Herr Palmer, haben Sie schon etwas vom Tengener Schätzele-Markt gehört? Die Tengener bezeichnen die Veranstaltung stolz als eines der größten Volksfeste in Südbaden.
Ich muss leider zugeben, dass ich vor der Einladung noch nichts davon gehört hatte. Ich musste mich erstmal schlau machen, um was es geht. Schieben Sie das bitte auf meinen begrenzten Horizont als lebenslanger Schwabe.
Was halten Sie von Herrn Schreier, der landesweit Schlagzeilen machte, als er mit gerade mal 25 Jahren und ein paar Tage 2015 zum damals deutschlandweit jüngsten Bürgermeister gewählt wurde?
Ich bin gespannt, ihn persönlich zu erleben. Dass sehr junge Männer, man sagt wohl heute "smarte Typen" wie er in der Politik gerade sehr gefragt und sehr erfolgreich sind, wie auch der Österreicher Sebastian Kurz, ist ein interessantes Phänomen. Ansonsten lese ich, dass er seine Sache gut macht. Das wird dann stimmen, wenn der Südkurier es schreibt.
Der Tengener Bürgermeister wählt bewusst Redner für die Mittelstandkundgebung, die mit spitzen und pointierten Ausführungen für Reibung, aber auch Unterhaltung sorgen. Was haben wir von Ihnen zu erwarten?
Im Festzelt reden ist neu für mich. Ich hoffe also, es wird keine Blamage. Aber ich bin nicht auf den Mund gefallen und lasse mir das Maul auch nicht verbieten. Die Besucher können also in jedem Fall Klartext erwarten.
Wie grün sind Sie sich mit Marian Schreier, der ein rotes Parteibuch in der Tasche hat. Er tat mit viel Tempo schon einiges, um Tengen weiterzuentwickeln.
Seit zehn Jahren hatte ich immer jemand mit rotem Parteibuch als Ersten Bürgermeister in meinem Rathaus. Das klappt hervorragend. Ich finde eine starke SPD wichtig für Deutschland, und dafür braucht sie viele gute Bürgermeister. Ich wünsche Herrn Schreier viel Erfolg.
Welche Themen-Schwerpunkte setzen Sie in Tengen?
Es wird in meiner Rede um die Flüchtlingspolitik, um Klimaschutz und um den Weg nach Jamaika gehen.
Bei der Flüchtlingspolitik haben Aussagen, die auch in Ihrem Buch „Wir können nicht allen helfen“ hohe Wellen geschlagen, in Ihrer eigenen Partei teils herbe Kritik ausgelöst. Wie stehen Sie dazu?
Das Buch selbst ist von der Partei wohlwollend aufgenommen worden. Es gab einige Leute, die das Buch schon vor der Veröffentlichung verrissen haben. Ehrlich gesagt, ich gebe mehr auf Kritiker, die erstmal lesen und dann urteilen. Ich will vor allem erreichen, dass wir wieder vernünftig über das Flüchtlingsthema reden. Dafür ist der Blick auf die Praxis, die tägliche Arbeit in einem Rathaus, lehrreich. Ich spreche offen an, dass es viele ungelöste Probleme mit Asylbewerbern gibt, weil man sie sonst nicht lösen kann. Ich sage ungeschminkt, dass wir im Herbst 2015 mehr Menschen aufgenommen haben, als wir kurzfristig verkraften konnten und eine Grenze der Belastbarkeit überschritten war. Und ich wende mich dagegen, Menschen mit anderer Meinung wahlweise als naive Gutmenschen und Volksverräter oder Nazis und Rassisten abzustempeln.
Bei einer Veranstaltung in Engen vor der Landtagswahl 2011 haben Sie berichtet, dass ältere Besucherinnen des Tübinger Wochenmarktes für Sie sammeln wollten, damit Sie sich einen Kühlschrank kaufen können, den Sie aus Prinzip als konsequent umweltfreundlicher Grüner ablehnen. Halten Sie das noch aufrecht?
Leider nicht. Ich hatte aber auch erläutert, warum der Kühlschrank aus war: Ich lebte allein und der Kühlschrank war fast immer leer und für das Frühstück genügte im Winter der Balkon zur Kühlung. Heute bestimmt in meinem Haushalt auch eine Frau über den Kühlschrank und mein Sohn will jeden Morgen Joghurt. Da muss Mann Kompromisse machen. Der Kühlschrank hat jetzt die höchste Effizienzklasse, das spart dann auch die Hälfte des Stroms.
Werden Sie noch oft mit Ihrem Vater, dem Rebellen vom Remstal, in Verbindung gebracht, der Verwaltungsbehörden aufs Schärfste kritisierte und aus Protest bei gut 250 Bürgermeisterwahlen kandidierte? Und nun sind Sie schon lange selbst Chef einer großen Stadtverwaltung. Was machen Sie besser?
Der würde schon noch genug finden für den Pranger. Aber manches machen wir heute schon so, wie er es damals wollte. Bürgerbeteiligung machen wir echt, offen, intensiv und in der Breite. Und wir nehmen den Umweltschutz ernst. Tübingen hat ein starkes Wachstum an Einwohnern und Arbeitsplätzen ganz ohne neue Baugebiete und mit 25 Prozent weniger CO2-Ausstoß pro Kopf geschafft. Da würde er zumindest net schempfa.
Wie gut kann ein Jamaika-Bündnis Deutschland tun?
Wenn alle Parteien sich auf ihre Stärken besinnen und den anderen keinen Sand ins Getriebe streuen, kann das sehr erfolgreich sein. Ich würde mich freuen, wenn die CSU im Innenministerium unter Beweis stellt, dass sie Straftäter unter den Asylbewerbern effektiver abschieben kann. Im Gegenzug sollte man die FDP beim Abbau der Bürokratie machen lassen und uns freie Hand geben für den Klimaschutz.
Fragen: Albert Bittlingmaier
Person und Kundgebung
Der 45-jährige Boris Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister von Tübingen. Zuvor war er sechs Jahre lang Landtagsabgeordneter. Dort war er umwelt- und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Palmer spricht am Samstag, 28. Oktober, um 15 Uhr im Festzelt bei der Mittelstandskundgebung des Schätzele-Marktes.