Nicht die Grundschule, sie soll an der Wiestorschule bleiben: Doch eine Verlagerung der Gemeinschaftsschule, weg von der Wiestorschule in den neuen Schulcampus, kann sich Oberbürgermeister Jan Zeitler vorstellen. Bis es soweit ist, muss der Campus erst gebaut werden, spätestens 2024 sollen die Bauarbeiten laufen, sagte der OB. Gemeinsam mit seinem Parteifreund Andreas Stoch, dem früheren Kultusminister von Baden-Württemberg und jetzigen SPD-Fraktionsvorsitzenden, gab Zeitler ein Interview in der SÜDKURIER-Redaktion.

Themen waren die Abschaffung der "verbindlichen Grundschulempfehlung", aber auch die Frage, welche Chance Stoch einer gymnasialen Oberstufe an der Gemeinschaftsschule Salem gibt. Im Vorfeld des Interviews bat die Redaktion drei Schulleiter um Fragen; im Nachgang sagte Jürgen Mattmann, Rektor der Wiestorschule, dass ihm die Gedankenspiele zu einer Verlagerung der Gemeinschaftsschule bekannt seien. Er halte es für legitim, dass OB Zeitler nun die öffentliche Diskussion dazu eröffnet, und halte es auch für richtig, bei der Schulentwicklung den Blick über den eigenen Schulhof hinaus zu richten.

Herr Stoch, die Gemeinschaftsschule ist ein Projekt Ihrer Regierungszeit. Teilen Sie die Einschätzung des hiesigen Schulleiters der Gemeinschaftsschule, Herrn Mattmann, dass die grün-schwarze Regierung, und vor allem das CDU-geführte Kultusministerium, andere Schwerpunkte setzen?

Stoch: Ich teile diese Auffassung, weil die CDU hier eine rückwärtsgewandte Denke pflegt und versucht, das dreigliedrige Schulsystem zu retten, obwohl sie selbst schon seit mindestens zehn Jahren weiß, dass es so nicht weitergeht. Kultusministerin Eisenman versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen.

Was leisten Sie als Oppositionsführer und ehemaliger Kultusminister, dass die Gemeinschaftsschule, Ihr Baby, nicht stirbt?

Stoch: Wir leisten Lobbyarbeit in der Öffentlichkeit und zeigen auf, wie gut viele Gemeinschaftsschulen arbeiten. Wir sprechen mit Lehrern, Schülern und Eltern und machen ihnen Mut, den Weg weiterzugehen und wir zeigen auf, dass viele Klischees zur Gemeinschaftsschule irreführend und falsch sind.

Die Überlinger Wiestorschule ist zweizügig, mit etwa 35 Anmeldungen im laufenden Schuljahr 2017/18. Schulleiter Mattmann hält die Zweizügigkeit für eine wichtige Voraussetzung, um differenzierte Angebote machen zu können, wie zum Beispiel Französischunterricht. Herr Zeitler, wie lautet Ihr Ziel für die Wiestorschule?

Zeitler: Wir konstatieren mit Freude, dass wir eine Zweizügigkeit vorweisen können. Wir haben jedoch die Situation, dass sich der Gemeinderat bereits im September 2012 für die Einführung der Gemeinschaftsschule entschieden hat, die räumliche Situation derzeit aber nicht dem Bedarf der Schule entspricht. Für uns als Schulträger ist es wichtig, von der Landesregierung zu erfahren, welche Zukunft die Gemeinschaftsschule hat. Wir als Schulträger sollen investieren, gerne in größeren Summen, aber dafür brauchen wir eine Zukunftssicherheit.

In Überlingen spricht alles vom Campus, der Realschule und Gymnasium betrifft. Ich zitiere nochmal Herrn Mattmann, der dafür wirbt, die Wiestorschule und die Franz-Sales-Wocheler-Schule nicht aus dem Fokus zu verlieren. Herr Zeitler, was antworten Sie ihm?

Zeitler: Wir treffen uns nächste Woche ganz bewusst zur Sitzung des Bildungsausschusses in der Wiestorschule. Ich sehe den Investitionsbedarf, doch hätte ich gerne, dass man richtig investiert. Man könnte zum Beispiel darüber diskutieren, die Gemeinschaftsschule im Campus zu integrieren. Nicht die ganze Wiestorschule, denn die Grundschule sollte an der bisherigen Stelle bleiben. Aber wenn wir mit einer vierzügigen Realschule und einem fünfzügigen Gymnasium auf dem Campus planen, warum nicht zusätzlich mit einer zweizügigen Gemeinschaftsschule am Campus? Zusätzlich gäbe es dort Kooperationsmöglichkeiten zwischen weiterführenden berufsbildenden Schulen des Kreises und der Gemeinschaftsschule. Ich sehe mit dem Schulcampus eine große Chance für unsere Überlinger Gemeinschaftsschule und möchte vermeiden, dass wir unsere Schwerpunkte an der falschen Stelle setzen.

Mit der Wahlfreiheit für die Eltern, bzw. Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung, liegt die Verantwortung für die Schulwahl ausschließlich bei den Eltern. Immer weniger entscheiden sich für die Haupt- und Gemeinschaftsschule (landesweit 5,7 Prozent im aktuellen Schuljahr), immer mehr für Gymnasium und Realschule (zusammen 78,4 Prozent). Halten Sie es nach wie vor für richtig, den Eltern, die in ihren Kindern naturgemäß Superkinder sehen, so viel Verantwortung zuzumuten?

Stoch: Das war das eine der schwierigsten Entscheidungen meiner Regierungszeit. Rückblickend glaube ich, dass es richtig war, die Verbindlichkeit abzuschaffen. Denn bisher haben wir es uns in Baden-Württemberg geleistet, schon für neunjährige Kinder eine Prognose zu stellen, mit welchem Abschluss sie später einmal von der Schule gehen werden. Die Idee der Gemeinschaftsschule ist es, die Entscheidung später zu treffen. Die Aufhebung der Verbindlichkeit ging einher mit der gleichzeitigen Einführung der Gemeinschaftsschule und war in sich schlüssig. Aber, ich betone aber: Viele Eltern können sich unter der Gemeinschaftsschule noch zu wenig vorstellen. Vielerorts wurde zwar gute Arbeit geleistet, aber dadurch, dass viele Gemeinschaftsschulen aus Hauptschulen hervorgingen, haben sie das geringere Ansehen der Hauptschulen übernommen.

In Überlingen gibt es neben den drei städtischen Schulen eine große Waldorfschule, die beruflichen Gymnasien des Landkreises, und in erreichbarer Nähe noch die großen Privatschulen Wald und Salem und das Aufbaugymnasium in Meersburg. Eine unglaubliche Vielfalt. Wie oder wo müssen sich die Eltern informieren, damit sie für ihr Kind die richtige Schulwahl treffen?

Stoch: Natürlich mag es auf ersten Blick einfacher sein, den Eltern zu sagen, was sie zu tun haben. Ich glaube aber, dass es den Eltern zumutbar ist, sich intensiv mit der Schulwahl zu beschäftigen. Sie werden dabei nicht allein gelassen, es gibt weiterhin die Grundschulempfehlung, eine Einschätzung der Lehrer über das Leistungsvermögen der Viertklässler. Über 80 Prozent der Eltern halten sich daran.

Die Gemeinschaftsschule Salem plant eine gymnasiale Oberstufe. Welche Chance geben Sie dem Projekt?

Stoch: Das hängt von der Schülerzahl ab. Sie brauchen mindestens 60 Schüler, was an großen Standorten wie Konstanz mühelos gelingt. Bei weniger Schülern besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Gemeinschaftsschulen für eine gymnasiale Oberstufe zusammenzutun. Oder man geht eine Kooperation mit beruflichen Gymnasien ein, der Phantasie ist kaum eine Grenze gesetzt.

Zeitler: Das unterscheidet uns von Salem: Weil wir Schulstadt sind, haben wir ganz andere Möglichkeiten zur Kooperation der Gemeinschaftsschule mit anderen Schularten.

Überlingen plant, gemeinsam mit den beteiligten Schulen, einen Schulcampus. Hier sollen, ich zitiere den Schulleiter des Gymnasiums, „für die nächsten mindestens 50 Jahre sehr gute Bildungsvoraussetzungen geschaffen werden". Rektor Hans Weber lässt fragen, welche Unterstützung des Landes Sie für realistisch halten? Herr Weber denkt dabei auch an die Digitalisierung der Schulen.

Stoch: Bei der Digitalisierung sehe ich Land, Bund und Kommunen in enger Partnerschaft und glaube, dass auch in Überlingen etwas Positives entstehen kann. Auch für den klassischen Neubau ist die Zuschussfrage geregelt. Die bloße Sanierung ist dagegen bisher nicht förderfähig. Der Sanierungsbedarf, laut Städtetag drei bis vier Milliarden, ist aber so hoch, dass wir Unterstützung vom Bund brauchen. Und bitte nicht nur für finanzschwache Kommunen.

Zeitler: Als finanzschwach gilt Überlingen nach diesen Kriterien derzeit leider nicht. Doch haben wir ein immenses Investitionsvolumen vor uns. Wir brauchen die Unterstützung von Bund und Land.

Welche Ziele möchten Sie, Herr Zeitler, bis zur nächsten OB-Wahl in Sachen Campus erreicht haben?

Zeitler: Wir werden im August den Spatenstich für die Mehrfeldsporthalle haben. Sobald dieses Bauwerk in Bau ist, werden wir uns umgehend an die Planung zum möglichen Neubau des Gymnasiums machen, der die Sanierung der Realschule nach sich zieht. Mein Ziel bis zur nächsten OB-Wahl im Jahr 2024 ist es nicht, zwingend mit dem Gymnasium fertig zu sein, aber zumindest den Bau begonnen zu haben. Wir müssen konsequent voranschreiten.

Herrn Panzner, Rektor an der Burgberg-Grundschule, treibt die Frage um, wie Inklusion von Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf gelingen soll. Nach Auffassung seines Kollegiums ist die Zahl der Sonderpädagogen an den Regelschulen zu gering, und die Aufgaben durch die Verschiedenartigkeit der sonderpädagogischen Förderbedürfnisse zu hoch. Was antworten Sie Herrn Panzner als Ex-Kultusminister, der die Inklusion an Regelschulen vorangetrieben hat?

Stoch: Ich habe sie deswegen auch vorangetrieben, weil Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet hat. Die Sonderschulpflicht war damit ein Verstoß gegen die UN-Konvention, den Eltern gehört die Wahlmöglichkeit. Daraus ergab sich eine sehr personalintensive Doppelstruktur aus Sonderschulen und Regelschulen, die sonderpädagogische Angebot bieten müssen. Die Beobachtung des Schulleiters ist richtig: Uns fehlen dafür die Fachkräfte. Wir schaffen es im Moment nicht, jedes Inklusionsangebot personell so auszustatten, wie es eigentlich nötig wäre. Deshalb sprechen wir von gruppenbezogener Inklusion, mit dem Ziel, immer mehrere Kinder gleichzeitig in eine Klasse mit entsprechenden Angeboten zu bringen.

Tour im Ländle

  • Andreas Stoch, Jahrgang 1969, ist SPD-Fraktionschef im Landtag von Baden-Württemberg, er war von 2013 bis 2016 Kultusminister in der rot-grünen Regierung unter Winfried Kretschmann. Stoch ist Rechtsanwalt, 2009 wurde er erstmals in den Landtag gewählt. Er ist Vater von vier Kindern, zwei von ihnen besuchen die Waldorfschule. Wie Stoch bei seinem Redaktionsbesuch sagte, unternimmt er derzeit eine Reihe von Besuchen in Rathäusern und Landratsämtern, um ein Gespür für die Anliegen der Menschen im Ländle zu gewinnen.
  • Jan Zeitler (SPD), Jahrgang 197, ist Diplom-Verwaltungswissenschaftler. 2016 wurde er zum Oberbürgermeister von Überlingen gewählt, zuvor war er Bürgermeister in Horb am Neckar.