Am Anfang stand immer ein Verbrechen: ein Mord, ein Raubüberfall oder eine Vergewaltigung. Solche Delikte aufzuklären, das war die Tätigkeit von Werner Pflug. Seit 2014 ist er im Ruhestand und hat am Bodensee, genauer in Ludwigshafen, eine Heimat gefunden. Davor war der Molekularbiologe 35 Jahre lang Mitarbeiter im Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts in Stuttgart (LKA).

Während dieser Zeit bearbeitete er, zusammen mit seinem engagierten Team, wie er selbst sagt, tausende und abertausende auch sehr spektakuläre Fälle. Und konnte durch eine von ihm perfektionierte Methode an mikroskopisch kleinen DNA-Spuren viele dieser Fälle aufklären. Es handelt sich um die hochsensitive DNA-Analyse nach dem PCR-Verfahren.

Erstaunliche Lösungen von spektakulären Kriminalfällen

Und an diesen Erfolgen will er die Öffentlichkeit teilhaben lassen. Sechs der erfolgreich gelösten Fälle beschreibt er in seinem Buch: „Verräterische Gene – Sternstunden der Kriminaltechnik“. Dabei geht es nicht nur um die Fälle selbst, sondern auch um die erstaunliche Lösung des Falls mithilfe des von Pflug entwickelten DNA-Fußabdrucks.

Wer also ein Faible für das Genre „True Crime“ hat, wahre Kriminalgeschichten jenseits von „Tatort“ schätzt, der sollte dieses Buch lesen. Darin gewinnt man detaillierte Einblicke in das forensische Arbeiten mithilfe molekularbiologischer Spezialmethoden.

Doch zurück zu Werner Pflug und dessen Geschichte, die neugierig macht auf das, was dieser Mann zu erzählen hat. Denn es bedurfte so einiger spannender Wendungen bis Pflug dort ankam, wo der Erfolg wartete. Wobei gleich spürbar ist, wie zielorientiert Pflug ist.

Deutlich wird auch eine Hartnäckigkeit, das zu erreichen, was er sich in den Kopf gesetzt hat – eine Eigenschaft, die ihm beruflich stets von großem Nutzen gewesen zu sein scheint.

Schnell wurde ihm zu langweilig

Zunächst hatte Werner Pflug Biologie mit dem Schwerpunkt Mikro- und Molekularbiologie in Stuttgart-Hohenheim studiert und dann mehrere Jahre über die Biosynthese des Vitamins B6 geforscht. Mit diesem Thema promovierte er 1977 mit summa cum laude, also der Höchstnote.

Neben dem selbständigen Forschen habe er schon damals auch etwas, wie er es nennt, „Handfestes und Greifbares“ untersuchen wollen. Und so begann er, parallel Medizin zu studieren. „Da gab es nicht nur Farbreaktionen im Labor, nicht nur Unmengen von zu entschlüsselndem Material“, erzählt Pflug.

Erster Kontakt mit Leichen war komisch

Sondern da ging es mit dem Sezieren von Leichen „ans Eingemachte“. Der Anblick der Leichen sei anfangs noch komisch gewesen, erinnert er sich. Denn sie seien in Formalin eingelegt gewesen, mit dem die Verwesung gestoppt werden sollte.

Das verlieh den Körpern das Aussehen einer braunen Gummipuppe. Und der damit einhergehende Geruch und das Brennen in den Augen beim Arbeiten seien höchst unangenehm gewesen. Doch er gewöhnte sich daran.

1984 durfte Pflug im Auftrag des FBI in den USA einen Vortrag halten. Diese Dokumente dienen ihm heute als Erinnerung an diese Zeit. ...
1984 durfte Pflug im Auftrag des FBI in den USA einen Vortrag halten. Diese Dokumente dienen ihm heute als Erinnerung an diese Zeit. Bild: Bild: Constanze Wyneken

Beim LKA bewarb Pflug sich 1979 auf eine Stellenanzeige hin und wurde direkt genommen. Fortan verbrachte er seine Zeit damit, Spuren zu untersuchen: Blutspuren, Speichelspuren, Spermaspuren und Vaginalsekret. Wohingegen in einem anderen Bereich des Referats Haar-, Erd- oder pflanzliche Spuren oder auch Faserspuren von Kleidung untersucht wurden.

Ihm gelang es rasch, das vorhandene Methodenspektrum zu verbessern. Dadurch stieg der Beweiswert der Untersuchungsbefunde um den Faktor 50 bis 100. Es wurde leichter, Täte zur Strecke zu bringen.

Einladung vom FBI

Dass mit Pflug ein wahrer Pionier gefunden war, machte sich auch bemerkbar, als er 1984 vom FBI in die USA eingeladen wurde. Denn über sein neues Verfahren sollte er dort auf einem Symposium einen Vortrag halten. Doch Pflug genügte das nicht. Er wollte mehr, als nur einzelne Eiweiße isolieren. Also begann er, das Erbmaterial (DNA) für seine vergleichenden Spurenuntersuchungen einzubeziehen.

Die Grundlage von Pflugs Forschungen war die Erkenntnis des Britischen Genetikers Alec Jeffreys. Der hatte im Jahr 1985 herausgefunden, dass Variationen des genetischen Codes dazu geeignet sind, Personen voneinander zu unterscheiden (Genetischer Fingerabdruck).

Er entwickelt Methoden weiter

Allerdings war der Genetische Fingerabdruck für die Untersuchung kleiner Blut- und Sekretspuren oder gar mikroskopisch kleiner Hautabriebspuren wegen der zu geringen DNA-Menge ungeeignet.

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Darum adaptierten Pflug und sein Team die bereits oben erwähnte PCR-Methode, wobei die verwendeten DNA-Unterscheidungsmerkmale zunächst millionenfach kopiert und danach analysiert und sichtbar gemacht wurden. Neu an dieser Methode war, dass nun mit ganz geringen Mengen von Blut oder Sperma noch ein DNA- Identifizierungsmuster nachzuweisen war – „Ein Mückenschiss reichte“, beschreibt Pflug.

Ein Durchbruch

Je mehr derartige DNA-Merkmale man bestimmen konnte, desto größer war der Beweiswert. Desto geringer also die Anzahl der Personen, die als Verursacher der Spur in Frage kommen konnten. Zum Beispiel war in einem Fall der Beweiswert sechs geeigneter DNA-Merkmale so hoch, dass nur eine männliche Person oder dessen eineiiger Zwillingsbruder als Verursacher der Spur in Betracht kamen.

Als sich Pflugs Tätigkeit beim LKA in Stuttgart dem Ende neigte, war das Verfahren so weit vorangeschritten, dass noch weniger Material ausreichte, um einen Täter zu überführen – ein Milliardstel oder Billionstel Gramm. Kaum vorstellbare Mengen. So konnten viele Fälle aufgeklärt werden. Auch welche, die schon 20 Jahre oder noch länger zurücklagen.

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Am Bodensee kommt er zur Ruhe

Und immer wieder unterstreicht Pflug, auch in seinem Buch, die gemeinschaftliche und beinahe familiäre Arbeitsatmosphäre in seinem engagierten Team. Das habe bei seiner Pensionierung rund 60 Mitarbeiter gezählt. Darunter Molekularbiologen, aber auch biologische, technische, chemische und medizinische Assistenten.

Aus seiner Zeit beim LKA bereut er nichts. Genauso würde er alles wieder machen, sagt Pflug. Heute widmet er sich in Ruhe gemeinsam mit seiner Frau seinem Hobby – dem Malen. Oder er genießt die Zeit am Bodensee. Denn auch ein Pionier darf mal zur Ruhe kommen.