„Wir haben ihn“, jubelt Elif und klatscht ihre Chefin Emilie ab. Da haben sie doch tatsächlich den Auftrag zum Ausbau eines Dachstuhls ergattert. Jetzt heißt es, Material zu bestellen und Meister und Gesellen an die Arbeit zu schicken. Und vielleicht gleichzeitig die Internetpräsenz auszubauen. Obwohl: Sind die Leute, die ihre Möbel kaufen sollen, eigentlich im Internet unterwegs? „Ich weiß nicht, die sind ja schon über 30“, sagt Emilie. Das ist ziemlich weit weg für die beiden Firmengründerinnen. Sie sind nämlich erst in der sechsten Klasse – und die Schreinerei, die sie mit viel Getuschel und Gejubel in die Gewinnzone steuern wollen, existiert eigentlich nur auf dem Bildschirm. Sie ist Teil von „Chance Chef“, einem Planspiel, mit dem die Handwerkskammer Konstanz Wirtschaftswissen in Schulen bringen und Schülern Lust auf die Selbständigkeit machen will.

Dieses Wissen wird am Fürstenberg-Gymnasium unbedingt gebraucht, denn nicht nur Elif und Emilie haben in nächster Zeit Großes vor: Die ganze Schule beteiligt sich am Projekt „Schule als Staat“. Seit anderthalb Jahren wird hier ein komplettes Gemeinwesen geschaffen, „San Mario“. Für den Namen stand Schulleiter Mario Mosbacher Pate. Eine Präsidentin ist bereits gewählt, auch Parlamentswahlen haben längst stattgefunden. Parallel wurde die Wirtschaft ans Laufen gebracht: Eine Marktwirtschaft soll es werden, allerdings mit Zentrallager, damit der „Mosby“, die schuleigene Währung, schön im Kreis rollt. 74 Unternehmen wurden bereits gegründet, mit jeder Menge Handwerk dabei. Bäckereien und Cafés wird es in San Mario etliche geben, aber auch ein Näh-Lädchen, einen Kosmetiksalon und ein Fotostudio.

Die Geschäftsideen sind also da, fehlt nur noch das betriebswirtschaftliche Knowhow, damit im Juli, wenn San Mario seine Unabhängigkeit erklärt, auch alles rund läuft. Und genau da kam „Chance Chef“ ins Spiel. Gemeinschaftskundelehrer Christian Gassner und sein Kollege Rolf Kunz haben das Unterrichtskonzept vor zwei Jahren bei einer Schulung in der Bildungsakademie Rottweil kennen gelernt und waren sofort überzeugt: „Das lässt sich gut einbinden.“

Zusammen mit Frauke Jürgensen, die das Organisationsteam von „Schule als Staat“ leitet, nutzen sie das Planspiel jetzt, um den künftigen Firmengründern die Zusammenhänge von Beschaffung und Absatz, Produktion und Personalführung näherzubringen. „In die Rolle eines Chefs zu schlüpfen und möglichst realitätsnah zu erfahren, worauf es in einem Unternehmen ankommt, ist als Vorbereitung ideal. Wenn man theoretisches Wissen mit der Praxis verzahnt, bleibt auch etwas hängen“, sagt Gassner.

Das liegt ganz auf der Linie von Mario Mosbacher. „Es muss eine Vernetzung geben zwischen dem ‚Elfenbeinturm Gymnasium‘ und dem Draußen“, sagt der Schulleiter. 60 Prozent seiner Schulabgänger gingen schließlich in Berufe im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Da stelle sich die Humboldtsche Frage neu: „Was brauche ich für ein gelingendes Leben heute?“ Berührungsängste habe das humanistische Gymnasium deshalb längst abgebaut, pflege regen Kontakt zur regionalen Wirtschaft und will das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft erlebbar machen.

„Wenn für so ein Projekt mal ein paar Stunden Mathe ausfallen, kommen wir auch nicht gleich in die Bildungshölle“, sagt Mosbacher. Schließlich lebe Schule auch von Freude und Spaß.

Das Gymnasium ziele nach wie vor auf die Hochschule, sagt Schulleiter Mosbacher. Dennoch sei man mit dem Wandel der Schüler inzwischen in Sachen Berufsorientierung breiter aufgestellt: „Für manche ist das Studium nicht der richtige Weg. Deshalb braucht es auch da eine neue Offenheit.“ Das macht sich beispielsweise auch im Handwerk bemerkbar: Zehn Prozent der Auszubildenden haben dort mittlerweile Abitur. „Dieses Potenzial wollen wir nutzen und verstärkt auch an Gymnasien für die duale Ausbildung werben“, sagt Maria Grundler, bei der Handwerkskammer Konstanz für Nachwuchswerbung und das Projekt „Chance Chef“ zuständig. Gerade in Hinblick auf die Chancen einer Selbständigkeit habe das Handwerk eben auch Abiturienten viel zu bieten.

Etwas Eigenes aufzumachen, das können sich Emilie und Elif nach ihren Erfolgserlebnissen mit der virtuellen Schreinerei ziemlich gut vorstellen.
 

Das Programm:

Bereits 4112 Schüler haben landesweit an „Chance Chef“; teilgenommen. Jetzt ist auch wieder der „Chance Cup“ gestartet, bei dem die besten Nachwuchs-Chefs aller Klassen gegeneinander antreten und ihr Wissen im Wettbewerb testen können. Konzipiert ist das Programm für alle Schularten und mit drei Niveaustufen für die Klassen acht bis 13. Das Material und die Lernsoftware lassen sich individuell und flexibel im Unterricht oder bei der Projektarbeit einsetzen. Die Nutzung ist kostenfrei.