Julian, wir haben vereinbart, dass wir uns duzen. Du hast jüngst ein Praktikum im Bundestag absolviert. Erzähl doch mal, mit welchen Eindrücken bist Du von Berlin nach Rielasingen-Worblingen zurückgekehrt?
Es war unglaublich interessant, hinter die Kulissen schauen zu dürfen. Natürlich kennt man den Bundestag aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung. Dort sieht man, wie die Politiker im Plenum reden oder sitzen, zuhören und manchmal dazwischenrufen. Das war‘s dann auch schon. Nun habe ich erst einmal eine Ahnung davon bekommen, wie viel Recherche, Formulare, welche Mengen an Texten und Textlesen dahintersteckt, wenn sich Politiker auf Themen vorbereiten und wie viel Zeit es braucht, im Nachhinein die Informationen noch einmal durchzugehen.
Im Rahmen der Praktika sollen Einblicke in die Arbeitsabläufe der Bundestagsabgeordneten ermöglicht und Erfahrungen in deren Alltag vermittelt werden. Wie sah dein Arbeitsalltag aus?
Ich wurde gleich im Team ganz nett aufgenommen und brauchte als Praktikant auch keine Sachen zu machen wie Kaffee holen oder so etwas. Vorwiegend habe ich ganz viel gelesen und mich informiert, war aber auch bei Sitzungen mit dabei und habe zugehört. Aktive Arbeit gab es nicht, also dass ich etwas recherchieren oder schreiben musste. Ich denke, dafür ist eine Woche auch einfach zu kurz. Mein Arbeitstag ging von 9 Uhr morgens bis 17 Uhr oder 17.30 und es waren unglaublich viele Eindrücke, die ich jeden Tag mitgenommen habe.
Sicherlich hattest Du vorab eine grobe Vorstellung davon, wie der Arbeitsalltag in der Politik aussieht. Wie weit klaffen denn Vorstellung und Realität auseinander?
Mir war vorab natürlich klar, dass die Politiker viel Arbeit haben, aber die Dimension war mir nicht wirklich bewusst. Ich durfte bei verschiedenen Arbeitsgruppen als Zuhörer mit dabei sein, unter anderem bei der AG Bildung, AG Umwelt, AG Kommunalpolitik und habe dabei gesehen, in wie viele Dokumente man sich einlesen muss. Ich hatte zuvor schon ein Praktikum beim Amtsgericht Singen gemacht. Da dachte ich schon, dass dort der Arbeitsalltag viel Papierkram mit sich bringt, aber im Bundestag war das noch einmal etwas ganz anderes, viel mehr.
Du hast das Praktikum über die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl machen können. Wie kam das zustande?
Lina Seitzl war Anfang 2023 zu Besuch bei uns an der Ten-Brink-Schule in Rielasingen. Und im selben Jahr war ich dann mit meinem Vater beim Bürgerfest in Berlin. Ich hatte Frau Seitzl angeschrieben, ob sie mich gegebenenfalls in Berlin empfangen würde. Sie hat ganz schnell geantwortet und mich zunächst zu „Pizza und Politik“, einer Veranstaltung in Singen, eingeladen. Dort bin ich mit ihr ins Gespräch gekommen und sie hat mich gefragt, ob ich nicht ein Praktikum in Berlin machen möchte.
Standest Du dann in Berlin auch in persönlichem Kontakt mit ihr?
Ja, sie ist immer mit ihrem Team und mir zum Mittagessen gegangen und ich gehörte ganz selbstverständlich mit dazu. Bei der SPD duzt man sich untereinander und sie hat mir gleich das Du angeboten. Zunächst hatte ich eine Hemmschwelle, aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Es gab noch eine Langzeitpraktikantin, die über sechs Monate im Bundestag ist. Mit ihr gemeinsam habe ich für den Instagram-Account von Lina ein Video gedreht.
Welche Vorgaben musstest Du für das Praktikum erfüllen?
Ganz klar, man sollte sich für Politik interessieren. Ansonsten musste ich nur einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben schicken, nicht einmal Zeugnisse dazulegen.
Welchen Spitzenpolitikern bist Du in der Woche persönlich begegnet?
Oh, sehr vielen, unter anderem Christian Lindner, Friedrich Merz, Sahra Wagenknecht, Annalena Baerbock und Olaf Scholz. Er kam gerade aus dem Fahrstuhl, hat mich begrüßt und gefragt, was ich im Bundestag mache, und wir konnten uns kurz unterhalten. Mit manchen durfte ich ein Selfie machen. Alle waren total freundlich.

Gab es ein Ereignis oder eine Begegnung, etwas, das Dich besonders beeindruckt hat?
Ich glaube, es war das Gesamtpaket, die vielen kleinen Dinge. Wenn ich aber etwas herausheben darf, dann war es wahrscheinlich der Workshop zum Ukrainekrieg, an dem alle Praktikanten teilgenommen haben. Ich denke, den werde ich niemals vergessen. Man sieht das, was in der Ukraine seit Jahren geschieht, in den Medien, aber das ist so anonym, so sachlich, eben nur eine gefilterte Außensicht.
In dem Workshop wurden uns Details vermittelt; wir haben von Problemen erfahren, mit denen die Ukrainer darüber hinaus zu kämpfen haben und damit eine ungefähre Ahnung bekommen, wie schlimm es wirklich für das Land ist. Das hat man uns sehr deutlich und verständlich erklärt und auch die Rolle, die Deutschland spielt. Das war eindringlich und bewegend.
Wie sah es denn mit der Kostenübernahme aus? Wurde die Woche bezahlt?
Nein, dafür musste ich selbst aufkommen. Meine Eltern, die Oma, mein Götti [Patenonkel, Anmerkung der Redaktion] und sogar unsere Nachbarn haben mich unterstützt und alles bezahlt. Dafür bin ich sehr dankbar. Meine Familie war sich aber einig, dass ich solch eine Chance nicht noch einmal so schnell bekommen würde.
Strebst Du nach Deiner Erfahrung nun auch eine politische Karriere an?
Ganz klare Antwort: Ja! Sofort! Es wäre mein Traum, in die Politik zu gehen, sie mitzugestalten, bestenfalls im Bundestag zu sitzen.
Für welche Partei?
Ich bin durch Lina Seitzl bei der SPD hängen geblieben, allerdings bin ich erst 16 Jahre alt und fühle mich momentan noch keine Partei zugehörig. Da brauche ich noch Zeit, Erfahrung und möchte mir das politische Geschehen erst einmal in Ruhe anschauen, ehe ich mich irgendwann festlege.