Durch den lichten Raum in Uhldingen-Mühlhofen klingt ein Summen. Es kommt von einer Nadel, mit der Ekaterina Gerasimova schwarze Tinte unter Simon Conrads Haut sticht. Der SÜDKURIER-Volontär hat sich entschieden, seinen rechten Oberarm mit einem Zeichen zu markieren: ein Kreis sowie zwei Halbkreise – ein O und ein D, das steht für organ donor, also Organspender. Damit wird er eines Tages Leben retten. Vielleicht, wenn er tot ist.

Tausende warten auf Hilfe
Etwa 8500 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan. So ist es auf der Webseite der Deutschen Stiftung Organtransplantation nachzulesen. Demgegenüber stehen bundesweit nur 869 postmortale Spender im vergangenen Jahr – ein Minus von fast sieben Prozent im Vergleich zu 2021. Das Kernproblem: Nur ein Bruchteil aller in Frage kommenden Personen hat eine schriftliche Entscheidung zum Thema hinterlassen, etwa einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung.
Oftmals müssen also die nahen Angehörigen entscheiden, ob durch den Tod eines geliebten Menschen jemand anderes weiterleben darf. Genau hier setzt das Projekt Opt.Ink des Vereins Junge Helden an. Dessen Ziel ist es, Jugendliche und junge Erwachsene über Organspende aufzuklären. Sprecherin Anna Barbara Sum rechnet vor: „Jeder Mensch kann theoretisch bis zu sieben Leben retten.“ Auch die Stiftung Organtransplantation bestätigt diese Zahl. Jeder, der sich zur Spende entscheidet, zählt also gleich mehrfach.
Gut 2400 Menschen sind schon dabei
Warum hat sich Simon Conrads für diese Lösung entschieden? „Mit der Tätowierung will ich bei Freunden und in der Familie Diskussionen anregen. Gleichzeitig signalisiere ich damit, dass ich meine Organe spenden möchte.“ Seine Angehörigen wissen also im Zweifel Bescheid. Ein weiteres Argument für Opt.Ink: Das Tattoo ist meist kostenlos. Einige Studios bieten es ganz kostenfrei an, andere in Verbindung mit einem weiteren Auftrag.
So ist das auch im Studio Körperkult 21 in Uhldingen-Mühlhofen. Sharif Alexander El-Mardenly, Co-Geschäftsführer des Betriebs, sagt: „Wer sich bei uns ein Motiv stechen lässt, bekommt Opt.Ink auf Wunsch umsonst dazu.“ Wer nur das Organspende-Tattoo haben möchte, zahle einen Kostenbeitrag von 35 bis 40 Euro. In Uhldingen-Mühlhofen haben sich laut El-Mardenly innerhalb eines Monats zehn Kunden dafür entschieden. Der Chef betreibt unter dem Namen My Story Tattoo weitere Studios, etwa in Karlsruhe, Frankfurt oder auch Wiesbaden. „Insgesamt haben bei uns schon etwa 100 Leute mitgemacht.“ Deutschlandweit sind laut Opt.Ink etwa 300 Studios dabei – knapp 2350 Menschen haben sich laut Sprecherin Anna Barbara Sum bereits für das Motiv entschieden.

Langsam nimmt das Symbol auf Simon Conrads Oberarm Gestalt an. Künstlerin Ekaterina Gerasimova hat inzwischen die Ränder der Kreise mit dunkler Tinte gestochen, nun füllt sie die hellen Stellen aus. „Normalerweise mache ich recht komplizierte Arbeiten“, erzählt die 36-Jährige auf Englisch. Meist seien das große, fotorealistische Motive. Doch auch den simplen Formen des Opt.Ink-Symbols kann sie etwas abgewinnen. „Sieht gut aus“, findet sie. Während sie arbeitet, liegt Conrads geduldig auf dem Stuhl des Studios, der ein wenig an die Behandlungsliege einer Zahnarztpraxis erinnert. Schmerzt die Nadel im Oberarm? Er verneint. „Weh tut es nur, wenn die Nadel an Stellen ansetzt, wo es kein Fettgewebe gibt.“ Er muss es wissen: Das ist nicht sein erstes Tattoo.

Krankenhäuser noch uneins
Wie blicken Krankenhäuser der Region auf die Aktion? Tatsächlich ist die Reaktion auf eine SÜDKURIER-Anfrage nicht überall überschwänglich. Franziska Vallentin, Pressesprecherin der auch in Überlingen aktiven Helios-Klinik, schreibt: „Da es keine juristische Grundlage für einen Ersatz in Form eines Tattoos gibt und eine Tätowierung auch nicht für jeden in Frage kommt, setzen wir bei Helios weiterhin auf den klassischen Organspendeausweis in Papierform.“ Susann Ganzert, Sprecherin des Medizin-Campus Bodensee mit Sitz in Friedrichshafen und Tettnang, antwortet: „Jeder Mensch, der sich mit dem Thema Organspende intensiv beschäftigt und sich dafür entscheidet, anderen ggf. zu helfen, ist ein Gewinn.“ Dabei sei es ganz gleich, ob er diese Bereitschaft mit einem Organspenderausweis oder einem Tattoo dokumentiere. Weiter schreibt Ganzert: „Die Initiative ist wertvoll, denn sie nimmt sich einem nicht nur für chronisch kranke Menschen höchst wichtigen Thema an und regt die Diskussion an.“
Nadine Krömer von der Deutschen Stiftung Organtransplantation lobt: „Wir begrüßen jede Kampagne, die über Organspende aufklärt und die Menschen motiviert, sich mit diesem wichtigen Thema auseinanderzusetzen.“ Wo man diese Entscheidung dokumentiert, sei letztlich jedermanns persönliche Sache. Gleichwohl betont Krömer: „Die Entscheidung ist in einem Organspendeausweis und/oder einer Patientenverfügung rechtskräftig wesentlich differenzierter möglich.“ So könnten Interessierte ihre Spende etwa auf bestimmte Organe oder Gewebe beschränken, eine Vertrauensperson benennen – und die Entscheidung jederzeit ändern. Das geht natürlich auf einer Tätowierung nur schwer.

Nach etwa 45 Minuten ist Ekaterina Gerasimova fertig mit ihrer Arbeit. Vorsichtig tupft sie die verbleibende Tinte von Simon Conrads Arm. Der schaut zufrieden aus. „Das trage ich jetzt für immer auf mir“, sagt er mit einem Lächeln. Schon lange bevor er vielleicht mal ein Organ spendet, hat er schon ein kleines Opfer gebracht. Es ist Sommeranfang. Doch bis die Wunde in sechs Wochen abgeheilt ist, sollte er nicht schwimmen gehen. „Das“, sagt Conrads, „ist es mir aber wert.“