Dem Esel werden viele Attribute zugesprochen. Stur und störrisch soll er sein. "Esel haben sich viel von ihrem ursprünglichen Wesen bewahrt", sagt Erna Schmid, die den Eselhof Merlin bei Welschingen leitet. Vielleicht gälten sie deshalb als stur. Doch meist habe ihr Verhalten aus Eselsicht einen Grund. Wenn ein Esel zum Beispiel nicht über eine Brücke gehen will, dann deshalb, weil er dem Untergrund nicht traut.
Esel schult Führungskräfte
Schmid erzählt von Höfen, die Seminare für Führungskräfte mit Eseln anbieten. Dort lernen die Teilnehmer, zu entschleunigen, auf das Tier einzugehen und seine Art zu akzeptieren. Für Schmid steht außer Frage, dass Esel intelligent und bei richtiger Haltung sehr menschenbezogen sind. „Esel sind Sympathieträger und können dem Menschen ein Freund sein“, sagt sie.

Fachfrau für Langohren
Schmid ist Fachfrau in Sachen Esel, weil sie sich seit Jahrzehnten mit den Tieren befasst. Mitte der 80er-Jahre hat die Schweizerin den ersten kranken Esel auf ihrem Hof aufgenommen, damals in Hüttikon im Kanton Zürich. Ihr Engagement sprach sich herum und es kamen immer mehr dazu.
Im Juni 1997 gründete sie mit Gleichgesinnten den Verein "Esel in Not" und zog 2010 auf den Denklehof bei Welschingen um. Jetzt ist es eine Lebensaufgabe: Auf dem Eselhof "Merlin" sind rund 70 Esel und Maultiere zu Hause.
Hof hilft kranken Tieren
Schmid muss immer wieder feststellen, dass jeder ein Bild vom Esel hat, aber kaum jemand sich wirklich mit dem Wesen und der Haltung von Eseln auskennt. Auf dem Hof werden viele Langohren aufgenommen, weil sie von ihren Besitzern aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr gehalten werden können.
Oft sind es vernachlässigte und kranke, manchmal misshandelte Esel. Die Eselfreundin kennt die Geschichten jedes ihrer Tiere. Sie holt sie aus einem Umkreis von rund 500 Kilometern, manchmal aus der Schweiz, aus Österreich oder Frankreich. Der Hof arbeitet mit der Noteselhilfe zusammen, die Eseln in ganz Deutschland Hilfe leisten.
Wenn keiner sie mehr will
Die beiden Stuten Fiora und Nika kamen aus der Schweiz. Der Besitzer war zu krank, um sich weiter um seine Esel zu kümmern und suchte in Tierpensionen und auf Höfen einen Platz für seine Tiere. „Er hat nirgends eine Antwort bekommen“, berichtet Schmid.
Die Stute Fiora, 26 Jahre alt, war krank. Sie hatte Verdauungsprobleme. Schmid holte die Tiere auf den Hof und brachte Fiora in die Tierklinik nach Zürich. Dort wurde klar, dass die Probleme mit der Verdauung von einer Verletzung des Rückenmarks herrührten. Fiora hatte auch neurologische Ausfälle: Sie konnte schlecht sehen, stolperte immer wieder über eine Schwelle im Stall.
Jetzt bekommt sie ein spezielles Futter und darf mit der Gruppe der älteren Esel auf die Weide. Beiden Eseln geht es gut. Die jüngere Stute Nika (16 Jahre) kann an einen neuen Besitzer vermittelt werden.
Esel Finn wurde auf dem Eselhof mit der Flasche großgezogen, nachdem seine Mutter ihn nicht angenommen hat. Sein Besitzer hatte nicht die Zeit, den jungen Esel zu füttern. Die Stute Chiara stammt aus dem Tessin. Viele Jahre musste sie, meist für den Schlachter, für Nachwuchs sorgen.
Da ihre Lebensbedingungen schlecht waren, wurde sie immer schwächer. Der Verein "Esel in Not" konnte den Besitzer schließlich überreden, das Tier abzugeben.

Die Esel, die gesund sind, werden an geprüfte Halter verkauft. „Wobei man sagen muss, dass die Nachfrage nach Eseln auf dem Nullpunkt ist“, sagt Schmid. Die Kranken bleiben und bekommen Paten. Sie zahlen einen monatlichen Betrag und wenn sie wollen, können sie ihren Esel besuchen und auch zum Beispiel mit ihm spazieren gehen.
Rund 50 Patenschaften hat der Hof. Schmid verkauft Esel bevorzugt als Haustiere und nur zu zweit. "Esel leben in der Natur in kleinen Gruppen von etwa zehn Tieren", erklärt sie. Esel können gut als Haustiere, zum Beispiel bei einer Familie, gehalten werden. Sie sind sehr neugierig und brauchen Beschäftigung. "Es ist immer gut, wenn man etwas mit ihnen macht", erklärt die Eselexpertin.

Esel brauchen einen sauberen, trockenen, hellen Stall und einen befestigtem Auslauf nach draußen, kurze Weidegänge, weil sie zu viel fettes Gras krank macht, Raufutter, also Heu und Stroh, und regelmäßige Hufpflege. Eine artgerechte Haltung finde bei Eseln als Nutztiere oft nicht statt. Die Bedürfnisse der Esel würden bei der Haltung mit anderen Tieren meist nicht oder zu wenig beachtet, so die Erfahrung von Schmid. Ein Esel könne nicht einfach so mitlaufen.
Die Langohren fühlen sich gemeinsam mit anderen Artgenossen am wohlsten und brauchen viel Auslauf. Im Stall und auf der Koppel wird deutlich, was Schmid meint. Die Esel können sich im Stall in Gruppen frei bewegen und wirken ausgeglichen. Die Älteren trotten nach dem Weidegang zurück, nachdem die Mitarbeiterinnen ausgemistet haben.
Finn kommt neugierig an den Zaun und möchte gestreichelt werden. "Man merkt, dass er ein Flaschenkind ist, er ist sehr menschenbezogen", erklärt Schmid, die ihre Schützlinge liebevoll "Eselchen" nennt.
Eselhof, Verein und Finanzierung
- Der Hof Merlin: 2006 muss Erna Schmid mit ihren Eseln umziehen, weil der Verpächter den Hof selbst braucht. Sie wird im Hegau fündig. Die Eselfreunde werden 2010 auf den Hof bei Welschingen aufmerksam, der versteigert wird. Die Schweizer Stiftung Humanatura hat den Hof gekauft, ausbauen lassen und dem Verein "Esel in Not" zur Verfügung gestellt. Acht Teilzeitmitarbeiterinnen versorgen die Tiere. Der Hof ist kein Gnadenhof. Auch gesunde Esel werden aufgenommen und an geprüfte Halter weitervermittelt. Kranke Tiere dürfen bleiben. Maultiere und Maulesel werden ebenfalls aufgenommen. Für Besucher ist der Hof von Dienstag bis Freitag von 10 bis 13 Uhr, an den Wochenenden von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Schulklassen oder Kindergartengruppen können nach Anmeldung den Hof besuchen. Außerdem gibt es einen Tag der offenen Tür.
- Die Finanzierung: Pflege und Futter für die Tiere werden über Spenden und Patenschaften finanziert. Wer eine Patenschaft für einen der kranken Esel übernimmt, die auf dem Hof bleiben, zahlt 15 Euro im Monat. Eine Patenschaft dauert in der Regel ein Jahr. Es gibt aber auch die Möglichkeit, eine kürzere Patenschaft zu verschenken. Die Paten bekommen drei Mal im Jahr die Broschüre "Merlins Neuigkeiten" zugeschickt. Sie informiert über das Leben auf dem Hof und stellt Eselschicksale vor. Die Paten können "ihren" Esel besuchen und auch, wenn es die Gesundheit des Tieres zulässt, mit ihm zum Beispiel spazieren gehen.
- Der Verein: Der Verein "Esel in Not" feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Das Eselheim bei Engen-Welschingen ist unter Telefon (07733) 50 35 888 zu erreichen. Infos und Spenden auf der Internetseite unter
http://www.eselinnot.de