Donata verlässt heute den Fuchshof. Für rund zehn Monate. Es geht zurück nach Polen. In die Heimat. Ehemann Marek bleibt bis auf weiteres in Dingelsdorf-Oberdorf, mindestens noch bis Herbst, wenn die Apfelernte abgeschlossen ist. "Immer schwer", sagt er und verdrückt eine Träne. Donata herzt eine Person nach der anderen, drei Küsschen hier, drei Küsschen dort. Polen küssen sich stets dreimal. Melancholie liegt in der Luft.
Der Fernbus bringt Donata ab Haltestelle Döbele nach Warschau. 14.30 Uhr Abfahrt, 12 Uhr am nächsten Tag Ankunft. Wenn es der Verkehr so will. Meistens dauert es deutlich länger. Ihr Mann bringt sie schweren Herzens von Oberdorf die paar Kilometer nach Konstanz. "Immer schwer", sagt er nochmals. "Aber muss." Die beiden gehen die Treppe hinab und winken noch einmal ihren Kollegen, die auf dem Fuchshof eine Familie in der Fremde bilden.

24 Polen, drei Rumänen
Marek ist der Vorarbeiter der 24 Polen und drei Rumänien, die auf dem Fuchshof in Dingelsdorf-Oberdorf in der rund sechsmonatigen Saison an sechs Tagen pro Woche Beeren pflücken, Pflaumen sortieren oder Stauden pflanzen. Bei Wind und Wetter, oder auch wie heute bei Sonnenschein und Hitze.
An diesem Tag herrschen 28 Grad – im Schatten. Der jedoch macht sich rar. "Das ist eher angenehm", sagt Renata, die passabel Deutsch spricht. Sie kommt seit 30 Jahren auf den Fuchshof, stets für zwei bis drei Monate.

"Von Erberre bis Hiberre", sagt sie. Von Erdbeere bis Himbeere. Von Mai bis Juli. "Apfel in September ich bin schon weg." In Warschau ist sie Grafikerin, verbringt acht Stunden täglich im Büro. "Hier ist immer frische Luft." Sie nehme ihren Jahresurlaub und noch einen unbezahlten Monat frei, damit sie hier arbeiten kann, erzählt die 47-Jährige. Rund 2000 Euro netto verdient sie monatlich auf dem Fuchshof, auf dem sie wie ihre Kollegen in einem zweistöckigen Anbau wohnt. Miete ist schon abgezogen.
Lobeshymnen auf Seniorchef Heinrich Fuchs
"Bezahlung ist sehr gut", sagt Renata. "Rund viermal so viel wie zu Hause." Aber nicht nur das. Heinrich Fuchs sei ein toller Chef und ein toller Mensch. Er habe Verständnis für die Menschen aus Osteuropa, "mit ihm können wir über alles reden. Er hilft uns immer. Ein Freund". Wie zum Beweis kommt der 60-Jährige mit dem Traktor vorbei und ruft der Erntehelferin zu. "Renata, pass' ja auf, dass der Journalist auch anständig arbeitet!"

Der Journalist gibt sein Bestes, hat jedoch mit spitzen Dornen, lästigen Stechbremsen und der prallen Sonne zu kämpfen. "Regen ist viel schlimmer", sagt Renata, wischt sich den Schweiß von der Stirn und lächelt dezent in sich hinein angesichts des so empfindlichen Deutschen.

Der Tag auf dem Fuchshof beginnt vor 6 Uhr. Die ersten Saisonarbeiter stehen bereits um 4.30 Uhr auf. Duschen, frühstücken, fertig machen für einen langen und anstrengenden Tag. Um 5.45 Uhr kommt Florian Fuchs, einer der beiden Junior-Chefs und Bruder von Benny, in die Scheune und trifft sich mit Marek zur Besprechung des Tages. "Wir machen einen Plan, was alles wann zu tun ist", erklärt Florian Fuchs. "Wir beliefern ja beispielsweise auch andere Geschäfte mit tagesfrisch gepflückten Beeren."

Die ersten Trupps Saisonarbeiter machen sich auf den Weg, mit einem Wägelchen und vielen kleinen Körbchen in die so genannten Tunnel. Hier werden unter einer Folie Himbeeren, Zucchini und Melonen angebaut. Vier Frauen verteilen sich auf die Reihen mit den Himbeersträuchern. Noch ist es angenehm kühl. Gegen Mittag herrschen an diesem Arbeitsplatz deutlich über 30 Grad, kein Lüftchen weht, die Luftfeuchtigkeit macht das Atmen schwer. "Wir wechseln uns immer ab", erzählt Renata. "Ansonsten geht das nicht."

Mehrere Dutzend Körbchen mit den knallroten Himbeeren sind gegen 8 Uhr gefüllt. Islam, der festangestellte Mitarbeiter aus dem Kaukasus, geht die Bestelllisten durch und bereitet die Paletten für einige Obst- und Fruchtläden der Region vor. Florian Fuchs belädt den Transporter, macht sich auf den Weg auf die Reichenau und nach Konstanz zur Auslieferung der Ware.
Bevor die Läden öffnen, sind die Regale mit frischem Obst und Gemüse vom Fuchshof sortiert. Andere Kunden kommen auf den Hof und holen sich ihre Bestellungen ab. Der eigene Hofladen ist längst bestückt mit frischem Obst und Gemüse, eigener Backware sowie Produkten von kooperierenden Höfen aus dem gesamten Landkreis und darüber hinaus.

In der Produktionshalle werden Pflaumen sortiert. Einige haben Hagelschäden, andere haben weiche Stellen oder faulen. Mit geschulten Händen und in einem atemberaubenden Tempo werden die unbrauchbaren Früchte vom Fließband genommen und weggeworfen. Was noch einigermaßen brauchbar ist, kommt in einen speziellen Eimer und wird zu einem Brand verarbeitet. Am Ende des Fließbandes rutschen die rundum guten Pflaumen ein Gitter hinab und werden von Kamil auf zwölf Körbchen verteilt, die wiederum in einer Kiste stehen. Der 20-Jährige vollbringt diese Arbeit mit stoischer Ruhe und gleichzeitig mit beeindruckender Geschwindigkeit und Akribie. Bevor die Körbchen in den Verkauf kommen, wir der Inhalt ein weiteres Mal auf Qualität geprüft.
Mittagszeit. Pause von 12 bis 13.30 Uhr. Teresa und Irena, zwei Schwestern aus Ciechanów in der Nähe Warschaus, servieren an diesem Tag typisch polnische Küche. "Bitte kommen. Essen. Wieprzowina. Schwein", sagt die 66-jährige Teresa und breitet ihre Hände einladend aus. Dazu gibt's krokiety, mit Fleisch gefüllte und in Schweineschmalz fritierte Kroketten und Leczo, ein Eintopf mit Kilbasa, einer sehr würzigen Wurst. Polen lieben die deftige Küche.

In den zwei Küchen im ersten Obergeschoss des Anbaus herrscht viel Betrieb. In mehreren Gruppen sitzen die Menschen zusammen und stärken sich für die zweite Schicht des Tages, die bis 17 Uhr dauert. Nach dem reichhaltigen Essen ein kleines Nickerchen oder ein kurzes Telefonat mit den Lieben daheim und weiter geht's. Akkord gibt es nicht auf dem Fuchshof. "Wir sind ja keine Sklaventreiber", sagt Heinrich Fuchs. "Ständige Kontrolle der Mitarbeiter ist auch ein wenig gefährlich. Wir haben Vertrauen und werden nicht enttäuscht."
Bei Freiburg schuftete sich ein Erntehelfer in der Hitze zu Tode
Auf einem Freiburger Hof starb 2014 ein rumänischer Erntehelfer an einem Hitzschlag. Dem Landwirt wurde vorgeworfen, seine Mitarbeiter trotz großer Hitze und unter direkter Sonneneinstrahlung zu Arbeit gezwungen und dabei zur Eile angetrieben zu haben. Eine Schuld des 48 Jahre alten Bauern habe nicht festgestellt werden können, entschied das Amtsgericht Freiburg. Die Beweisaufnahme habe kein klares Bild der Ereignisse erbracht. Das Verfahren werde daher nicht fortgeführt. Der Landwirt, der wegen fahrlässiger Tötung angeklagt war, müsse aber 8000 Euro bezahlen. 6000 Euro davon gingen an die Witwe des Erntehelfers, der Rest zur Begleichung der Gerichtskosten an die Staatskasse.
Bei den Sauerkirschen auf einem Hügel rund 500 Meter entfernt geht es stimmungsvoll zu. Polnische Popmusik läuft aus einem Handy, die Menschen singen, lachen viel bei der Arbeit.

Besonders glücklich sind die wieder vereinten Magolgorza und Adam. Seit ein paar Tagen ist die 27-Jährige auf dem Hof, ihr Freund Adam bereits seit zwei Monaten. "Ich bin arbeitslos in Polen, finde keinen Job", sagt der 26-Jährige. "Mein Studium habe ich abgebrochen. Die Arbeit hier aber ist sehr, sehr gut." Das Paar möchte heiraten und Kinder haben. Magolgorza ist Kindergärtnerin in Gdynia, einem Seebad an der Ostsee. "Eine Familie gründen", sagt sie. "Ja, das ist es, was wir wollen. Davon träumen wir." Mit jeder gepflückten Kirsche kommen sie dem Traum näher.

Von einem schönen Leben träumt auch Grzegorz – in Deutschland. Er hat sich in der Heimat selbst Englisch beigebracht, als nächstes hat er sich Deutsch vorgenommen. "Ich mag Deutschland und die Deutschen sehr", erzählt der 19-Jährige. "Ich fahre zwar bald zurück nach Warschau, möchte aber bald zurückkommen und hier fest arbeiten."

Vidikan nickt. Der Rumäne würde ebenfalls gerne fest in Deutschland arbeiten. Der 24-Jährige hat einen Spitznamen bei den Kollegen: Messi. Den Grund dafür offenbart er am frühen Abend, als er und einige andere Erntehelfer wie jeden Freitag in Dingelsdorf am Strandbad Fußball spielen. Vidikan spielt außerordentlich gut. "Auch in der Heimat jeden Tag", sagt er. Sein Vater arbeitet ebenfalls für zwei Monate auf dem Fuchshof. Mit Ion ist noch ein dritter Rumäne angestellt. Die drei sitzen stets zusammen beim Essen.

Zeit, sich umzusehen, Konstanz, den Bodensee und die Region zu erkunden, bleibt kaum. "Wenn wir am Sonntag frei haben, sind wir meistens zu müde und möchten uns nur erholen", erzählt Renata. Neulich hat sie einen Ausflug organisiert nach Zürich und Schaffhausen, "es sind aber nur fünf Personen mitgekommen. Ich denke, man kann das verstehen. Die Arbeit ist sehr anstrengend".
Zwei Discounter in Allmannsdorf und im Industriegebiet, die Fußballplätze in den Nachbardörfern, die umliegenden Strandbäder – mehr kennen viele der Saisonarbeiter von ihrem temporären Wohnort nicht. Arbeiten, essen, schlafen, ausruhen, zusammen sitzen. So sieht der Alltag aus. Zeit und Muße zum Sightseeing passt da nicht.

Justina klagt über Rückenschmerzen. Sie sitzt bei den roten Johannisbeeren tief gebeugt und pflückt die leuchtenden Früchte. Ausgerechnet heute hat sie Schmerzen. Kurz nach Feierabend erwartet sie ihren Ehemann, einen LKW-Fahrer, der auf seiner langen Fahrt nach Südeuropa auf dem Fuchshof Pause macht und übernachtet. Justina sieht ihn zum ersten Mal seit vielen Wochen – und hat vom Bücken auf den Feldern fürchterliche Schmerzen. "Nicht schlimm", behauptet sie und zwingt sich zu einem Lächeln. "Es ist schön, dass mein Mann hier schläft." Die 37-Jährige kommt seit vier Jahren auf den Fuchshof. Daheim in Luków hat sie keine Arbeit. Der Verdienst des Mannes sowie das Geld aus Deutschland genügen, um sich ein gutes Leben leisten zu können.

Die Regeln für die Unterbringung der Saisonarbeiter sind streng. Sechs Quadratmeter muss jedem mindestens zur Verfügung stehen. Bis 2012 standen am Fuchshof große Container, ehe Heinrich Fuchs den Anbau plante und umsetze. Vier Toiletten und zwei Duschen stehen bereit. Doch auch die Toiletten auf dem Feld sowie in der angrenzenden Besenwirtschaft stehen den Menschen aus Osteuropa offen. "50 Erntehelfer sind es insgesamt über das halbe Jahr gerechnet", erklärt Benny Fuchs. "Wenn die Apfelernte beginnt, kommt ein neuer Schwung und einige der jetzigen fahren wieder heim."

Heinrich Fuchs kennt einige von ihnen seit mehreren Jahrzehnten. "Im Optimalfall kommen immer dieselben", sagt er. "Es ist sehr wichtig, sie mit Respekt und Würde zu behandeln. Dann gewinnen beide Seiten." Im Fuchshof sieht das zum Beispiel so aus: Es gibt Mineralwasser satt, regelmäßig findet ein Grillfest statt und der Arbeitgeber zahlt eine freiwillige Krankenversicherung. Steuerlich werden die Menschen pauschal abgerechnet: fünf Prozent des Gehalts – auch das übernimmt die Familie Fuchs.
"Es gibt aufgrund der dort steigenden Lebensqualität immer häufiger Probleme, Saisonarbeiter in Polen oder Rumänien zu finden", so Heinrich Fuchs. "Auf uns trifft das nicht zu. Im Gegenteil: Wir haben ausreichend Kräfte." Wer seine Mitarbeiter gut behandelt, profitiert langfristig von ihnen. Eine so einfache wie logische Rechnung.
23.400 Saisonarbeiter jährlich im Südwesten: Welche Regeln für sie gelten und was Landwirte beachten müssen
- Helfer werden knapp: 20 Prozent der Anbauer finden laut einer Umfrage des Verbands Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer (VSSE), dass sich die Verfügbarkeit von Saisonarbeitskräften „deutlich verringert“ hat. 45 Prozent empfinden eine „etwas verringerte“ Verfügbarkeit. Bisher stammten die meisten Saisonarbeiter aus Rumänien und Polen. Jährlich werden in Deutschland 160.000 bis 180.000 Saisonarbeiter für die Ernte von Erdbeeren und Spargel eingesetzt – im Südwesten sind es rund 23.400 Erntehelfer.
- Mindestlohn ist Voraussetzung: Bis zu drei Monaten darf eine kurzfristige Beschäftigung dauern – noch. Ab nächstem Jahr sind es dann nur noch zwei Monate oder 50 Arbeitstage. Auch für Erntehelfer gilt der deutsche Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde.
- Besondere Beobachtung: Für die Überwachung ist der Zoll zuständig. Wie die Bauwirtschaft, das Transportgewerbe und die Gastronomie steht auch die Landwirtschaft – und dabei ganz besonders die Beschäftigung von Hilfskräften während der Erntezeit – unter besonderer Beobachtung. der Zoll gibt nicht bekannt, wie oft er auf den Höfen kontrolliert. Auch Fallzahlen werden nicht genannt.
- Zwei Möglichkeiten für Landwirte: Sie können einerseits Menschen mit Wohnsitz in Deutschland einstellen und andererseits auch einen Blick über die Landesgrenzen hinaus wagen. Hier aber müssen, die Vorgaben der sogenannten Saisonarbeiterrichtlinie berücksichtigt werden. Erlaubt ist, EU-Bürger als Erntehelfer oder Hilfskräfte zu beschäftigen, da sie rechtlich genauso gestellt sind wie Einheimische. Potenzielle Arbeitskräfte aus Drittstaaten aber sind keine Option für Landwirte. Welche rechtlichen Vorschriften berücksichtigt werden müssen, bestimmt die individuelle Ausgangssituation. Ist ein Arbeiter aus einem EU-Land dort weder selbständig noch angestellt, gilt für ihn deutsches Recht. Anderenfalls muss das Recht des jeweiligen Heimatlandes Anwendung finden.
- Lohnsteuerkarte oder pauschal: Werden Saisonarbeitskräfte nicht nur geringfügig beschäftigt, muss ebenfalls Lohnsteuer gezahlt werden. Hier gibt es verschiedene Optionen. So ist die Verrechnung per Lohnsteuerkarte denkbar. Aber auch pauschale Lohnsteuerbeträge von fünf oder 25 Prozent sind möglich. Die Abrechnung per Lohnsteuerkarte ist am einfachsten und ermöglicht es den Saisonarbeitern, die steuerliche Belastung durch Anrechnung von Werbungskosten zu verringern. Sollen pauschale Lohnsteuerbeiträge abgeführt werden, müssen Landwirte zahlreiche Voraussetzungen erfüllen.
- Unterbringung und Verpflegung: Bietet ein Landwirt seinen Arbeitskräften ein Dach über dem Kopf und Verpflegung, muss er für die so eingenommene Miete Umsatzsteuer zahlen. In Bezug auf die Unterkunft fallen hier bei Mietzeiten von bis zu einem halben Jahr sieben Prozent Umsatzsteuer an und für die Verpflegung 19 Prozent.
- Sozialversicherung: Grundsätzlich ist es wichtig, dass auch für Saisonarbeiter Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen. Bei EU-Ausländern, die in ihrem Heimatland angestellt oder selbständig sind, muss der Landwirt die entsprechenden Beiträge an die dort zuständige Stelle zahlen. Für alle anderen Arbeitskräfte gilt deutsches Recht und somit ebenfalls die Sozialversicherungspflicht. Eine günstigere Option kann hier der Minijob sein. (aks/dpa)