ich mich gleich mal verfahren habe. Für mich war das die große Welt!“
Begegnung mit dem früheren Nacktmodell
Sie erinnert sich an eine alte Dame, die man zu zweit vorsichtig umbetten musste und die die Schülerinnen fragte: „Na, genießt ihr auch das Leben?“ Und die zu erzählen begann, dass sie in den 1920er-Jahren von daheim abgehauen und nach Paris gegangen sei, wo sie sich den Malern als Nacktmodell zur Verfügung gestellt habe. „Und nicht nur das“, zwinkerte sie den beiden „jungen Dingern“ zu.
Gaby Grunwald durchlief so manche zusätzliche Ausbildung, alles wichtige Bausteine, vor allem die in Palliativbehandlung. Wie kann man Schmerzen von (Tod)Kranken lindern? Heute gibt sie im Hospizverein zum Beispiel Letzte Hilfe-Kurse.
„Je mehr man weiß, was ein Angehöriger in dieser letzte Lebensphase braucht, umso leichter fällt es einem, das Richtige zu tun.“ Auch Alltagshelfer in Pflegeheimen schult sie. Damit diese einen professionelleren Umgang mit dem Tod erlernen und emotionale Stabilität gewinnen. Teil eines Sterbekonzepts, das sie mit Heimen erarbeitet. „Eine meiner schönsten Aufgaben!“

Dazu gehört auch, dass am Ende Verstorbene nicht mehr durch die Hintertür heimlich abtransportiert werden, sondern durch den Haupteingang das Heim verlassen, dass die Anwohner informiert und Rituale des Abschieds angeboten werden. „Das ist so nachhaltig – und so schön!“ Das Ergebnis jahrelanger Arbeit, in der Vertrauen zu den Pflegeeinrichtungen aufgebaut wurde. „Ich habe so viel telefoniert und unzählige Gespräche geführt!“
Sie haben Kinder und Jugendliche im Blick
Alexandra Maigler ist seit elf Jahren dabei, seit fünf Jahren verantwortlich für die Kinder-und Jugendhospizarbeit. Schnell ist ihr Werdegang erzählt: Abitur in Radolfzell, Ausbildung zur Krankenschwester in der Reichenauer Psychiatrie, die ersten Stellen im Klinikum Konstanz und im ambulanten Pflegedienst St. Konrad, dann Psychologie-Studium in Leipzig („Wollte mal etwas anderes als Süddeutschland sehen!“), schließlich die Rückkehr an den See.

„Ich habe eine Blindbewerbung losgeschickt und Petra Hinderer telefonisch genervt, bis sie mich zu einem Gespräch eingeladen hat. Obwohl es keine freien Stellen gab.“ Man fand sich sympathisch, ging aber zunächst ohne Angebot auseinander.
Mittags lief Maigler dann zufällig noch einmal vorbei, genau in dem Moment kamen Hinderer und Irmgard Schellhammer, erste Vorsitzende des Hospizvereins Singen und Hegau, aus der Tür. Die Konstanzerin meinte zu der Singenerin: „Das dort könnte die neue Koordinatorin in Singen werden.“ Und so kam es.
Trauerarbeit für Waisen und Halbwaisen
Eineinhalb Jahre später wechselte sie auf eine freie Stelle nach Konstanz. „Unser Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche, die lebensbedrohlich erkrankt sind oder aber im Schatten eines schwer erkrankten Familienmitgliedes stehen“, erklärt Maigler.
Außerdem beraten sie Fachkräfte und Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, deren Mutter oder Vater schwer erkrankt oder verstorben sind. „Da taucht zum Beispiel bei einer Kindergärtnerin die Frage auf: Wie soll ich mich verhalten, wenn das Kind das erste Mal wieder zu uns kommt?“ Es gibt Trauergruppen, ehrenamtliche Begleitung, die Projekttage „Hospiz macht Schule“ und „Geschwisterzeit“.
Zuständig ist sie, gemeinsam mit Petra Dierenbach, für den ganzen Landkreis. Was ihr besonders am Herzen liegt, ist, „dass man Kinder in diesen Zeiten an die Hand nimmt, mit ihnen spricht, sie aufklärt.“ Denn meist lässt ein nahender Tod Erwachsene verstummen. „Oft wollen sie ihre Kinder schonen und eine heile Welt bewahren, die es aber so nicht mehr gibt.“ Dabei sei, wie ein Junge einmal sagte, „alles besser als schweigen.“

Die Wirklichkeit ist zumutbar, und Alexandra Maigler glaubt fest daran, dass Kinder daran nicht zerbrechen müssen: „Aber sie schaffen das eben nicht alleine.“ Niemanden alleine lassen, wenn er Hilfe braucht. Der Hospizverein hat sich das auf seine Fahnen geschrieben.