Es ist eine zynische Mahnung, dass der Mörder von 20 Kindern keinen Eintrag in seinem polizeilichen Führungszeugnis hatte. Ein Zynismus wie ihn nur der Nationalsozialismus erzeugen konnte. Am 20. April jährt sich der Tag des Mordes an den Kindern.

SS-Arzt Kurt Heißmeyer hatte mit Tuberkulose-Erregern an ihnen experimentiert. Aus Angst vor der britischen Befreiung wollten die Beteiligten ihre Taten vertuschen und brachten die Kinder im Keller einer Hamburger Grundschule um. Ausführend beteiligt daran war der Schwenninger Ewald Jauch.

Vom Bürger zum Täter

Wie war aus dem Gastwirt ein Kindermörder geworden? Diesen Weg zeichnet die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullhuser Damm“ nach. Zusammengetragen haben das Material die Kuratoren Jörg Schlenker und Carmen Pestka. Jauchs Biographie gilt für sie als Musterbeispiel einer Nazi-Karriere.

Jörg Schlenker und Carmen Pestka organisieren gemeinsam die Ausstellung zu Ewald Jauch.
Jörg Schlenker und Carmen Pestka organisieren gemeinsam die Ausstellung zu Ewald Jauch. | Bild: Rasmus Peters

Geboren am 23. April 1902, besucht Ewald Jauch die evangelische Volksschule in Schwenningen. Anschließend macht er eine Kaufmannslehre. Er heiratet, zeugt drei Kinder: Herbert, Werner und Karl. Als Familie ziehen sie in die Hammerstattstraße 17. In unmittelbarer Nähe ist dort heute ein Spielplatz.

Musterbeispiel einer Nazi-Karriere

Jauch arbeitet als Kaufmann, zehn Jahre lang. Dann folgte 1931 die Arbeitslosigkeit. Im Februar 1932 tritt er bereits der NSDAP bei. Damit wird er zum „Alten Kämpfer“, jemand der vor der Machtergreifung Parteimitglied ist. Jauch betont das immer wieder und will es zu seinem Vorteil nutzen: Kleidung, Gehalt oder Rücktritt von der Front. Er fordert, wo es geht und ist stolz, schon früh „für die Sache einzutreten“.

Seine Parteitreue führt ihn aus der Arbeitslosigkeit. Jauch erhält eine 25-Prozent-Stelle bei der Stadt Schwenningen als Steuereintreiber. Das war 1933. Außerdem pachtet er das Gasthaus Schützenhaus.

Drei Jahre später wird er einberufen, ausgebildet im SS-Schulungszentrum in St. Georgen und im Gasthof Lochenheim bei Balingen. Der Betrieb hatte zahlreiche Schulungsräume und wurde von Kreisleiter Emil Kiener mit aufgebaut. 1939 wird Jauch als Oberscharführer des neunten Totenkopfregiments in Polen stationiert.

Der berüchtigte Rapportführer

Von der Ostfront aus bittet er den Schwenninger Oberbürgermeister Otto Gönnenwein, er möchte ihn wieder in sein Amt einsetzen und von der Front zurückholen. Doch sämtliche Gesuche werde seitens des Regiments abgelehnt. Kurz darauf verletzt er sich am Bein und kommt schließlich in den KZ-Innendienst nach Neuengamme. Er arbeitet als Wachmann, später steigt er zum Rapportführer auf.

Ein Häftling kommentiert ihn auf einem Bild als „berüchtigt“. Jauch ist an Hinrichtungen beteiligt, führt sie teilweise selbst aus. Die Koffer und Habseligkeiten seiner Opfer durchsucht er nach Wertgegenständen für sich selbst, seine Frau und wahrscheinlich für seine Geliebte.

Getötet um die Taten zu vertuschen

Am 15. April 1945 hatten die Briten das KZ Bergen-Belsen befreit. Aus Angst, sie könnten auch im Lager Neuengamme die Grausamkeit ihrer Wärter aufdecken, begannen die, ihre Machenschaften zu vertuschen. Das kostete 20 Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren und 28 Erwachsene im Keller der Grundschule am Bullhuser Damm am 20. April 1945 das Leben.

Eine Reproduktion des Hamburger Mahnmals erinnert an die 20 ermordeten Kinder.
Eine Reproduktion des Hamburger Mahnmals erinnert an die 20 ermordeten Kinder. | Bild: Rasmus Peters

Nach dem Krieg flüchtete Jauch nach Schwenningen. Die Militärpolizei spürte ihn jedoch in seinem Elternhaus auf, wo er sich versteckt hielt. Im Rahmen der Curiohaus-Prozesse wurde Jauch 1946 von einem britischen Militärgericht verurteilt und anschließend hingerichtet.

Ende des Mythos: „Wir haben nichts gewusst.“

Dass diese Geschichte im Ort kaum bekannt ist, machte Jörg Schlenker stutzig. „Einen Gastwirt kann man nicht einfach verschwinden lassen“, zweifelt der Grafiker und Ausstellungsorganisator daran, dass man nichts gewusst habe. Zumal auch in St. Georgen ein SS-Ausbildungszentrum war. „Die Täter kamen aus der Nachbarschaft. Sie waren nicht nur in Berlin. Die Mordmaschinerie war nicht weit weg.“

Adolf Hitler spricht in Schwenningen. Das man nichts gewusst habe, wird angesichts solcher Plakate eher fragwürdig.
Adolf Hitler spricht in Schwenningen. Das man nichts gewusst habe, wird angesichts solcher Plakate eher fragwürdig. | Bild: Rasmus Peters

Mit der Ausstellung in der Stadtbibliothek Schwenningen wollen sie das Schweigen brechen: „Die Geschichte ändert sich nicht, wenn man über sie schweigt.“ Vielmehr verlagern die Exponate die Auseinandersetzung in die eigene Stadt. Dadurch verliere das Geschehen seine Abstraktion, schreibt Andreas Baumer, Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung, im Vorwort des Begleitheftes zur Ausstellung. Die Stiftung trägt einen Großteil der Kosten für die Ausstellung.

Gemeinsame Recherchearbeit

Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 2016 veranlasste Jörg Schlenker zu einem Besuch in Jauchs Tatort am Bullhuser Damm. Als wolle sie als Mahnmal überdauern, hatte die Grundschule den Hamburger Bombenhagel überstanden. Heute beherbergt das Gebäude einen Kindergarten.

Eine Rekonstruktion des Gedenkplatzes am Rosengarten eröffnet die Ausstellung im Foyer der Stadtbibliothek in Schwenningen.
Eine Rekonstruktion des Gedenkplatzes am Rosengarten eröffnet die Ausstellung im Foyer der Stadtbibliothek in Schwenningen. | Bild: Rasmus Peters

Carmen Pestka und Jörg Schlenker kennen sich aus der Rockabilly-Szene. Sie kam auf ihn zu, als Schlenkers Whatsapp-Status das Bild der Grundschule zeigte. Sie hatte es kurz zuvor im Doku-Drama „Nazijäger“ gesehen. So kamen sie dazu, gemeinsam weiterzuforschen. Sie fragten in Hamburg die Wanderausstellung zu den Morden an und ergänzten sie um die eigenen Ergebnisse.

Es sei das erst Mal, dass sich eine Täterstadt melde, kommentierte man in Hamburg Schlenkers Anfrage, erzählt er. Nun stehen sich in der Stadtbibliothek Opfer und Täter gegenüber. „Wir erinnern an die Opfer und mahnen der Täter“, sagt Carmen Pestka.