In beinahe jeder ukrainischen Stadt gibt es ein Bandera-Denkmal, einen Bandera-Platz oder eine Stepan-Bandera-Straße. Das trifft auch auf Berdytschiw zu, der westukrainischen Stadt, mit der Konstanz eine Solidaritätspartnerschaft eingehen will. Was dort als normal gilt und – zumal in Kriegszeiten – weitgehend unhinterfragt bleibt, stößt im westlichen Ausland immer wieder auf Kritik.

So auch in Konstanz: Am 18. Juli stimmte der Gemeinderat einstimmig dem Vorhaben zu, der ukrainischen Stadt Berdytschiw eine Solidaritätspartnerschaft anzubieten. Gedacht ist an regelmäßige Unterstützung, aber auch gesellschaftlichen Austausch wie der gegenseitige Besuch von Vereinen oder Kulturinitiativen. Nun aber hat die Linke Liste einen Stein des Anstoßes entdeckt. Es gebe in Berdytschiw eine Straße, die nach Stepan Bandera benannt sei und der örtliche Chor singe auch regelmäßig ein Lied zu dessen Ehren.

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Wer war Stepan Bandera?

Wer war Stepan Bandera, dass seine Anerkennung in der Ukraine zu irritierten Reaktionen in Deutschland führt? 1909 im österreichischen Galizien geboren, wurde Bandera Leiter der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN).

Die OUN kämpfte in den 1930er Jahren in der Westukraine im Untergrund für die ukrainische Unabhängigkeit gegen den polnischen Staat. Sie unterstützte 1939 den deutschen Angriff auf Polen, in der Hoffnung, in dessen Schatten einen ukrainischen Staat errichten zu können, wie der Osteuropa-Historiker Kai Struve in einem wissenschaftlichen Aufsatz schreibt.

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Der Hitler-Stalin-Pakt machte die Hoffnungen zwar zunichte, die größere Bedrohung für einen ukrainischen Staat sah Bandera allerdings in der Sowjetunion. Die terroristisch agierende Untergrundorganisation OUN war radikalnationalistisch ausgerichtet. Ob sie faschistisch war, ist unter Historikern umstritten. Die Zusammenarbeit mit der deutschen Wehrmacht war eher strategisch orientiert.

Die OUN Banderas zeichnet sich jedoch für zahlreiche Morde an Menschen, die als Unterstützer der Sowjetherrschaft galten, verantwortlich, unter anderem im Sommer 1941, als die Deutschen die Westukraine besetzten. Auch Morde an bis zu 100.000 Polen gehen auf das Konto der OUN und ihrer Untereinheiten.

Bandera-Kult ist weit verbreitet

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist der Bandera-Kult, der sich in Straßennamen, Denkmälern und Festivals manifestiert, in der Westukraine verbreitet. Eine historisch-kritische Aufarbeitung seiner Person und der Verbrechen in seinem Namen wäre gesellschaftlich geboten, ist aber angesichts des Angriffskriegs durch Russland in der Ukraine momentan unwahrscheinlich.

Und nun? Die Linke Liste will ihre Zustimmung zu einer Partnerschaft zurückziehen, nur „punktuelle Hilfen“ seien aus ihrer Sicht in Ordnung, schreibt Holger Reile in einer Pressemitteilung. Sie spricht andernfalls von Doppelmoral.

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Erst jüngst habe der Konstanzer Gemeinderat den Beschluss zur Umbenennung von Straßennamen in Konstanz gefasst, die an Personen mit Nazi-Hintergrund erinnerten. Eine Stadt in der Ukraine zu finden, die keine Anzeichen von Bandera-Verehrung zeigt, dürfte allerdings schwierig werden. In der Ostukraine ist dies jedoch wahrscheinlicher.