Zwei Zimmer ohne Küche und Bad haben Mitglieder der Caritasverbände Singen-Hegau und Konstanz und der AGJ Wohnungslosenhilfe in der Singener Fußgängerzone aufgebaut. Sie wollen im Rahmen der Jahreskampagne "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" des deutschen Caritasverbandes auf die Wohnraumnot im Landkreis aufmerksam machen. Mit der Aktion "Zimmer auf der Straße" wolle man die Lage plastisch darstellen, erklärte Sandra Storz vom Caritasverband Singen-Hegau. Passanten dürfen ihre Gedanken zum Thema Wohnraum aufschreiben. Da steht zum Beispiel: "Vermieter nutzen die Not aus" oder "Mit kleinen Kindern ist man bei Vermietern nicht gewollt".
"Es wird überall viel gebaut, doch es fehlt an bezahlbarem Wohnraum", erklärt Susanne Graf, Leiterin des AGJ. Menschen mit Behinderung, mit psychischen Erkrankungen, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Geflüchtete und ehemalige Straffällige fänden keine Wohnung. "Wir appellieren an die Vermieter, leerstehende Räume und Wohnungen zu vermieten. Die Caritas mietet für ihre Kunden auch Wohnungen an. Das haben wir erst kürzlich für Behinderte mit einer 4er-WG gemacht, obwohl das nicht unsere Aufgabe ist", erklärte Caritas-Geschäftsführer Wolfgang Heintschel. Außerdem brauche Singen wieder eine kommunale Wohnbaugesellschaft, damit Menschen mit wenig Geld wieder eine Chance auf dem Wohnungsmarkt hätten, so Heintschel. Das Siedlungswerk sei das einzige Bauunternehmen, das Sozialwohnungen baut.
Außerdem fordern die Sozialverbände eine kreisweite und landesweite Wohnraumkonferenz, um die Situation zu erfassen und über Lösungen zu sprechen. "Im September 2017 hatten wir bei der AGJ im Landkreis 233 Wohnungslose", sagte Susanne Graf. Die Städte und Gemeinden führten aber ihre eigenen Statistiken und es gibt viele, die darin gar nicht auftauchen. Viele Familien lebten in beengten Verhältnissen und die Kinder hätten kein eigenes Zimmer. Auch die Städte und Gemeinden versuchen, durch eigene Wohnbautätigkeit, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Stadt Singen belohnt außerdem Vermieter, die Wohnungen für sozial benachteiligte Menschen zur Verfügung stellen mit einem Renovierungszuschuss und einer befristeten Mietausfallgarantie. "Es ist schön, dass angesichts der Zuwanderung gebaut wird, wir fragen uns nur, warum das nicht schon früher passiert ist und hoffen, dass es anhält", sagte Heintschel. Wenn für die Flüchtlinge gebaut werde, schüre das Neid und spalte die Gesellschaft. Es zeige aber auch, dass Geld für sozialen Wohnungsbau da sei. Wie angespannt die Situation gerade in Konstanz sei, zeige die Tatsache, dass der Caritasverband sogar für seine Pflegekräfte Wohnungen suche und anmiete, erklärte Gabriele Eckert vom Caritasverband Konstanz.
Kampagne und Situation
- Die Kampagne des Deutschen Caritasverbandes 2018 "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" und die Aktion "Zimmer auf der Straße" in der Singener Fußgängerzone soll auf das Thema Wohnraumproblematik aufmerksam machen. "Eine Wohnung ist mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Sie bietet Sicherheit und Geborgenheit. Sie ist der Ort, an dem wir leben, alleine, mit unserer Familie, dem Partner, Freunden. Hier haben wir die Möglichkeit, uns zurückzuziehen oder Beziehungen zu pflegen. Sie ist unser Zuhause und Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe", schreibt der Caritasverband.
- Zur Situation: In vielen Städten und Gemeinden mangele es an bezahlbarem und angemessenem Wohnraum. Auch Kleinstädte und Regionen als Wachstumsregion seien betroffen. Viele wohnen in zu kleinen Wohnungen oder müssen entsprechend ihrer Einkünfte zu hohe Mieten zahlen. Der Mangel trifft Menschen mit niedrigem Einkommen, zunehmend aber auch die Mittelschicht.
- Gründe: Veränderung der Haushaltsgrößen zu mehr Single- und Zweipersonenhaushalte und ein Bevölkerungswachstum verknappen den Mietmarkt. 2017 fehlten vier Millionen Sozialwohnungen. In den vergangenen zehn Jahren sind rund 100000 Sozialwohnungen jährlich vom Markt verschwunden und zu wenige werden gebaut. Ein Grund dafür sei der Wegfall der Mietpreisbindung. Diese Entwicklung berge gesellschafts- und sozialpolitisches Konfliktpotenzial, da Teile der Gesellschaft zunehmend vom Zugang zu bezahlbarem Wohnraum ausgeschlossen seien. Daraus folgende Frustration und Resignation biete Nährboden für extreme Positionen. "Wir als Kirche können uns engagieren, damit bezahlbarer Wohnraum bei Planungen in den Städten wieder berücksichtigt wird", so das Ziel der Kampagne. (jac)